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PolitikAsien

Decoding China: Pekings Bild von Deutschland

Dang Yuan
6. Dezember 2024

Wie gut kennt sich das "Reich der Mitte" mit dem "Land der Tugend" aus? Chinas Experten geben in einem "Blaubuch" Auskunft über die größte Volkswirtschaft der EU. Dominierende Themen sind Rechtsruck und Protektionismus.

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China I Kanzler Scholz in China
Deutsche und chinesische Nationalflagge beim Besuch des Bundeskanzlers Scholz in Peking im April 2024Bild: Michael Kappeler/dpa/picture alliance

Ist Alice Weidel wirklich die beliebteste deutsche Politikerin in China? Die Vorsitzende der rechtspopulistischen und in Teilen rechtsextremen Partei AfD ist vermutlich die einzige Bundestagsabgeordnete, die Chinesisch spricht. Als Studentin forschte und promovierte sie über das Rentensystem in China. Viele Reels über Weidel kursieren in den staatlich kontrollierten sozialen Medien. Die designierte AfD-Kanzlerkandidatin für die Wahl 2025 findet Zuspruch, weil sie sich gegen die Großmacht USA und gegen die europäische Integration einsetzt.

Dass Alice Weidel durchaus Chancen hätte, Bundeskanzlerin zu werden, ist eines von unzähligen Klischees in China. Der gesellschaftlichen Elite im Reich der Mitte ist es aber durchaus bewusst, dass die Zusammenarbeit zwischen China als der weltweit zweit- und Deutschland als drittgrößten Volkswirtschaft nur dann nachhaltig sein kann, wenn in der Öffentlichkeit ein sachliches und differenziertes Deutschlandbild existiert.

Alice Weidel, AfD
Die designierte AfD-Kanzlerkandidatin Alice Weidel kürzlich im Deutschen BundestagBild: Ebrahim Noroozi/AP/picture alliance

Mitte November wurde in China nun der "Annual Development Report of Germany (2024)" vorgestellt, der Jahresbericht über Deutschland. Herausgeber ist das "Deutschlandforschungszentrum der Tongji-Universität" in Shanghai. Deren Vorgänger, die "Deutsche Medizinschule für Chinesen in Shanghai", war 1907 vom deutschen Marinearzt Erich Paulun gegründet worden.

In der 386-seitigen Studie wurden die jüngsten Veränderungen in der Bundespolitik wie die angekündigten Neuwahlen des Bundestags zwar noch nicht berücksichtigt. Der Großteil der zugrunde gelegten Daten ist Stand von 2023. Dennoch ist es sehr beeindruckend zu lesen, wie intensiv und gründlich sich die chinesischen Wissenschaftler mit Deutschland befassen. 

China-Spione bei der AfD?

Top-Thema Rechtsruck in Deutschland

Eines der dominierenden Themen ist der Aufstieg der AfD. Teile der Bevölkerung in Deutschland beunruhige die gesamtpolitische und wirtschaftliche Lage, geben die Autoren als Ursache an. Diese Stimmung nutze die AfD, um die Gesellschaft zu spalten und zu polarisieren. "Der starke Rückenwind für den Rechtspopulismus und dessen Partei stellt die anderen etablierten politischen Parteien vor gewaltige Herausforderungen", so Xuan Li, Professor der Tongji-Universität. Ob dem Rechtsruck entgegen gewirkt werden kann, hänge davon ab, "ob den anderen Parteien eine angemessene Reaktion auf die Stimmung in der Wählerschaft gelingt".

Auch außenpolitisch setzten die Rechtspopulisten neue Akzente und forderten die etablierte "politische Korrektheit" heraus, die USA als Verbündeten anzusehen. Nach dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine zum Beispiel habe die AfD im Bundestag die Abschaffung der Sanktionen gegen Russland gefordert. "Das politische Tauziehen zwischen der AfD und den anderen wird unmittelbar die Beziehungen zwischen den USA und Deutschland auf die Belastungsprobe stellen."

Transatlantische Allianz

Auf seiner USA-Reise im Februar 2024 bezeichnete Bundeskanzler Olaf Scholz die Beziehungen zwischen den USA und Deutschland als "intensiv, eng und einvernehmlich, wie das wahrscheinlich über viele Jahre und Jahrzehnte nicht der Fall war."

Als hätten die Politikwissenschaftler aus Fernost den Ausgang der US-Präsidentschaftswahlen 2024 schon vorhergesehen, gaben sie schon vor Redaktionsschluss eine Prognose ab über die weitere Entwicklung der transatlantischen Allianz: "Wenn Donald Trump wieder gewählt würde, wäre das Risiko, dass neue Streitigkeiten und gar Konflikte zwischen Deutschland und den USA in Sachen Verteidigung und Handel entstehen, extrem groß. Eine angemessene Antwort auf die Unberechenbarkeit der neuen US-Regierung wäre dann ein schwieriges Unterfangen. Schließlich sehen wir grenzüberschreitend ein Hoch des Nationalismus im Wirtschaftsleben, von den USA bis hin zu Deutschland und vielen anderen europäischen Ländern. Dieses Gemisch wird die Zukunft der Beziehungen zwischen Deutschland und den USA sowie die Allianz beider Länder im Ukraine-Krieg schwer belasten."

