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PolitikEuropa

Belarus: Deutschland zeigt sich zurückhaltend

18. August 2020

Der Druck auf den belarussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko wächst zwar. Doch in Deutschland hält man sich mit politischen Forderungen und Wünschen derzeit noch zurück. Stattdessen blicken alle nach Moskau.

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Minsk Opposition Anti Lukaschenko Proteste
Proteste in Minsk: Belarus kämpft um seine ZukunftBild: picture-alliance/AP Photo/D. Lovetsky

Minsk Opposition Anti Lukaschenko Proteste
Proteste in Minsk: Belarus kämpft um seine ZukunftBild: picture-alliance/AP Photo/D. Lovetsky

Die Revolution in Belarus ist in vollem Gange. Nach der umstrittenen Präsidentschaftswahl ziehen seit Tagen Hunderttausende Menschen gegen Amtsinhaber Alexander Lukaschenko auf die Straße. Der Historiker und Osteuropa-Experte Karl Schlögel spricht von der "Nationwerdung". Es sei "ein großartiger, europäischer Moment, der aber viel zu wenig Aufmerksamkeit in Deutschland findet", sagte Schlögel im DW-Gespräch. Bei den Protesten zur Unterstützung der Black Lives Matter-Bewegung seien Tausende auf die Straßen gegangen. Beim Thema Proteste in Minsk blieben die Deutschen zu Hause.

Tatsächlich: Seit Tagen finden in Berlin zwar vereinzelt Proteste statt, aber meist sind es jeweils nicht mehr als 100 Demonstranten, und es sind vor allem aus Belarus stammende Berliner, die dort zusammenkommen.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier appelliert an die Machthaber in MinskBild: Getty Images/M. Hitij

Politik solidarisch und zurückhaltend

Während die Solidaritätswelle auf deutschen Straßen ausbleibt, meldet sich langsam die deutsche Politik zu Wort. In einer Videobotschaft wandte sich Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier an die Bevölkerung in Belarus. "Die Menschen dieses leidgeprüften, aber stolzen Landes verdienen unsere Solidarität und Unterstützung", sagte er und sprach Lukaschenko auch direkt an. Dieser solle "nicht auf Gewalt setzen, sondern auf den Dialog". Zugleich appellierte er an das bislang zum Präsidenten stehende Militär, auf Gewalt gegen die Demonstranten zu verzichten.

Bundeskanzlerin Angela Merkel ließ bisher nur über ihren Sprecher Steffen Seibert verkünden: "Diese Menschen sollten wissen, dass Europa an ihrer Seite steht und sehr genau hinsehen wird, wie mit ihnen umgegangen wird."

Seibert bestätigte, dass die Bundesregierung Kontakt zur Oppositionspolitikerin Swetlana Tichanowskaja hatte. Auf Nachfragen, wie dieser genau zustande gekommen sei, schwieg er, "weil das der Sache nicht dient".

"Derzeit nicht einmischen"

Weißrussland Minsk | Protest der Opposition
Bei dieser Revolution ginge es nicht um die Geopolitik, sondern um ein würdiges, selbstbestimmtes Leben - sagen ExpertenBild: picture-alliance/AP/D. Lovetsky

Berliner Experten finden die Zurückhaltung der Politiker richtig.  Der Schutz der Menschenrechte sei sehr wichtig, sagte Olga Dryndova von Forschungsstelle Osteuropa der Universität Bremen. "Ich würde aber von einer aktiven Einmischung seitens der EU zu diesem Zeitpunkt sehr abraten." Alle Seiten müssten dem Land ermöglichen, den Prozess selbstbestimmt zu gestalten. "Man sieht bei den Protesten kaum europäische Fahnen, es ist vor allem eine belarussische Revolution", sagte die Politologin und fügte hinzu: Die Hauptforderung der Protestierenden seien freie Wahlen, deshalb sei die moralische Unterstützung des Westens so wichtig.

"Menschen, die in Minsk auf die Straße gehen, haben bisher keine Geopolitik auf ihrer Agenda", sagte auch Jörg Forbrig, Osteuropa-Experte des German Marshall Fund. Es ginge dabei nicht um die Frage - Europa oder Russland. Die Menschen wollten einfach vernünftig von ihrem Staat behandelt werden. "Eine schnelle Umorientierung oder eine neue Entscheidung des Landes zwischen dem Westen und Russland wäre kontraproduktiv", so der Politologe. 

1989: Ähnlich und doch anders

Minsk Lukaschenko Auftritt vor Fabrikarbeitern
Präsident Lukaschenko bekommt die Wut der Protestierenden zunehmend zu spürenBild: Getty Images/N. Petrov

Forbrig hält Vergleiche im Bezug auf die geopolitische Lage zwischen heute und der Revolution in der Ukraine 2014 für falsch, ebenso wie Vergleiche mit den Umsturzbewegungen 1989 in Mittel- und Osteuropa. 1989 habe es "eine völlig andere geopolitische Situation" gegeben. Auch die Rolle der USA sei heute anders: "Diesmal sind die USA im Grunde abwesend, während die EU verhältnismäßig schnell reagierte", sagte Forbrig. Die EU berief wenige Tage nach der Wahl einen Außenministerrat ein, ein EU-Gipfel zur Lage in Belarus steht bevor. 

Im Gegensatz zur geopolitischen Lage könnten aber Analogien zur innenpolitischen Dynamik in Belarus mit 1989 gezogen werden. "Bei den Manifestationen vom 7. Oktober 1989 in Ost-Berlin musste noch der 40. Jahrestag der DDR gefeiert werden und eine Woche später war Honecker Geschichte", erinnert sich Forbrig an den erzwungenen Rücktritt des DDR-Staats- und Parteichefs. Und Wolfgang Thierse, ehemaliger Bundestagspräsident (CDU), sagte mit Blick auf 1989: "Das ist schon die Art und Weise, wie eine Revolution entsteht."

Das Ende der Diktatur in Sicht?

Doch wie verläuft diese Revolution weiter? Alles sei möglich, so die Experten. "Entscheidend ist jetzt, was Putin tut", sagte Thierse. "Ob er Lukaschenko stützt oder ob er die Weisheit und Intelligenz von Gorbatschow hat und sagt: 'Das hat keinen Zweck, wir müssen dieses Land freigeben, Demokratie ermöglichen und damit eine neue Partnerschaft zwischen Belarus und Russland ermöglichen'."

Belarus Minsk Lukaschenko und Putin (R)
Präsidenten Lukaschenko und Putin - keine einfache FreundschaftBild: picture-alliance/AP Photo/T. Zenkovich

 Jörg Forbrig vom German Marshall Fond glaubt nicht, dass Russland zu radikalen Lösungen, wie einer militärischen Einmischung, greifen würde. "Russland wird über andere Wege versuchen, den Einfluss auf Belarus zu behalten, zum Beispiel bei der Wahl der potenziellen zukünftigen Kandidaten für die Nachfolge von Lukaschenko."

Karl Schlögel befürchtet, dass in Belarus noch "etwas Schreckliches passieren kann". Er glaubt, Wladimir Putin sei entschieden "bis zum Ende zu gehen, und darauf sind wir nicht eingerichtet".