"Wir hoffen, Serebrennikow kommt frei"
7. November 2018Seit über einem Jahr steht der Regisseur Kirill Serebrennikow in Russland unter Hausarrest. Dennoch hat er für das Züricher Opernhaus die Mozart-Oper "Cosi fan tutte" inszeniert – von seinem Moskauer Schreibtisch aus. Die Proben vor Ort wurden von seinem Co-Autor Evgeny Kulagin geleitet. Die Kommunikation mit Serebrennikow lief über den Anwalt. Der Regisseur schickte Notizen und Erklär-Videos nach Zürich und bekam dann Videos von den Proben zurück. Die DW sprach mit dem Intendanten des Opernhauses Zürichs Andreas Homoki über die ungewöhnliche Produktion.
DW: Herr Homoki, was eigentlich zuerst da - die Idee, "Cosi fan tutte" im Haus zu inszenieren oder der Wunsch, mit Kirill Serebrennikow zu arbeiten?
Andreas Homoki: "Cosi fan tutte" gab es schon als Projekt, war aber noch nicht besetzt. Und dann habe ich Kirill in Berlin kennengelernt. Das war noch lange vor den ganzen Untreue-Vorwürfen.
Warum wollten Sie Serebrennikow engagieren?
Es gibt sehr wenig gute Regisseure. Kirill ist ein sehr guter Regisseur. Ich habe ihn an der Komischen Oper kennengelernt , wo er "Der Barbier von Sevilla" inszenierte. Ich fand ihn sympatisch und habe mitbekommen, dass seine Arbeit dort sehr geschätzt wird, auch vom Ensemble, von den Sängern. Ich hörte, dass er gut im Team arbeiten kann und spannendes Theater macht. Das war der Anfang.
Dann habe ich mir den "Barbier" angeschaut und er hat mir gefallen. Von "Salome", die er in Stuttgart inszenierte, die aber nicht mehr lief, habe ich mir eine Videoaufnahme besorgt, die ich auch interessant fand. Ich wusste, er wäre für unser Haus eine neue Farbe - von der Spielweise, von der Herangehensweise, vom konzeptionellen Ansatz.
Sind Sie mit dem Ergebnis zufrieden? Die Kritiker sind begeistert, das Publikum auch.
Ich bin sogar sehr zufrieden. Es war die beste Opernarbeit, die ich von Kirill gesehen habe. Und das bei so einem schweren Stück und unter diesen besonderen Bedingungen.
Wäre es nicht einfacher für Sie gewesen, einen anderen Regisseur zu engagieren, als klar wurde, dass Serebrennikow unter Hausarrest bleibt und nicht nach Zürich kommen kann?
Einen anderen Regisseur zu holen, wäre weniger riskant gewesen, und damit wäre ich der Verantwortung gegenüber dem Publikum gerecht geworden. Aber ich habe es dann nicht übers Herz gebracht, ihm zu schreiben: "Lieber Kirill, wir machen es nicht, wünsche Dir alles Gute für Deinen Prozess". Ich hatte mich entschieden, ich wollte um jeden Preis seine Aufführung realisieren. Dann kam sein Co-Autor Evgeny Kulagin hierher. Wir haben ausführlich gesprochen, und ich hatte das Gefühl, er weiß, was zu tun ist, er kennt Kirill. Die Aufführung war eigentlich schon ganz genau ausgearbeitet - in Form eines Regiebuchs. Ich kenne mich da aus und weiß, dass das schon die halbe Miete ist.
Die Premiere war ein großer Erfolg. Was denken Sie, worum ging es Kirill bei seiner Interpretation dieses Stoffs aus dem 18. Jahrhundert?
Kirill hat mir das Stück ganz gut erklärt. Es geht um den Verlust von Liebe, um die Veränderung und darum, wie grausam diese Veränderung sein kann. Wir leben nur durch Veränderungen, wollen aber den Stillstand. Man kann aber überhaupt nichts festhalten. Ohne Vergehen gibt es kein Werden. Das ist die unauflösbare Schwierigkeit unserer Existenz. Es gibt keine Beständigkeit. Und das ist das Traurige. Komödien haben immer einen ernsthaften, existentiellen Hintergrund. Nur so überspitzt, so treffend, so kombiniert, dass wir darüber lachen müssen. Aber wir können darüber lachen, weil wir diese Probleme kennen.
Der Prozess gegen Kirill Serebrennikow und seine Kollegen hat am Mittwoch (7.11.2018) in Moskau begonnen. Was erhoffen Sie sich?
Ich hoffe, dass irgendwer sagt: "Hallo! Das müssen wir fallen lassen." Und dann kommt Kirill frei. Ich habe kein großes Vertrauen in die rechtsstaatlichen Instrumente Russlands. Und jetzt hat man sich sehr weit vorgewagt, jetzt muss man auch was liefern, oder? Man kann nicht mehr einfach nur sagen: "Entschuldigung!" Das wird schwierig. Deswegen glaube ich, es wird ein Urteil geben. Wenn man ihm Böses will, muss er ins Gefängnis. Sein Anwalt sagt, er sei optimistisch, dass es ein fairer Prozess sein wird. Andere sagen, es ist Zweckoptimismus. Aber mich fragt ja keiner. Leider.
Das Gespräch führte Daria Bryantseva.