Olaf Scholz und Joe Biden
US-Präsident Biden und Bundeskanzler Scholz (l.) im Februar 2024 im Weißen HausBild: Andrew Harnik/AP Photo/picture alliance

Der Ukraine-Krieg sei auch eine gemeinsame Herausforderung für Deutschland und China, machte Bundesaußenministerin Annalena Baerbock auf ihrer Chinareise Anfang der Woche in Peking deutlich. Aber beide Länder sähen sich heute auch immensen Hürden gegenüber, diese gemeinsamen Herausforderungen wie den Ukraine-Krieg zu meistern, sagt Wulf Linzenich, Vorstand der Deutsch-Chinesischen Wirtschaftsvereinigung (DCW) auf der Jahrestagung am Dienstag in Düsseldorf.

"Wie können wir eine Balance finden zwischen einer verstärkten Zusammenarbeit mit den USA und der Pflege einer gleichwertigen Partnerschaft mit China? Der Wirtschaftsmotor der nächsten Jahrzehnte wird zweifelsohne in Asien sein. Für China wird Europa in Zukunft ein wichtiger Partner bleiben. Eine klare und kohärente Strategie, die beide Seiten berücksichtigt, ist unerlässlich", sagt Linzenich.

Handel und Klimaschutz im Schatten der "China-Strategie"

Mit der grünen Außenministerin ist Peking nicht wirklich warm geworden, da die China-Strategie der Bundesregierung 2023 aus ihrem Ressort stammte. Darin wird China als "Partner, Wettbewerber und Rivale" definiert. Der politische Schwerpunkt liegt nach Pekinger Lesart eher beim Letzteren. Ferner wird die deutsche Wirtschaft zum Abbau von Risiken, dem De-Risking, aufgerufen. Durch Diversifizierung soll eine kritische Abhängigkeit von China zu vermieden werden.

China Peking | Besuch Außenministerin Baerbock
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock in Peking Anfang der WocheBild: Michael Kappeler/dpa/picture alliance

Das De-Risking sei teuer und an sich riskant, so die Autoren des Blaubuchs, Kou Kou und Shi Shiwei. Die deutsche Wirtschaft müsse eine hohe Rechnung für diese politische Entscheidung zahlen, die Zusammenarbeit mit seinem - seit acht Jahren - weltweit größten Handelspartner China zu beschränken. "Deutschland droht nun akut der Rutsch in die Rezession. Die fiskalpolitischen Spielräume sind ausgeschöpft. Der Bundesregierung fehlt es an Unterstützung für ihre China-Strategie in den eigenen Reihen und in vielen anderen EU-Ländern. Die realen Effekte des De-Riskings liegen deutlich hinter der politischen Erwartung zurück."

Zwischen Kohle und Klimaschutz

Made by China

Wettbewerb sei gesund, glauben die chinesischen Deutschlandkenner. "Die Reform und Öffnung und sachliche Zusammenarbeit ohne ideologische Streitigkeiten haben beiden Partnern greifbare Profite gebracht. Mit dem Erstarken der Wirtschaft stehen chinesische Firmen in einigen Bereichen mit der deutschen Wirtschaft im Wettbewerb. Aber der gesunde Wettbewerb wirkt sich nicht notwendigerweise negativ auf die wirtschaftliche Zusammenarbeit aus."

China sei unumkehrbar in die Weltwirtschaft eingebunden und wird auch in Zukunft die Märkte und den digitalen Raum erheblich mitprägen, sagt Andreas Schmitz, Präsident der Industrie- und Handelskammer Düsseldorf, auf der DCW-Tagung. Es gelte auch weltweit für den Klimaschutz und die Definition von Industrienormen.

Handelskrieg China gegen die USA: Wo steht Deutschland?

"Für deutsche und europäische Unternehmen ist die Volksrepublik weiterhin ein wichtiger Markt. Aber auch im Hinblick auf Rohstoffe und Vorprodukte jetzt, und in Zukunft noch viel mehr im Hinblick auf die Innovationskraft des Landes und seiner Unternehmen, kommt China eine bedeutende Rolle für die europäische und die deutsche Wirtschaft zu", so der IHK-Präsident weiter. "Made in China" sei früher nicht immer positiv gemeint gewesen. "Heute sagt man 'Made by China'. Und das ist positiv gemeint."

"Decoding China" ist eine DW-Serie, die chinesische Positionen und Argumentationen zu aktuellen internationalen Themen aus der deutschen und europäischen Perspektive kritisch einordnet