Was Corona uns gelehrt hat
Weltweit hat die Corona-Pandemie in diesem Jahr Großveranstaltungen auf Eis gelegt. Auch die Teilnehmer des Global Media Forums der Deutschen Welle treffen sich in diesem Jahr lediglich online. In einer Reihe von Live-Debatten diskutieren Teilnehmer aus aller Welt die drängendsten Fragen des aktuellen Journalismus, diesmal unter dem Motto: Pluralismus. Populismus. Journalismus.
Am Mittwoch startete das digitale Konferenzprogramm mit einer Diskussion über die Rolle der Medien in der aktuellen Corona-Pandemie.
Welche Verantwortung tragen die Medien in der Krise? Diese Frage stellte DW-Moderator Jaafar-Abdul Karim drei internationalen Gästen: dem Geschäftsführer der investigativen kenianischen Nachrichtenplattform Africa Uncensored, John-Allan Namu, der Politikwissenschaftlerin und außerordentliche Professorin an der Nationalen Universität in Rio Negro in Argentinien, Maria Esperanza Casullo, sowie Guido Bülow, bei Facebook verantwortlich für Medienpartnerschaften in Zentral- und Nordeuropa.
Die Rolle des Lokaljournalismus
Im Mittelpunkt der Diskussion stand die Vertrauenswürdigkeit digitaler Nachrichtenquellen. Maria Esperanza Casullo hob in diesem Zusammenhang die Bedeutung von Lokaljournalismus hervor. Viele Menschen hätten angesichts der "Flut von Informationen" über das neuartige Virus Schwierigkeiten, Medien zu finden, denen sie vertrauen könnten.
"Es ist schwer herauszufinden, was zuverlässig und vertrauenswürdig ist und was nicht. Ich stelle fest, dass lokale, regionale oder sogar städtische Zeitungen zuverlässiger sind als nationale Medien, weil ihre Reporter tatsächlich vor Ort sind und mehr Fakten und Informationen haben", so Esperanza Casullo.
Der Kenianer John-Allan Namu verwies darauf, dass der Zugang zu solchen lokalen Journalisten und freien Mitarbeitern, im Fachjargon "Stringer" oder "Fixer" genannt, immer schwieriger werden könnte, je länger die Pandemie andauert.
"Originalquellen, also Quellen, die vor Ort sind, befinden sich oft in Gegenden, die von Journalisten vielleicht nicht erreicht werden können. Und selbst wenn wir sie erreichen - wie zögerlich oder willens werden die Interviewpartner sein, mit uns zu sprechen, aus Sorge um die eigene Gesundheit?"
Soziale Medien - Freund oder Feind?
Die Rolle der Sozialen Medien während der Pandemie war ein weiterer Schwerpunkt der Debatte. Dabei stand besonders Facebook im Kreuzfeuer des virtuellen Publikums. Facebook-Vertreter Guido Bülow verwies darauf, dass sein Unternehmen mit Hilfe der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ein spezielles COVID-19-Informationszentrum für Medien eingeführt habe.
"Wir versuchen, Fehlinformationen zu bekämpfen - nicht nur im Zusammenhang mit dem Coronavirus, sondern generell", so Bülow. Um Fehlinformationen zu bekämpfen, arbeite Facebook mit mehr als 70 Faktenprüfern auf der ganzen Welt zusammen, so der Medienverantwortliche.
Mit Hilfe dieses internationalen Teams habe das Unternehmen allein in den letzten zwei Monaten 7500 Faktenkontrollen durchgeführt, was "zu 50 Millionen Warnmeldungen im Zusammenhang mit Corona-Fehlinformationen auf Facebook geführt hat", so Bülow.
Nachrichtenmacher mitschuldig an Verunsicherung?
Maria Esperanza Casullo sieht das Problem weniger darin, dass die Sozialen Medien von Fake News durchdrungen sind, sondern vielmehr in der allgemeinen Flut an Nachrichten. "Es gibt einfach zu viele von ihnen und es ist sehr schwer, sich zu orientieren".
Casullo fügt hinzu: "Einerseits können wir den Sozialen Medien kritisch gegenüberstehen, was ich auf jeden Fall tue. Aber gleichzeitig zeigt diese Pandemie auch, dass in den Sozialen Medien Einordnungen angeboten werden, die wir sonst vielleicht nicht bekommen würden."
Für John-Allan Namu ist aufgrund der Lawine von Corona-bezogenen Berichten in den letzten Monaten die Faktenprüfung zum Hauptbestandteil seiner täglichen Arbeit geworden. Diesen Fakten-Check sollten sich auch Social-Media-Plattformen aneignen.
"Facebook, Twitter, alle sozialen Plattformen, auf denen einige dieser Fake News verbreitet werden, können und sollten mehr tun. Ich denke, sie sollten sich nicht so sehr darauf konzentrieren, Inhalte zu markieren und zu entfernen. Sondern viel stärker manipulierte Inhalt kennzeichnen - so dass man weiß, was man gerade liest."
Aber Namu zieht auch die Nachrichtenmacher selbst zur Rechenschaft: "Mehr Organisationen - insbesondere Nachrichtenagenturen, deren Aufgabe es ja ist, sachliche Informationen bereitzustellen - müssen anfangen, das Überprüfen von Nachrichten als festen Bestandteil ihrer Arbeit zu etablieren.
Nicht alles Untergang und Düsternis
Trotz der vielen Herausforderungen, die die globale Pandemie mit sich bringt, blieben die Podiumsteilnehmer hoffnungsvoll, dass Journalisten langfristig daraus lernen könnten. Maria Esperanza Casullo sieht darin die Gelegenheit für Journalisten, "Brücken des Vertrauens mit der Gemeinschaft wieder aufzubauen und wieder wirklich zuverlässig zu werden".
John-Allan Namu glaubt, dass die aktuelle Situation die Medien langfristig stärken könnte. Er sieht die Notwendigkeit einer ausgewogenen Berichterstattung insbesondere in Regionen, die keinen Zugang zu einer Vielzahl unabhängiger Nachrichten haben und in denen kleinere Medien die Mehrheit der Nachrichten bereitstellen: "Wir können nicht alles online machen. Die Internetdurchdringung ist nicht so hoch wie vor kurzem angenommen, und COVID-19 hat dies aufgedeckt", sagte er.
Guido Bülow verweist auf die Chancen, die sich aus der Corona-Pandemie für unabhängige Medien ergeben würden. Das weltweite Anwachsen der Leserschaft und ihre Unterstützung für verschiedene Medien hätten gezeigt, dass "es eine echte Chance gibt für die Verlagsbranche, wieder näher an die Leser heranzukommen und wieder Vertrauen aufzubauen."
Wer bei der nächsten Live-Session des Global Media Forums am 8. Juli 2020 um 13:00 Uhr UTC dabei sein will, der kann sich auf der Facebook-Seite des DW Global Media Forum registrieren. Titel der Veranstaltung: "Zwischen Utopie und Dystopie: Das Internet in autokratischen Staaten".