"Bronzehaus" spaltet Sofia
25. Oktober 2017Wo der wuchtige Säulenbau einst genau stand, ist auf dem gelben Kopfsteinpflaster des Sofioter Battenberg-Platzes kaum mehr zu erahnen. Dort wo einst lange Menschenreihen um Einlass in den sozialistischen Totentempel harrten, klafft nun die von einem Park umsäumte Lücke eines mäßig frequentierten Parkplatzes.
Die neue Nutzung des einstigen Standorts des 1999 weggesprengten Georgi-Dimitroff-Mausoleums werde helfen, "die Traumata der Vergangenheit zu überwinden", versichert der in Wien lebende Künstler Plamen Dejanoff. Doch sein von der österreichischen Botschaft in Sofia unterstütztes Vorhaben, während Bulgariens kommender EU-Präsidentschaft 2018 für ein Jahr das verschwundene Totenhaus von Bulgariens Sozialistenlegende durch ein nicht minder imposantes "Bronzehaus" zu ersetzen, stößt in Sofia schon vor dessen heutiger Vorstellung an der Neuen Bulgarischen Universität auf ein zwiespältiges Echo.
Bestattung mit vier Jahrzehnten Verspätung
An der überhasteten Tilgung des sozialistischen Pilgerorts aus dem Stadtbild scheiden sich auch 18 Jahre später in Sofia noch stets die Geister. Dabei hatten sich in dessen letzten Betriebsmonaten kaum mehr Neugierige in die grünlich beleuchtete Grabesgruft verirrt. Nur noch wenige Besucher machten sich Ende der 80er Jahre in die düsteren Katakomben des Georgi-Dimitroff-Mausoleums auf, um einen befremdeten Blick auf den einbalsamierten Leichnam von Bulgariens 1949 verstorbener Sozialistenlegende zu werfen.
Schon kurz vor dem Fall von Bulgariens sozialistischer Nomenklatura wurden die Pforten des Mausoleums im September 1989 für die Öffentlichkeit geschlossen. Ein knappes Jahr später verloren dessen Angestellte ihren Job – und der Glassarkophag seinen toten Bewohner: Nach seiner Einäscherung wurde der Leichnam des Ex-Generalsekretärs der Kommunistischen Internationalen 1990 mit mehr als vier Jahrzehnten Verspätung endlich begraben.
Vierfach gesprengt
Bis auf Fotos ist nichts mehr von der einstigen Stadtattraktion zurückgeblieben. Denn Dimitroff antikommunistische Epigonen ließen zum Bedauern von Historikern dessen Ruhestätte 1999 in Schutt und Asche legen. So schnell wie geplant ging die Beseitigung des Wallfahrtsorts allerdings nicht über die Bühne. Drei-Sprengversuche überstand der mit einem Atombunker im Fundament verstärkte Säulenbau, erst ein vierter machte ihm den gewünschten Erdboden gleich. Insgesamt währte die ebenso umstrittene wie mühsame Sprengung des Mausoleums genau so lange wie ihr Bau: sechs Tage.
Die Frage des Umgangs mit den Wahrzeichen der Vergangenheit beschäftigte nach der Wende alle ex-sozialistischen Staaten. Der Leichnam von Wladimir Iljitsch Lenin dämmert in dessen Moskauer Mausoleum zwar noch stets dornröschengleich vor sich hin. Doch in den früheren Satellitenstaaten des zerbröselten Sowjetimperiums sind fast alle seiner Büsten von den Sockeln geholt: Gemeinsam mit denen von Engels, Marx und anderen Arbeiter- und Bauernhelden haben die Leninstatuen nicht nur in Moskau, sondern auch in Budapest und Vilnius in Denkmalparks eine neue, vor allem von Touristen besuchte Heimat gefunden.
Der Sozialismus vergeht, der Beton bleibt
Personenkult und autoritäre Parteienherrschaft haben in der ex-sozialistischen Welt wieder Konjunktur. Die architektonischen Zeugen der sozialistischen Epoche blieben trotz des asbestbedingten Abrisses des Berliner Palasts der Republik ohnehin weitgehend unversehrt. Selbst das russophobe Polen hat vom einst angedachten Abriss des Sowjet-Geschenks des Warschauer Kulturpalast abgesehen - und sich das wuchtige Erbe seiner sozialistischen Ära wohlweislich bewahrt.
"Die hätten in dem Mausoleum auch ein Museum über den Sozialismus einrichten können", so oder so ähnlich ärgerten sich in Sofia hingegen zahlreiche Bürger über dessen überhasteten Abriss. Tatsächlich scheint die Lücke, die die Geschichtstilgung per Abrissraupe ins Stadtbild und das nationale Gedächtnis riss, in Bulgariens Hauptstadt noch stets genauso so viele Diskussionen zu entfachen wie die in den 90er Jahre erörterte Frage, wie sich der (sinn)entleerte Sozialistenhades denn anders nutzen ließe.
Bulgariens im nächsten Jahr winkende EU-Präsidentschaftsehren sind es nun, die Sofias Stadtväter dazu veranlassen, über die von Dejanoff vorgeschlagene Umnutzung des Orts des verschwundenen Mausoleums zu beraten. Österreich, das im zweiten Halbjahr die EU-Präsidentschaft von Bulgarien übernimmt, ist bereit, die Kosten von drei Millionen Euro für die auf ein Jahr begrenzte Installierung des 14 Meter hohen Bronzehaus zu übernehmen.
Säulengebilde teilt die Geister
Zwar beherbergt das ärmste EU-Mitglied Bulgarien laut Umfragen besonders enthusiastische EU-Bürger. Doch Kritiker halten das einem Turm des berühmten Rila-Klosters nachempfundene Säulengebilde zu Ehren der EU für eine dem Standort wenig gerecht werdende "Provokation": Ähnlich wie beim überstürzten Abriss des Mausoleums werfen sie den Stadtvätern auch bei den Plänen für das Bronze-Haus einen eigenmächtigen und schlecht kommunizierten Sololauf vor.
Malina Edrewa, die Vorsitzende des Kulturausschusses des Stadtrats, betont in der Lokalpresse jedoch, dass die endgültig Entscheidung über das Projekt noch gar nicht gefallen sei. Nach zwei Präsentationen in der Neuen Bulgarischen Universität und in der Bibliothek werde es noch zu einer öffentlichen Anhörung im November kommen: Erst im Dezember würden Sofias Stadträte endgültig über das Vorhaben und dessen Standort beschließen.
So wie es war, wird Bulgarien nie mehr sein. Und so wie sich Sofia entwickelt, scheint es manchen auch nicht recht zu sein: Vor allem ältere Passanten zeigen sich in TV-Umfragen über die etwaige Umnutzung des heutigen Parkplatzes eher skeptisch. "Ein solches Denkmal an diesem Platz? Was für ein Blödsinn!", verkündet ein weißhaariger Rentner mit wegwerfender Handbewegung. Auch ein vor fast sieben Jahrzehnten verblichener Sozialistenführer hat in Bulgarien eben mehr als nur ein irdisches Leben: Selbst über den Ort seines einstigen Totenhauses teilen sich 18 Jahre nach Abriss noch stets die Sofioter Geister.