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Allianz gegen Rechtsextremismus

15. März 2022

Verfassungsschutz, Bundeskriminalamt und Bildungsexperten ziehen beim gerade verabschiedeten Aktionsplan Rechtsextremismus an einem Strang. Ihr Ziel: Demokratie stärken – und Versäumtes nachholen. Reicht das?

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Deutschland | AfD Parteitag in Dresden | Protest
Protest gegen Rechtsextremismus in Dresden aus Anlass des AfD-Parteitages 2021Bild: Sebastian Kahnert/dpa/picture alliance

Wladimir Putins Angriffskrieg auf die Ukraine sorgt auch in der rechtsextremistischen Szene in Deutschland für Gesprächsstoff. Spekulationen über deutsche Nazis, die für die Ukraine in den Kampf ziehen, machen im Internet die Runde.

"Man darf das Thema aber nicht überschätzen", sagt der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), Thomas Haldenwang, als am Mittwoch (15. März 2022) in Berlin der Aktionsplan Rechtsextremismus vorgestellt wird. Das Ganze sei überwiegend "Maulheldentum".

Dass sich Rechtsextremisten im Ukraine-Krieg auf Anschläge in Deutschland vorbereiten könnten, hält Haldenwang jedenfalls für unwahrscheinlich. Von maximal fünf Ausgereisten ist die Rede. "Und bei denen gehen wir nicht davon aus, dass sie an Kampfhandlungen teilgenommen haben."

Berlin PK Aktionsplan Rechtsextremismus
Allianz gegen Rechtsextremismus: Verfassungsschutz-Chef Thomas Haldenwang (vorn) und Innenministerin Nancy Faeser Bild: Jürgen Heinrich/IMAGO

Viel größere Sorgen bereiten dem ranghöchsten Verfassungsschützer die zunehmende Radikalisierung des Milieus insgesamt. Mehr als 13.300 gewaltbereite Rechtsextremisten registriert der Inlandsgeheimdienst. Die Behörde ist wie das von Holger Münch geleitete Bundeskriminalamt (BKA) Teil der deutschen Sicherheitsarchitektur. Beide gehören in den Bereich von Bundesinnenministerin Nancy Faeser.  

Schulen im Fadenkreuz von Rechtsextremisten

Die Sozialdemokratin hat sich schon vor ihrem Wechsel in die Bundespolitik als Landespolitikerin in Hessen stark gegen Rechtsextremismus engagiert. Deshalb ist ihr der nun präsentierte Aktionsplan besonders wichtig.

"Wir wollen Rechtsextremismus ganzheitlich und frühzeitig bekämpfen – mit Prävention und Härte." Ziel sei es, Menschenverachtung den Raum zu nehmen und der Gewalt den Nährboden zu entziehen.

Dafür soll eine breite Allianz aus Sicherheits- und Bildungsexperten sorgen. Deshalb hat Nancy Faeser neben den Chefs von BfV und BKA den Präsidenten der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb), Thomas Krüger, ins Boot geholt. Der sagt, auch Schulen seien schon ins "Fadenkreuz von Rechtsextremisten" geraten.

Gegengesteuert werden soll vor allem mit einer verbesserten Medienkompetenz. Desinformation, Verschwörungsideologien und Radikalisierungen will Thomas Krüger mit einer "kritischen Reflexion dessen, was vor allem in den sozialen Medien passiert", bekämpfen. Gelingen soll das unter anderem mit Hilfe der nach eigenen Angaben mehr als 400 Bildungsstätten, die von der Bundeszentrale landesweit seit Jahrzehnten gefördert würden.

Jüdischer Wirt wehrt sich

 Andere Schwerpunkte sind relativ neu. Dazu gehört die geplante Zentrale Meldestelle für strafbare Inhalte im Internet (ZMI) beim Bundeskriminalamt. Dabei arbeite man mit Nichtregierungsorganisationen zusammen, sagt BKA-Präsident Holger Münch.

Gewalt wurde zu lange unterschätzt 

Angesichts der vielfältigen Beleidigungen, Bedrohungen und Aufrufen zu schweren Straftaten bis hin zu Morddrohungen insbesondere über den Messenger-Dienst Telegram wurde dafür beim BKA eine Taskforce eingerichtet. Seit Beginn der Corona-Proteste hat Hetze im Netz eine neue Dimension erreicht.

