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Das Wunder von Lieg: das Null-Corona-Dorf

23. April 2021

Ganz Deutschland ächzt unter Corona. Ganz Deutschland? Nein, in der 400-Seelen-Gemeinde Lieg in Rheinland-Pfalz kennt man das Virus überhaupt nicht.

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Rheinland-Pfalz Lieg
Bild: Oliver Pieper/DW

Das Dorf, das sich entschieden hat, dem Coronavirus eine lange Nase zu zeigen, liegt idyllisch im Hunsrück-Mittelgebirge, nur einen Katzensprung von der Mosel entfernt. Liebevoll restaurierte Fachwerkhäuser, Feuerwehr und Grundschule, eine imposante Kirche im Ortskern, eigentlich ein Dorf wie jedes andere der 30.000 Gemeinden in Deutschland.

Doch die 400 Einwohner von Lieg schreiben gerade an einer Geschichte, die so unglaublich klingt, dass hier viele vom "Wunder von Lieg" sprechen. 3,25 Millionen Menschen haben sich in Deutschland seit Beginn der Pandemie mit dem Corona-Virus infiziert, in Mittelsachsen liegt die Inzidenz gerade bei 437.

In dem kleinen Dorf in Rheinland-Pfalz beträgt die Anzahl der Neuerkrankungen derzeit dagegen Null. Und nicht nur heute, in Lieg hat es in 14 Monaten keine einzige Corona-Infektion gegeben. So, als würde das Virus Tag für Tag an einer imaginären Glaskuppel über der Gemeinde abprallen.

Heinz Zilles ist der Mann, der diese unglaubliche Geschichte erzählt, er sagt: "Wir haben ein riesengroßes Glück bislang gehabt, natürlich ist das immer noch eine Momentaufnahme. Vielleicht haben wir auch einen Schutzengel da oben, der sagt, wir lassen dieses Dorf in Ruhe."

Das "Wunder von Lieg" wird zum Medienspektakel

Bei Zilles, 57 Jahre, Ortsbürgermeister von Lieg, steht seit zwei Wochen das Telefon nicht mehr still. Als die Lokalzeitung erstmals über das Wunderdorf berichtete, ahnte er noch nicht, was für eine Medienlawine auf ihn zurollen würde. Seitdem geben sich bei ihm die Reporter die Klinke in die Hand, wollen wissen, was Lieg anders und besser macht als alle anderen. Was also, außer einer Portion Glück, ist das Geheimrezept?

Rheinland-Pfalz Lieg
"Unsere Geschichte vermittelt eine positive Botschaft bei den ganzen Schreckensmeldungen" - Heinz ZillesBild: Oliver Pieper/DW

"Wir haben eine tolle Dorfgemeinschaft, viele ehrenamtliche Helferinnen und Helfer, die sofort da sind und anpacken. Alle sehen sich als Teil des Teams Lieg und machen mit", sagt Zilles. Die Jugend stampfte in Windeseile den Einkaufsservice "Jung für Alt" aus dem Boden, ein Team schaute immer wieder, mit kleinen Präsenten im Gepäck, bei den älteren Menschen vorbei, die Eltern der Grundschule sammelten Geld für zwei Raumluftfilter.

In Lieg soll weiter die Null stehen

"Das, was die Politik oft proklamiert, aber nicht umsetzt, das nehmen wir selbst in die Hand", sagt der Ortsbürgermeister stolz. Lieg lebt das vor, was viele Dörfer in Deutschland auszeichnet: Die Menschen kennen sich und passen aufeinander auf. Und niemand kommt bei einer Inzidenz von null möglicherweise auf die Idee, dass das Virus vielleicht gar nicht existiert.

"In Lieg gibt es keinen einzigen Corona-Leugner", versichert Zilles, "die Menschen halten sich an die Regeln, sind vernünftig und diszipliniert und akzeptieren, dass wir es mit einer weltweiten Pandemie mit einer sehr großen Tragweite zu tun haben."

Rheinland-Pfalz Lieg
Corona-Primus im Landkreis Cochem-Zell: die Gemeinde LiegBild: Oliver Pieper/DW

Obwohl 90 Prozent der Berufstätigen in Lieg Pendler sind, ist das Dorf bis jetzt von Corona-Infektionen verschont geblieben. "Die Null muss stehen" ist eine alte Fußballer-Weisheit, nur ohne Gegentor kann man das Spiel gewinnen. Die Menschen in Lieg haben es zu ihrem Motto gemacht. 

Doch Heinz Zilles hält, um beim Sport zu bleiben, den Ball bewusst flach. "Wir sehen das nicht als Wettbewerb, um Gottes willen. Es kann auch immer passieren, dass wir die Null nicht halten können, da kann dann auch niemand was dafür."

Ferienwohnungen trotz der Inzidenz geschlossen

Wenn Martin Weil mit der Null-Inzidenz von Lieg werben würde, wären seine vier Ferienwohnungen wohl noch gefragter als ohnehin schon. Sein "Landhof Lieg" lockt mit Wanderrouten, zwei Isländerstuten zum Reiten und Deutschlands schönster Hängeseilbrücke. Doch seit dem 2. November darf Weil an keine Touristen mehr vermieten: Corona-Bestimmungen. Und das trotz der Null.

"Ich bin da immer ein wenig hin- und hergerissen, weil die Ferienwohnungen einerseits dafür prädestiniert sind, kontakt- und problemlos Gäste zu empfangen. Andererseits: Wollen wir, dass Menschen, die aus einer Region mit einer 300er-Inzidenz kommen, hier Urlaub machen?"

Rheinland-Pfalz Lieg
Daniel Platten von der Freiwilligen Feuerwehr, Ortsbürgermeister Heinz Zilles und Ferienwohnungen-Inhaber Martin WeilBild: Oliver Pieper/DW

Zum Wunder von Lieg gehört auch, dass niemand am Ende der Erste sein will, der das Virus ins Dorf trägt. Natürlich auch Martin Weil nicht, obwohl die Pandemie allen Überbrückungshilfen zum Trotz seine Existenz gefährdet. Der ganze Medienhype um Lieg könnte so auch etwas Gutes haben. "Vielleicht bleibt bei den Menschen etwas hängen und es kommen auch neue Gäste hierhin."

Jetzt auch eine Corona-Teststation im Ort

Einen Steinwurf von Martin Weils Landhof entfernt liegt die kleine Hunsrück-Halle, die ab Samstag helfen soll, die Lieger Null abzusichern. Dort können sich alle Bewohnerinnen und Bewohner am Nachmittag zwischen 15 und 17 Uhr einmal die Woche testen lassen, ein paar Minuten später erhalten sie ihr Ergebnis. Organisiert hat das alles die örtliche Feuerwehr, genauer Hauptfeuerwehrmann Daniel Platten.                                                                 

"Als die Menschen davon gehört haben, war die Resonanz durchweg positiv. Niemand hat gesagt, ich nehme das nicht wahr, im Gegenteil. Die Menschen sind froh, so ein Testzentrum direkt vor Ort zu haben", sagt Platten. Jeden Samstag werden acht Feuerwehrleute zusammen mit dem Roten Kreuz überprüfen, ob die unglaubliche Geschichte von Lieg weiter geschrieben wird.

Heinz Zilles hat übrigens schon eine Idee, falls die Null von Lieg auch im Spätsommer noch steht und das Happy-End damit perfekt ist. "Wenn wir es tatsächlich schaffen, ohne Corona-Infektionen aus der Pandemie herauszukommen, steigt hier ein riesiges Dorffest."