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Brummi-Messe IAA: Jahr der Flaute

Klaus Ulrich (mit Agenturen)21. September 2016

Die Globalisierung und der boomende Online-Versandhandel treiben den Lkw-Verkehr zu immer neuen Rekorden. Doch für die Hersteller könnte das Jahr der Nutzfahrzeugmesse in Hannover nicht schlechter laufen.

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Deutschland 66. IAA Nutzfahrzeuge in Hannover
Bild: picture-alliance/dpa/H. Hollemann

Für die Hersteller könnte das Jahr der Nutzfahrzeugmesse in Hannover nicht schlechter laufen.

Die Globalisierung und der boomende Online-Versandhandel treiben den Lkw-Verkehr zu immer neuen Rekorden. Doch für die Hersteller könnte das Jahr der Nutzfahrzeugmesse in Hannover nicht schlechter laufen.

Wenn Daimler Nutzfahrzeugvorstand Wolfgang Bernhard auf den brasilianischen Markt angesprochen wird, verfinstert sich seine Miene. "Für Brasilien hatten wir eigentlich die Erwartung, dass es sich in diesem Jahr stabilisieren könnte", so Bernhard kürzlich in einem Interview. Diese Erwartungen hatte Daimler im Laufe des Jahres bereits nach unten korrigiert. "Es bestehen aber immer noch berechtigte Zweifel, ob das ausreicht", sagt Bernhard.

In Brasilien hat Daimler bereits massiv Personal abgebaut. In diesem Jahr streicht der Autokonzern noch einmal 2000 Arbeitsplätze, nachdem 2015 schon 3200 Stellen weggefallen sind. Damit sinkt die Mitarbeiterzahl auf 8200. Das Abfindungsprogramm sei abgeschlossen, erklärt Bernhard. "Wir hoffen, dass sich die Situation im kommenden Jahr verbessert." Auch Konkurrent MAN macht die Lage in Südamerika zu schaffen. Der deutsche Branchenverband VDA rechnet in Brasilien mit einem Minus von 25 Prozent.

Nur gedämpftes Wachstum

Brasilien ist nicht der einzige Markt, der den Lastwagenbauern in diesem Jahr Sorgen bereitet. Weltweit rechnet der VDA zwar mit einem Anstieg der Verkäufe von drei Prozent auf 2,8 Millionen bei schweren Lastwagen mit mehr als sechs Tonnen Gewicht. Doch außerhalb von Westeuropa und China gibt es wenig Wachstum. "Im Laufe des Jahres haben sich die Märkte bis auf wenige Ausnahmen nicht verbessert, sondern eher eingetrübt", sagt Bernhard.

In Übersee ist das Bild teils katastrophal: Für die USA erwartet der VDA für 2016 nach sechs Jahren Wachstum 15 Prozent Rückgang. Die Märkte Russland und Brasilien haben sich gerade halbiert. Und sogar China, ein Schlaraffenland bei den Pkw, fährt bei schweren Nutzfahrzeugen den fetten Jahren vor 2015 weiter hinterher.

"Wir gehen dieses Jahr in einem eher schwierigen Umfeld in die IAA-Nutzfahrzeuge (22.-29.09.2016)", so Daimler-Vorstand Bernhard, der auf neue Impulse durch die Messe hofft.

Daimler präsentiert selbstfahrenden Bus

Lichtblick Naher- und Mittlerer Osten

Einen kleinen Lichtblick glaubt Roman Mathyssek von der Unternehmensberatung Arthur D. Little zu erkennen. Er hat in einer Studie den Markt im Nahen und Mittleren Osten untersucht. "Durch die Öffnung des Iran und durch die Diversifikation der Volkswirtschaften in Nah- und Mittel-Ost unter dem Motto: Weg vom Öl, hin zu anderen großen Industriezweigen, werden sich neue Marktchancen ergeben", sagt der Nutzfahrzeugexperte im Gespräch mit der DW. Insgesamt werde sich der Markt um 70.000 auf über 220.000 Fahrzeuge pro Jahr erhöhen. Nicht nur die Zahl der verkauften Fahrzeuge werde zunehmen, sondern auch die Qualität, Ausstattung und damit die Wertigkeit der Fahrzeuge. "Das ist auch eine gute Nachricht für die europäischen Hersteller", so Mathyssek.

Der Unternehmensberater verweist auf die Krise der Branche in Brasilien und ganz Südamerika. "Die Hersteller sitzen dort auf Kapazitäten, die sie eigentlich im Markt nicht mehr verkaufen können", sagt Mathyssek. Da werde das Thema Naher und Mittlerer Osten wieder interessant. "Von den Marktanforderungen sind große Ähnlichkeiten in Südamerika und im Nahen und Mittleren Osten festzustellen. Deshalb kann man Fahrzeuge, die ursprünglich für Südamerika bestimmt waren, in diese Region exportieren."

