Migration: Nancy Faeser überrascht in Griechenland
3. Dezember 2024Die Migrationsfrage ist eine große Herausforderung und gleichzeitig ein schwieriges Wahlkampfthema für alle nicht rechtsextremen Regierungsparteien in Europa. Das gilt auch für Deutschland, für die SPD und die zuständige Bundesinnenministerin Nancy Faeser. Bei einem zweitägigen Besuch in Griechenland (2.-3.12.2024) sprach die deutsche Politikerin mit ihren Amtskollegen über die Stärkung der deutsch-griechischen Zusammenarbeit beim Migrationsmanagement.
Faeser besuchte ein Flüchtlingscamp auf der Insel Kos, um sich selbst ein Bild über die Lebensverhältnisse der Geflüchteten zu machen, die auf dieser Ägäis-Insel gestrandet sind und auf ihre Asylverfahren warten. Davor hatte sie sich in Athen mit dem griechischen Migrationsminister Nikos Panagiotopoulos und mit Polizeiminister Michalis Chrysochoidis beraten.
Bei der anschließenden Pressekonferenz sprach Faeser von einem "gemeinsamen Verständnis" der Migrationsproblematik und von "Solidarität" mit Griechenland, das für den Schutz der europäischen Grenzen und die Steuerung der primären Migrationsströme verantwortlich sei. Sie war sich mit ihren Gesprächspartnern einig, dass die Migration eine gemeinsame europäische Herausforderung sei, die nicht stückweise auf nationaler Ebene angegangen werden könne, sondern koordinierte Maßnahmen und gemeinsame Lösungen im Rahmen einer einheitlichen europäischen Strategie erfordere.
Theoretisch ist die einheitliche europäische Strategie schon da. Im Mai 2024 hat die EU nach jahrelangen Verhandlungen einen neuen Migrations- und Asyl-Pakt verabschiedet. Aber die neuen Regelungen sollen erst ab 2026 angewendet werden. Ob sie dann wirklich sowohl zum Schutz der Geflüchteten als auch zur Entlastung der griechischen Inseln und der deutschen Kommunen funktionieren werden, muss sich erst zeigen. Auf jeden Fall wird das Thema eine Rolle bei der Wahlentscheidung vieler Bürger in Deutschland spielen. Am 23.02.2025 finden die vorgezogenen Bundestagswahlen statt. Nancy Faeser tritt für die SPD in Hessen an.
Die Frage der Rückführungen
In Athen hatte man damit gerechnet, dass der Wahlkampf beim Besuch von Nancy Faeser in Griechenland eine Rolle spielen würde. In den griechischen Medien wurde darüber spekuliert, dass sie Druck auf Athen ausüben würde, Migranten zurückzunehmen. Es ist kein Geheimnis, dass mehrere tausend Menschen, die in Griechenland Asyl beantragt und bekommen oder nicht bekommen haben, weiter nach Deutschland gereist sind. Man hatte daher erwartet, dass die Innenministerin darauf pochen werde, viele dieser Menschen mediengerecht nach Griechenland zurückzuschicken.
Umso überraschter war man, dass sich Faeser konziliant und kooperationsbereit zeigte. Sie habe keinen Druck ausgeübt, versicherte Panagiotopoulos der DW. Stattdessen waren sich beide Minister einig, dass die Europäische Kommission mit Drittländern intensiv verhandeln sollte, damit die EU-Länder leichter Rückführungen in diese Länder durchführen könnten. Für die griechische Regierung ist wichtig, dass die EU- Kommission die Türkei überzeugt, Flüchtlinge und Migranten, die es über die Landesgrenze in Evros, oder über die Ägäis schaffen, nach Griechenland zu kommen, wieder zurückzunehmen.
Nicht mal 20 Rückführungen
Was die Rückführungen von Deutschland nach Griechenland betrifft, sprachen die Bundesinnenministerin und der griechische Migrationsminister von "sehr guter Zusammenarbeit" und lobten ein erstes gemeinsames Pilotprojekt.
Laut Panagiotopoulos ist die griechische Regierung entschlossen, ihren Verpflichtungen nachzukommen und steht Rückführungen nicht ablehnend gegenüber. Der Minister sagte der DW, bisher seien von deutscher Seite nur wenige Rückführungen eingeleitet worden.
Seit Anfang 2024 habe Deutschland etwa 200 Personen zurückschicken wollen, Griechenland habe die Rückkehr von etwa 180 von ihnen sofort akzeptiert, doch schließlich seien nur 18 angekommen, also gerade mal zehn Prozent. Offenbar konnten die übrigen von den deutschen Behörden nicht gefunden werden, um sie zurück nach Griechenland zu schicken.
Nur auf europäischer Ebene
Trotz des Wahlkampfmodus von Nancy Faeser, trotz der bekannten rechtskonservativen Weltanschauung von Nikos Panagiotopoulos auch in puncto Migration, gaben sich beide Minister bei ihrem Auftritt vor der Presse in Athen migrantenfreundlich. Panagiotopoulos benutzte nicht die sonst in Griechenland übliche martialische Sprache für die Geflüchteten - "Invasion", "Migrantenströme", "hybride Attacken in Evros". Stattdessen sprach er von der "hervorragenden" Zusammenarbeit zwischen Griechenland und Deutschland im Bereich der Migration und dem gemeinsamen Verständnis für die komplexen Herausforderungen, denen sich beide Länder gegenübersähen.
Faeser ihrerseits gestand zwar ein, dass die Migrationsfrage ein deutsches Wahlkampfthema sei, das "komischerweise nicht nur von den Rechten, sondern auch von einigen Linken" hochgespielt werde, betonte aber, dass nur auf europäischer Ebene Lösungen zu finden seien. Über die von ihr eingeführten Kontrollen an den deutschen Grenzen verlor Faeser kein Wort - und ihre griechischen Gesprächspartner kritisierten sie dafür nicht öffentlich.
Nicht nach Syrien
Wenn beide Seiten von Lösungen sprechen, meinen sie in erster Linie Zurückweisungen und Rückführungen von Migranten. Aber wohin? "Auf keinen Fall nach Syrien" , sagte Panagiotopoulos auf die Frage der DW, und Faeser nickte zustimmend.
Die neue Eskalation in Syrien bereitet der griechischen Regierung und der griechischen Gesellschaft Sorgen. Besonders die Lage in Aleppo wird aufmerksam beobachtet, denn die nordsyrische Stadt ist im griechischen Bewusstsein sehr präsent. Vor rund hundert Jahren fanden dort viele Griechen nach ihrer Vertreibung aus Kleinasien Zuflucht.
Die Offensive der Islamisten in Syrien hat diesen vergessenen Bürgerkrieg wieder in Erinnerung gebracht - und damit auch die Flüchtlingskrise von 2015. Egal, wie groß die Angst vor oder die Propaganda gegen "Migrantenströme" in Griechenland ist, hat man immer noch Mitleid mit den betroffenen Menschen. Man fühlt sich solidarisch mit den Kriegsflüchtlingen aus der Nachbarschaft. Darum können es sich griechische Politiker leisten, Rückführungen nach Syrien derzeit auszuschließen.
Davon abgesehen sind Politiker und Öffentlichkeit inzwischen ziemlich abgestumpft gegenüber dem Leid der Flüchtenden. Man hätte, auch anlässlich des Besuchs von Faeser, ein paar Worte der Erschütterung über die beiden Schiffsunglücke Mitte November in der Nähe von Samos und Lesbos erwartet. Neun Menschen waren dabei ums Leben gekommen, darunter sechs Kinder. Doch das Thema kam bei der Pressekonferenz in Athen nicht zur Sprache.