"Viele dieser Straftaten richten sich gegen Amts- und Mandatsträger, aber auch gegen Personen aus Wissenschaft und Medizin", skizziert Holger Münch die Zielgruppe von Rechtsextremisten.         

Die Gefahr von rechts sei lange unterschätzt worden, meint der Soziologe und Politologen Johannes Kiess von der Universität Leipzig. Erst seit dem Mord an dem CDU-Politiker Walter Lübcke 2019 sei auch den Spitzen der Sicherheitsbehörden und der Politik klar geworden, dass es so nicht weitergehen könne, sagt er im DW-Gespräch.

Der Rechtsextremismusexperte, der auch stellvertretender Direktor des Else-Frenkel-Brunswik-Instituts für Demokratieforschung ist, ist überzeugt, dass der Kampf gegen Rechtsextremismus "schon nach der Selbstenttarnung des NSU hätte beginnen sollen".

Demokratie will gelernt sein

Die 2011 aufgeflogene Terrorgruppe, die sich selbst "Nationalsozialistischer Untergrund" nannte, ermordete von 2000 bis 2007 neun Männer mit ausländischen Wurzeln und eine Polizistin.   

Infografik NSU-Mordopfer Deutsch

Was bislang fehle, sei eine kontinuierlichere Finanzierung zivilgesellschaftlicher Demokratie-Arbeit und ein höherer Stellenwert von Demokratie-Bildung auch im Schulunterricht, meint Johannes Kiess. Genau an diesem Punkt will Innenministerin Nancy Faeser mit ihrem Aktionsplan Rechtsextremismus ansetzen.

Der sei wichtig, "aber man darf sich davon auch nicht täuschen lassen", mahnt der Forscher. Man habe es mit einem gesamtgesellschaftlichen Problem zu tun, dass man mit so einem Plan allein nicht bewältigen könne.

Aus sozialpsychologischer Sicht müsse man bedenken, dass bestimmte Milieus, wenn sich autoritäre Strukturen festgesetzt haben, nicht einfach erreichbar seien. "So etwas entsteht nicht von Heute auf Morgen und lässt sich entsprechend nicht von Heute auf Morgen bekämpfen."

Umso wichtiger sei es, "dass extrem rechte Akteure wirklich ausgegrenzt, an den Rand gedrängt werden". Und das immer wieder gezeigt werde, dass für solche Akteure in der demokratischen Gesellschaft kein Platz sei.

Deutschland Johannes Kiess, Soziologe an der Universität Siegen
Rechtsextremismus-Forscher Johannes Kiess hält die AfD für eine "klar rechtsextreme Partei"Bild: Universität Leipzig

Die AfD steht mehr denn je unter Beobachtung

Dabei denkt Johannes Kiess auch an die im Bundestag und allen 16 Landesparlamenten vertretene Alternative für Deutschland (AfD). Das Urteil des Kölner Veraltungsgerichts vom 8. März 2022, die Partei zum Verdachtsfall zu erklären, hält er für "folgerichtig und nachvollziehbar". Aber diese Einschätzung käme viel zu spät und die Frage sei, was das für Konsequenzen habe?

Für ihn sei die AfD schon lange eine "klar rechtsextreme Partei". Jedoch bleibe das Problem bestehen, dass der Verfassungsschutz nicht unbedingt das geeignete Mittel sei, "um mit rechtsextremen, faschistischen Tendenzen unserer Gesellschaft umzugehen".

Rechtsextremismus sei ein gesamtgesellschaftliches Thema. Von der Politik erwartet der Demokratie- und Extremismus-Experte, sich nicht nur dann zu positionieren, "wenn mal wieder was brennt". Diese Sorge kann mit Hilfe des Aktionsplans Rechtextremismus entkräftet werden, hofft Innenministerin Nancy Faeser.    

Deutsche Welle Marcel Fürstenau Kommentarbild ohne Mikrofon
Marcel Fürstenau Autor und Reporter für Politik & Zeitgeschichte - Schwerpunkt: Deutschland