Der Vatikan zwischen Religion und Rummel
24. Dezember 2024Bauarbeiter in Rom arbeiteten seit vielen Wochen gegen die Uhr, Bischöfe in aller Welt warben für Reisen in die Heilige Stadt. An diesem 24. Dezember schließlich, dem Heiligabend, eröffnete Papst Franziskus dann ein "Heiliges Jahr".
Das ist in erster Linie ein traditionell religiöses Event, eine feierliche Wallfahrt in den Petersdom und in andere römische Kirchen. Zum ersten Mal kam es im Jahr 1300 dazu. Aber es ist immer auch ein kräftiger touristischer Motor für die Stadt und hat etwas von Ramsch und Rummel. Experten rechnen mit gut 30 Millionen zusätzlichen Rom-Besuchern.
"Ein spontaner Aufbruch"
Der Augsburger katholische Theologe Jörg Ernesti spricht mit Blick auf das Jahr 1300 von einem "spontanen Aufbruch". Damals seien offensichtlich ziemlich viele Pilger in Rom aufgetaucht und Papst Bonifaz VIII. habe eher spontan ein Jubeljahr, ein Heiliges Jahr, einberufen. Der offizielle Beginn sei nicht, wie später üblich, an Weihnachten erfolgt, sondern mit einer Päpstlichen Bulle gegen Ende Februar. Bonifaz habe die Situation auch genutzt, um sich gegen Häresie-Vorwürfe zu wehren.
Im Jahr 1300, erläutert Ernesti im Gespräch mit der DW, habe Bonifaz festgelegt, dass es alle 100 Jahre ein Heiliges Jahr geben solle. Aber schon 1350, als die Päpste in Avignon residierten und das Papsttum tief in der Krise steckte, habe es ein erneutes Heiliges Jahr gegeben. Und seit dem 15. Jahrhundert dann alle 25 Jahre. "Der finanzielle Aspekt spielte immer eine Rolle", sagt Kirchenhistoriker Ernesti. "Aber wichtig ist auch stets die Solidarität der Weltkirche durch das Heilige Jahr."
Hinzu kommt ein Angebot, das Mitteleuropäern weithin fremd ist, in früheren Jahrhunderten jedoch zentrale Bedeutung hatte. Zum Heiligen Jahr gibt es stets, vom Vatikan verkündet, einen Jubiläums-Ablass. Was heißt das konkret? Wer gläubig wallfahrend die wichtigsten Kirchen Roms mit ihren "Heiligen Pforten" aufsucht (was eine ordentliche Tageswanderung von 25 Kilometern bedeutet), kann einen Nachlass zeitlicher Sündenstrafen im Jenseits erhalten. Früher war das mit Geldzahlungen verbunden, die die oft klammen päpstlichen Kasse pamperten.
Zuletzt fand 2016 ein Heiliges Jahr statt. Es war ein sogenanntes Außerordentliches Heiliges Jahr, weil Franziskus es jenseits des üblichen 25-Jahre-Rhythmus ausgerufen hatte. Dieses "Heilige Jahr der Barmherzigkeit" kündigte er am 13. März 2015 an, exakt zwei Jahre nach seiner Wahl. Und man kann durchaus damit rechnen, dass es 2033, zum 2000. Jahrestag des Kreuzestodes Jesu, erneut ein "Heiliges Jahr" geben wird.
Mediales Weltereignis
Jörg Ernesti selbst, Jahrgang 1966, kann sich an Heiligabend 1974 erinnern. Damals stand im TV-Programm der ARD: "23:25 Uhr - Eröffnung des Heiligen Jahres durch Papst Paul VI. - Übertragung vom Petersplatz in Rom." Und der damals Achtjährige saß im Familienkreis vor dem Fernseher. So wie - damals geschätzt – bis zu eine Milliarde Menschen. Es war eines der bis dahin größten Fernsehereignisse. Rund 40 TV-Sender weltweit übertrugen live.
Paul VI. (1963-1978) machte damit als erster das Heilige Jahr zum medialen Weltereignis. Als Papst des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965), der die katholische Kirche aus dem Mittelalter holte und mit der Achtung der Religionsfreiheit in die Neuzeit führte, hatte er viele konservative und durchaus auch progressive Kritiker. So nutzte er das Jahr zur Mahnung zu - so der offizielle Titel - "Erneuerung und Versöhnung". Das entsprach der großen Linie seines Pontifikats. Paul VI. war der erste Papst, der dem Jubeljahr einen programmatischen Titel gab. Seitdem steht jedes Heilige Jahr stets unter einem Motto.
Ende 2015 stellte Papst Franziskus das Heilige Jahr, das er auf den Tag genau 50 Jahre nach dem feierlichen Ende des Zweiten Vatikanischen Konzils eröffnete, unter das Motto "Seid barmherzig wie der himmlische Vater!". So versuchte er, sein Lebensthema der Barmherzigkeit weltweit zu verankern, und ließ – anders als nun 2025 - auch die Möglichkeit zu, dass Diözesen in aller Welt in einzelnen Kirchen "Heilige Pforten" einrichteten.
Pilger der Hoffnung
Nun lautet das Leitwort "Pilger der Hoffnung". Das entspricht der Rolle, die Franziskus für sich und die Kirche in einer Welt voller Krisen und Konflikte sieht. Seit Jahren beklagt er, dass die Welt sich in einem "Dritten Weltkrieg" befinde, der im Grunde globalisiert sei und häufig die Ärmsten der Welt treffe. Er prangert vehement Rüstungsexporte und Kriege an.
Das "Heiliges Jahr" ist nicht nur Tradition. "Nicht alles, was Menschen heute eng damit verbinden, war von Anfang an dabei", sagt Kirchenhistoriker Ernesti. So seien die "Heilige Pforte", der Hammer zum Öffnen der Tür, das Zumauern zum Ende des Jahres erst Jahrhunderte nach dem Jahr 1300 dazugekommen. Nun habe Franziskus entschieden, dass er die Tür, das sonst stets geschlossene rechte Portal des Petersdoms, einfach aufstoße und dann hindurchschreite.
Das Jahr wird gewiss noch die ein oder andere Neuerung bringen, die jetzt noch nicht absehbar ist. Klar ist, dass der Vatikan erstmals mit einem Maskottchen für das Heilige Jahr wirbt. Die Pilger-Figur "Luce" im Manga-Stil (siehe Titelfoto) soll vor allem junge Leute ansprechen, von denen der Vatikan Ende Juli einige Millionen in Rom erwartet. Und erstmals überhaupt gibt es voraussichtlich eine Wallfahrt von nicht-heterosexuellen Menschen beim "Heiligen Jahr", die auch im offiziellen Wallfahrtskalender auftauchen soll. Am 6. September wollen Angehörige der LGBTQ-Community in den Petersdom ziehen.