Neue Technologien auf dem Vormarsch

Auf der IAA Nutzfahrzeuge werden die Hersteller auch die neuesten Technologien vorstellen. "Die Erwartungen an das autonome Fahren sind groß", sagt Michael Rüger, der ebenfalls bei Arthur D. Little die Nutzfahrzeug-Branche analysiert, im DW-Gespräch. Man erwartete, dass weniger Unfälle mit Hilfe dieser Technik passieren. "Dadurch wird die Sicherheit des Personals und der Güter besser gewährleistet", so Rüger. Auch die Effizienz könne gesteigert werden. "Die Fahrzeuge werden intensiver und über einen längeren Zeitraum genutzt."

Zumindest teilautonomes Fahren von Trucks unterstützt die Politik schon aktiv: Auf Initiative der niederländischen Regierung während ihres EU-Ratsvorsitzes führten die sechs europäischen Lkw-Bauer Daimler, DAF, Iveco, MAN, Scania und Volvo im Frühjahr vor, was bald auf der Autobahn gehen soll. In einer Sternfahrt nach Rotterdam ließen sie Konvois aus zwei bis drei Lastwagen wie Züge fahren: Beim "Platooning" steuert nur der erste Lkw, während die folgenden in engem Abstand im Windschatten hinterherfahren.

Daimler Future Truck 2015
So stellt sich Daimler den Lkw der Zukunft vorBild: Daimler AG

Verbrauch senken, Sicherheit erhöhen

Der Kraftstoffverbrauch, der rund ein Viertel der Gesamtkosten einer Spedition ausmacht, werde so um bis zu zehn Prozent gesenkt, erklärt der Zulieferer Bosch. Durch das Automatisieren könnten zudem 90 Prozent aller von Trucks verursachten Unfälle mit Personenschaden verhindert werden, schätzen die Unfallforscher des Zulieferers. Niedrigere Versicherungskosten sind deshalb ebenfalls ein Verkaufsargument für neue Assistenzsysteme.

Noch sind für die Spediteure vor allem Spritspartechnik und Fahrerassistenz wichtig. Automatisiertes Fahren stehe laut einer Umfrage im Auftrag des Zulieferers Continental nur bei 20 Prozent der Logistiker auf der Wunschliste. Die Fahrer selbst beschäftigen ganz praktische Probleme: Anzeigesysteme für freie Rasthöfe etwa und Navigationssysteme. Gleichzeitig rechnet die Branche mit spitzem Bleistift. Der Continental-Umfrage zufolge müssen sich Investitionen in spritsparendes Fahren beispielsweise in zwei Jahren rechnen.

Entsprechen nüchtern beurteilen Kunden von Daimler, MAN oder Volvo die Perspektiven: "Wir brauchen kein Wolkenkuckucksheim. Entscheidend ist: Was spart uns Kosten über niedrigeren Energieverbrauch oder weniger Aufwand im laufenden Betrieb?", sagt der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL), Karlheinz Schmidt. Für ein Logistikunternehmen zählt, ob es Sprit, Arbeitseinsatz und Versicherungsprämien einsparen kann, Unfälle und Ausfallzeiten vermeiden oder Ladekapazitäten besser nutzen kann. Nur wenn die "Total Cost of Ownership" - die Gesamtkosten inklusive Spritverbrauch - spürbar sinken, haben neue Technologien eine Chance, in Serie auf die Straße zu kommen.

Volvo testet selbstfahrende Trucks im Tunnel
Volvo testet selbstfahrende Trucks im TunnelBild: VOLVO TRUCKS

Verkehrsinfarkt bahnt sich an

Doch dort droht sowieso ein Kollaps aus Stau, Abgas und Unfällen. "Natürlich steigt das Risiko, dass wir noch stärker auf einen Verkehrsinfarkt zusteuern", sagt Peter Fuß, der beim Beratungsriesen EY die Branche beobachtet.

Auf deutschen Autobahnen, etwa an der Ost-West-Achse A2, genügt oft ein Blick auf die rechte Spur und die Sache ist klar: Der Lkw-Verkehr ist nah am Anschlag, heute schon. Mit dem Blick auf die Zukunftsprognosen der Branche wird einem erst recht blümerant. Auf deutschen Straßen wickelten Fuhrunternehmen im Jahr 2010 rund 265 Milliarden Tonnenkilometer ab, also Ladung mal geschaffte Wegstrecke. Bis 2050 sollen es laut OECD-Berechnungen noch 40 Prozent mehr sein. Weltweit gesehen sind die Vorhersagen noch steiler. "Wahnsinn" nennen das Umweltschützer wie der BUND und der ökologische Verkehrsclub VCD. Ein wichtiger Grund übrigens: Der explodierende Online-Handel.