Sixtinische Madonna
25. Mai 2012Die 500 Jahre alte Madonna aus Rom begeistert Tausende von Fans. Auf den Treppen vor der Gemäldesammlung Alte Meister in Dresden herrscht eine Art Belagerungszustand. Alle wollen sie sehen. Raffaels Kultfrau, ein Heiligtum der Kunstgeschichte, Dresdens wichtigstes Gemälde. Zeitlos und schön. Seit 500 Jahren verzaubert dieses weltberühmte Meisterwerk seine Betrachter. Im Sommer 1512 erhält Raffael von Papst Julius II. den Auftrag für das Werk, gedacht als Hochaltar. Mehr als zwei Jahrhunderte steht es fast unbemerkt in der Klosterkirche San Sisto im italienischen Piacenza. Dann kaufte es August III. und bringt es 1754 in seine Dresdner Gemäldegalerie. Der Beginn einer grandiosen Karriere, die auch die Fantasie von Künstlern und Literaten beflügelte. Es beschreibe in wunderbarer Weise die "Urbeziehung zwischen Mutter und Kind", schwärmte Goethe einst.
Früher Altartafel, heute Kultbild
Die "Sixtina" ist noch schöner als sonst. Sie erstahlt in einem neuen, extra nach italienischem Vorbild geschaffenen und mit viel Gold verziertem Holzrahmen und frisch verglast an ungewohntem Ort. Ein altes Werk in neuem Licht – für die Schau verließ das rund 5,4 Quadratmeter große Meisterwerk seinen angestammten Platz im ersten Obergeschoss der Gemäldegalerie und hängt nun für drei Monate im Gobelinsaal. "Das Bild ist eine extrem gute, herausragende und neue Komposition, mit der Raffael sie so wirkungsmächtig gestaltete, dass sie jedem Betrachter ins Auge fällt", erklärt der Kurator und Konservator für italienische Malerei, Andreas Henning.
Im neuen Saal sticht die "Sixtina" direkt ins Auge. Sie ist das Zentrum der Ausstellung, keine Frage. Andere kostbare Objekte begleiten sie: opulente Bilder, grazile Zeichnungen, kitschige Utensilien mit den berühmten beiden Engeln am unteren Rand des Werkes. Mehrere Monate hat Henning in Italien nach den Ursprüngen des Bildes geforscht, nun eine Schau konzipiert, die Aufstieg und Kultstatus der Sixtinischen Madonna eindrucksvoll beschreibt. Popularität erlangte sie noch vor Leonardo da Vincis Mona Lisa. Die Sixtinische Madonna avancierte Mitte des 19. Jahrhunderts zum Mythos, die Mona Lisa begeisterte erst um 1911 die Massen.
Von der Renaissance bis in die Gegenwart
Die Dresdner Schau zeichnet erstmals die ganze Geschichte des weltberühmten Bildes nach, von der Entstehung in der römischen Renaissance bis zum globalen Mythos in der Gegenwart. Sie beleuchtet Entstehungsumfeld, Auftraggeber, Schicksale und Wanderung eines der bedeutendsten Gemälde der Menschheit. Zugleich wird ihre Bedeutung in Kunst- und Kulturgeschichte, Literatur und Geistesgeschichte betrachtet.
Die Auseinandersetzung mit Raffaels Sixtina in Literatur, Musik, Kunsthandwerk und Fotografie begann um 1800, immer wieder wurde das Bild kopiert und reproduziert. Zur gleichen Zeit lösten sich die beiden Engelchen zu ihren Füßen und traten eine eigene Karriere rund um den Globus an. Die Schau zeigt sie zwischen Kitsch und Kunst. Engel und Sixtina erlangten Berühmheit, wenn auch abhängig von kultureller Prägung und Region. In Osteuropa begeistert die Madonna mehr Menschen. In Amerika und Asien sind die pausbäckigen Engel beliebter. Die Ausstellung soll zeigen, dass sie zusammengehören und sie will daran erinnern, dass dieses Hauptwerk der europäischen Kunstgeschichte in Dresden zu Hause ist. Man wolle nun Bild und Engel im Bewusstsein wieder zusammenführen.
Altes Werk, neue Erkenntnisse
Von Station zu Station kann der Besucher das Gemälde immer wieder neu entdecken. Die "Sixtina" verwandelte sich allmählich von einer einst verborgenen Altartafel zu einer von Dichtern und Gelehrten wegen ihrer Schönheit gerühmten auratischen Dame. Auf Irrwegen gelangte sie von einer italienischen Klosterkirche in die sächsische Residenzstadt an der Elbe.
Illustriert werden diese Geschichten mit rund 140 Objekten, darunter international hochkarätige Leihgaben aus bedeutenden Museen und Archiven, weitere bedeutende Werke Raffaels und von anderen Künstlern der Renaissance. Ein Höhepunkt ist die "Garvagh Madonna" aus der Londoner National Gallery, das Fragment eines Engels aus dem Vatikan, eine Zeichnung aus der Wiener Albertina oder das Bild "Donna Velata". Raffaels schönstes Frauenporträt aus dem Palazzo Pitti in Florenz hängt nun erstmals neben der "Sixtinischen Madonna". Ein Vergleich, der Fragen aufwirft. Ist es dieselbe Frau, die da Modell stand? Es liegt im Auge des Betrachters.