1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Aufstand des kleinen Mannes

Alexander Kudascheff30. April 2002

Le Pen ist nicht der einzige Ultranationalist, der in Europa Erfolge feiert. Wie gefährlich ist die neue Strömung? Stehen die europäischen Gesellschaften am Scheideweg? Alexander Kudascheff kommentiert.

https://p.dw.com/p/27uA

Europa rückt nach rechts, keine Frage. Denn inzwischen werden sieben Länder der Europäischen Union von den Konservativen regiert. Noch vor drei Jahren waren es gerade einmal drei. Da sprach man allenthalben von einem bevorstehenden sozialdemokratischen Jahrzehnt. Davon ist nun nicht mehr die Rede. Das aber ist bestenfalls ein normaler politischer Pendelschlag, demokratischer Alltag sozusagen.

Brisant, gefährlich ist etwas ganz anderes. In vier europäischen Länder sind die Ultrarechten das Zünglein an der Waage. In Österreich regiert die FPÖ Jörg Haiders mit, in Dänemark toleriert die dänische Volkspartei die konservative Minderheitsregierung, in Portugal sitzt ein Rechtsaußen mit am Kabinettstisch, in den Niederlanden, in Belgien sind die Ultrarechten erfolgreich, und in Italien schließlich haben neben dem Medienmogul Berlusconi Umberto Bossi von der separatistischen Lega Nord und Gianfranco Fini von der postfaschistischen Nationalen Allianz das politische Sagen. "UItrarechts" - wird banalisiert, es wird toleriert, es wird hoffähig.

Mehr als ein Schock war aber die Zertrümmerung der politischen Landschaft Frankreichs. Der Sieg des rechtsradikalen Le Pen über den erfolgreichen amtierenden Premier Jospin war ein Erdbeben. Mit Le Pen kommt die häßliche Fratze der Rechtsextremisten ins politische Tagesgeschäft.

Le Pen ist die Chiffre für den Aufstieg der nölenden Kleinbürger, der Antieuropäer, der Globalisierungsgegner, der Rassisten. Er steht für den Aufstand der kleinen Leute, die sich entrechtet fühlen. Denn das politische Erdbeben, das er ausgelöst hat, ist zu allererst eine schallende Ohrfeige für die etablierten Parteien.

Die Suppe, die Le Pen in Frankreich kocht, unterscheidet sich im übrigen nur in Nuancen von der Suppe, die Haider, Bossi, Kijärsgard, Fortuyn, Blocher, Hagen oder der Vlaamse Blok zu Hause in Österreich, Italien, Dänemark, Holland, der Schweiz, Norwegen oder Belgien kochen. Das Ressentiment, das Le Pen nährt, heißt zuerst: Die da oben sind schuld - die Parteien, das Establishment, das System. Es verhindert, dass der kleine Mann seine faire Chance bekommt.

Der zweite Schuldige: Das sind die anderen - die Ausländer, die Immigranten, die Flüchtlinge, die Muslime, wenn nötig, die Juden. Deswegen findet der kleine Mann keinen Arbeitsplatz, deswegen sind die Städte unsicher, deswegen fühlt er sich zu Hause nicht mehr wohl.

Und dann kommen die dritten Hauptschuldigen: Die anderen, die draußen sind. Also die Amerikaner, die Europäer, Brüssel. Sie verhindern, dass man den eigenen nationalen Glanz und Stolz ausleben kann. Die anderen machen die eigene Nation klein. Und mit diesem Bündel an Urteilen und Vorurteilen erobern die ultrarechten Populisten - quer durch alle Schichten - Wähler; unter den Arbeitslosen ebenso wie unter den Jungen, am wenigstens übrigens unter Frauen.

Die europäischen Gesellschaften stehen jetzt an einem Scheideweg. Sie müssen entscheiden: Wie energisch sind sie bereit, ihre Liberalität und Toleranz zu verteidigen - gegen die ultrarechte Pest, aber eben auch entschieden gegen fundamentalistischen Terror und die religiöse Intoleranz. Le Pens Sieg war ein Erdbeben. Die Gewissheit, dass er nicht siegen wird - ein Signal der Hoffnung.