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Charlotte Knobloch neue Präsidentin des Zentralrats der Juden

7. Juni 2006

Charlotte Knobloch ist zur neuen Präsidentin des Zentralrats der Juden gewählt worden. Das Entscheidung für die Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde fiel einstimmig.

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Charlotte KnoblochBild: AP

Der Zentralrat der Juden in Deutschland hat am Mittwoch (7.6) Charlotte Knobloch zur neuen Präsidentin gewählt. Das gab das Präsidium des Zentralrats am Mittwoch in Frankfurt am Main bekannt. Die 73-jährige Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde in München tritt die Nachfolge von Paul Spiegel an, der am 30. April nach schwerer Krankheit im Alter von 68 Jahren gestorben war. Die Entscheidung für Knobloch fiel einstimmig aus.

Keine Überraschung

Ganz überraschend kam das Ergebnis nicht. Nicht nur Journalisten spekulierten, dass die Chefin der Münchner Gemeinde als erste Frau Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland werden würde. Knobloch selbst hat in der Vergangenheit, bereits nach dem Tod des früheren Präsidenten Ignatz Bubis, keinen Zweifel daran gelassen, dass sie für dieses Amt bereit ist. Nun folgt sie Spiegel nach, dessen Stellvertreterin sie fast ein Jahrzehnt lang war.

Mit Knobloch steht eine Frau an der Spitze des Zentralrats, die sich einmal sehr genau überlegt hat, ob sie in Deutschland überhaupt bleiben will. 1932 in München als Tochter des Rechtsanwalts Fritz Neuland geboren, hat sie den Holocaust nur überlebt, weil eine ehemalige Hausangestellte ihres Onkels, eine Katholikin, sie als ihre uneheliche Tochter ausgab und zu sich in ihre fränkische Heimat nahm. Die Kanzlei des Vaters am Münchner Karlsplatz liegt fast im Schatten der von den Nazis später dem Erdboden gleichgemachten Hauptsynagoge.

Münchner Institution

Als Charlotte 1951 den Kaufmann Samuel Knobloch, einen Überlebenden des Krakauer Gettos heiratete, beschlossen die beiden zunächst, nach Amerika auszuwandern. Knobloch machte noch schnell eine Schneiderlehre, doch dann hielt die erste Schwangerschaft das Paar von der anstrengenden Reise ab. Sie blieben, und Knobloch wurde zu einer Münchner Institution.

Nach der Erziehung ihrer Kinder - Charlotte Knobloch hat einen Sohn, zwei Töchter und sieben Enkelkinder - beginnt sie, sich in der Israelitischen Kultusgemeinde zu engagieren. Sie übernimmt soziale Aufgaben, wird ins Präsidium und zur Vorsitzenden der nach Berlin zweitgrößten deutschen jüdischen Gemeinde gewählt. Es folgte eine steile Karriere: Knobloch wurde Vizepräsidentin des Zentralrats der Juden, des Europäischen Jüdischen Kongresses und des Jüdischen Weltkongresses, Mitglied in zahlreichen Kuratorien und Stiftungen - kein Wunder, dass ihre Tatkraft allerorten gerühmt wird.

Nächstenliebe als Motiv

Die jüdische Gemeinde Münchens, mit 9000 Mitgliedern die zweitgrößte in Deutschland, weiß, was sie an ihrer zierlichen Präsidentin in den schicken Kostümen hat. Die Tochter einer orthodoxen Familie hat es geschafft, die Gemeinschaft nach der Wende zusammenzuhalten, während andere Gemeinden in Deutschland im Streit über die Integration jüdischer Zuwanderer aus Osteuropa längst auseinander driften. Knobloch dagegen begreift die neuen Mitglieder als Chance. Mit dem Bau der Synagoge sowie des neuen jüdischen Zentrums geht für sie ein Traum in Erfüllung. Das jüdische Zentrum mitten in der Münchner City, das größte jüdische Bauvorhaben in ganz Europa, verkörpert ihre Vision: Dass die jüdischen Mitbürger nach Holocaust und Nazi-Gräueln wieder einen angestammten Platz in der deutschen Gesellschaft haben sollen.

Eine orthodox geführte Gemeinde ist ihrer Überzeugung nach die "Voraussetzung für das Fortbestehen des Judentums". Die Motivation für ihre Ämter und ihre Arbeit zieht Charlotte Knobloch aus dem Bibelspruch "Liebe deinen Nächsten wie dich selbst". Dieses Gebot sei die "Basis für ein Miteinander in gegenseitiger Achtung und Respekt" und verbinde Judentum und Christentum, ist sie überzeugt. Aus dieser religiösen Überzeugung nimmt Knobloch auch die Kraft für ihr unbeugsames politisches Engagement. Mutig und mit klaren Worten zieht sie gegen Antisemitismus und Ausländerfeindlichkeit zu Felde, oft im engen Schulterschluss mit den beiden großen Kirchen.

Liebenswürdig und offen

Die, die mit Knobloch zusammengearbeitet haben, loben ihre liebenswürdige Art und ihre Fähigkeit, auf Menschen zuzugehen. Allerdings versteht es die Präsidentin auch, andere in ihre Schranken zu verweisen. Ihre Meinung verleiht sie nicht immer so diplomatisch Ausdruck, wie sich das mancher wünschen würde. Das ist die andere Seite ihrer äußerst konsequenten Art. Die volle Unterstützung ihrer Münchner Gemeinde ist Knobloch bei ihrer künftigen Arbeit jedenfalls sicher: Ihr neues Amt hebe auch das Münchner Renommee, sagt Vizepräsident Marian Offman.

Die Witwe wohnt noch heute in der Villa, die schon ihrer Familie gehörte. Gästen zeigt sie manchmal die Wendeltreppe, die einst zum Versteck ihres Vaters führte. Menschen, die sie privat kennen, schwärmen von Knoblochs Humor und der Energie, mit der sie sich für alle einsetzt, die sie liebt - ob das ein kleiner bissiger Hund aus dem Tierheim ist oder eines ihrer Enkel. Dass die Münchner Ehrenbürgerin, die sich längst an ein Leben mit Personenschutz gewöhnen musste, künftig noch spontan zum Babysitten fahren kann, ist allerdings zu bezweifeln. (stu)