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DW-Preisträger Zibakalam kritisiert Teheran

Trotz des Leids durch die Corona-Epidemie kann sich Irans Führung nicht von fatalen ideologischen Mustern freimachen. Freedom of Speech-Preisträger Sadegh Zibakalam analysiert die Lage im DW-Gespräch.

Der Politologe Sadegh Zibakalam
Der Politologe Sadegh ZibakalamBild: DW/R. Oberhammer

Mit mehr als 29.000 Infizierten und über 2200 Toten - dies sind die offiziellen Zahlen am Freitag, die tatsächlichen werden weit höher geschätzt - gehört der Iran mit China, Italien und Spanien zu den bislang am stärksten von der Coronavirus-Pandemie betroffenen Ländern. Trotz der dramatischen Lage hat die Islamische Republik eine zunächst erbetene Hilfe durch die Organisation "Ärzte ohne Grenzen" (MSF) abgelehnt. Das kommentierte Sadegh Zibakalam, Dozent für Politologie an der Universität Teheran und Träger des Freedom of Speech Awards der DW, in einem sarkastische Tweet vom Dienstag: "Zuerst die Ideologie, danach die Gesundheit und das Leben der Menschen. Die Tatsache, dass die politischen und ideologischen Grundsätze im Iran über allem anderen stehen, hat sich in der Zurückweisung der Organisation 'Ärzte ohne Grenzen' treffend gezeigt. Hätte man die Hilfe auch zurückgewiesen, wenn sie etwa von russischer Seite gekommen wäre?"

"Ärzte ohne Grenzen" zur Hilfe bereit

Michel-Olivier Lacharité, Leiter der Abteilung für Notfälle bei MSF, hat gegenüber der DW die eigentlich geplante, aber dann nicht zustande gekommene Hilfemaßnahme für den Iran wie folgt erläutert: "MSF kann die iranischen Behörden unterstützen, indem es sich um schwere Fälle von COVID-19 kümmert. Darum haben wir auf Ersuchen der iranischen Behörden Medikamente und aufblasbare Bauelemente zur Errichtung eines Krankenhauses mit 48 Betten auf den Weg gebracht. Zu unserem Team aus neun Personen gehören Logistiker und Ärzte, die auf die Intensivpflege spezialisiert und in der Lage sind, die Teams des iranischen Gesundheitsministeriums bei der Triage, der Hospitalisierung schwerer Fälle, der Intensivpflege und der Arbeit im Labor zu unterstützen."

Von der Armee eingerichtete Not-Klinik in einer Messehalle in Teheran
Von der Armee eingerichtete Not-Klinik in einer Messehalle in Teheran Bild: picture-alliance/ZUMAPRESS/R. Fouladi

Der Aufbau der Klinik war in der besonders hart getroffenen Region um Isfahan im Zentraliran geplant. Umso überraschender kam die Kehrtwende des iranischen Gesundheitsministeriums, das diese Hilfe ablehnte und auf die Leistungsfähigkeit der eigenen Behörden und die Unterstützung durch das Militär verwies. Andererseits auch wieder nicht überraschend, wie Sadegh Zibakalam im DW-Interview erläutert: "Genau dieses Verhalten ist der beste Beweis dafür, dass sich an der ideologischen Grundhaltung auch durch Corona nichts geändert hat. Es ist diese immer gleiche feindselige Haltung gegenüber dem Westen, die jede Aktion im Iran als getarnten Spionageversuch oder politische Beeinflussung interpretiert. 'Ärzte ohne Grenzen' sind ja gekommen, um zu helfen. Die Verantwortung für diese kurzsichtige, irrationale Ablehnung übernimmt niemand. Dies zeigt die Arroganz der Führung, die jede Art der Öffnung gegenüber der Weltgemeinschaft strikt ablehnt. Eine solche Haltung führt dann zu geradezu absurden Äußerungen, man wolle, falls benötigt, auch Amerika Hilfe anbieten."

Kritik an verspäteter Reaktion Teherans

Die iranische Regierung hatte zunächst wertvolle Zeit vertan, ohne wirksame Maßnahmen zum Schutz und zur Aufklärung der Bevölkerung zu ergreifen. Erst seit Dienstag sind Geschäfte und Märkte geschlossen, offiziell. Nicht alle Inhaber aber können sich daran halten, aus schierer wirtschaftlicher Not. Erst am Freitag (27.3.) greifen weitere Maßnahmen wie ein Ausreiseverbot aus Teheran, auch der Verkehr zwischen den Städten soll eingestellt werden.

Ein Behördenmitarbeiter prüft an einer Einfahrtsstraße Teherans die Körpertemperatur von Reisenden
Ein Behördenmitarbeiter prüft an einer Einfahrtsstraße Teherans die Körpertemperatur von Reisenden Bild: picture-alliance/Anadolu Agency/F. Bahrami

Sadegh Zibakalam kritisiert die verspätete Reaktion der Regierung, insbesondere vor dem Hintergrund der Reisewellen aufgrund des Beginns der iranischen Neujahrsferien vor einer Woche: "Ich selbst sitze in Quarantäne und beobachte, wie in Ländern wie Deutschland, Frankreich, Italien, China harte Regeln ergriffen werden, um die Ausbreitung der Krankheit unter Kontrolle zu bringen. Dann sehe ich, dass im Iran drei bis vier Millionen Menschen ohne jede Beschränkung auf ihre Neujahrsreisen gehen. Die Regierung hat träge und gleichgültig reagiert und ist unfähig, ihrer Verantwortung zum Schutz der Bevölkerung gerecht zu werden. Dazu kommt, dass die Bevölkerung kein Vertrauen mehr in die Regierung hat und die Bereitschaft zur Kooperation mit der Regierung nicht mehr gegeben ist."

Regierung Rohani geschwächt

Zibakalam sieht die Regierung um Präsident Hassan Rohani in ihrer Dauerkonfrontation mit den Hardlinern durch die Corona-Krise zusätzlich geschwächt: "Meine Prognose für die nächste Zukunft ist, dass wir zwischen fünf bis acht Millionen Menschen in wirtschaftliche Not bringen und ihre Existenz gefährden. Wir gehen nun in den nächsten Wochen den gleichen Schritt wie die anderen Länder. Das bedeutet einen weiteren massiven Einbruch einer ohnehin schon angeschlagenen Wirtschaft. Deswegen sehe ich kein Licht am Ende des Tunnels für die Regierung Rohani."

Geschlossene Geschäfte in Teheran
Geschlossene Geschäfte in Teheran Bild: picture-alliance/AP Photo/V. Salemi

Auch an der außenpolitischen Front sieht Zibakalam keine Entlastung. Zwar gibt es auf internationaler Ebene Aufforderungen an die Adresse der USA, die Sanktionen gegen den Iran angesichts der dortigen Gesundheitskrise aufzuheben. Appelle kamen von Russland, China, Pakistan und verschiedenen humanitären Organisationen. "Der Iran hofft, dass angesichts der weltweiten Pandemie und der verheerenden sozialen Zustände im Land die Sanktionen nicht mehr in der bisherigen Konsequenz umgesetzt werden", sagt Zibakalam im DW-Interview. Aber einen politischer Kurswechsel und eine Öffnung gegenüber dem Westen hält der Freedom of Speech-Preisträger für unwahrscheinlich: "Selbst ein Ereignis wie die Corona-Pandemie wird die fundamentalistische Haltung der iranischen Führung nicht beeinflussen können."