Deutsche Dschihadisten
4. November 2012Am 2. März 2011 erschießt der 21 Jahre alte Arid Uka am Frankfurter Flughafen zwei US-Soldaten und verletzt weitere schwer. Sein Motiv: Hass gegen Soldaten im Afghanistan-Einsatz. Zuvor hatte er auf der Internetplattform Youtube einen Videoclip gesehen, der eine inszenierte Vergewaltigung einer muslimischen Frau durch US-Soldaten zeigt. Wie später bekannt wurde, war Uka häufig in islamistischen Diskussionsforen im Internet und sah regelmäßig Videos von radikalen Predigern. Direkten Kontakt zu Dschihadisten hatte er aber offenbar nie.
Für Alexander Eisvogel, Vizepräsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, ist Arid Uka ein typischer Fall für eine Selbstradikalisierung durch das Internet. Der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" sagte Eisvogel in diesem Jahr, man erlebe momentan einen "Dschihadismus 2.0, eine Art 'virtuellen Dschihad'". Das Internet leiste nun auch das, was zuvor allein Prediger, Gebetszirkel oder Koranschulen geboten hätten: die Bildung einer sozialen Gruppe, die auf andere ausstrahle.
Von Fax zu Facebook
Diese Entwicklung ist in Deutschland relativ neu. Die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin hat die Dschihad-Propaganda der vergangenen 15 Jahre genauer untersucht und jetzt eine Sammelstudie dazu erarbeitet. Um die Jahrtausendwende spielte das Internet demnach noch keine große Rolle. Al Qaida verschickte Erklärungen noch per Fax oder nahm Videokassetten auf, die dann an den Fernsehsender Al Dschasira geschickt wurden. Doch schon kurz nach den Anschlägen vom 11. September 2001 gewannen verschiedene arabisch-sprachige Foren an Einfluss, die im Internet den Dschihad priesen.
Wie der Terrorismus-Forscher Guido Steinberg von der SWP erklärt, folgten zwischen 2003 und 2008 besonders viele Aufsehen erregende Netzveröffentlichungen. Darunter falle auch die Hinrichtung des amerikanischen Geschäftsmanns Nicholas Berg 2004. In dieser Zeit veröffentlichten der Berliner Studie zufolge die Terrorgruppen ihre Videos noch selbst. Mittlerweile sei es so, dass sich immer häufiger Sympathisanten und Unterstützer zu Wort meldeten. Viele wichtige Webaktivisten von Organisationen wie Al Qaida seien dagegen tot oder in Haft. Mit der Popularität von Facebook oder Twitter in den vergangenen Jahren verlegten die Dschihadisten ihre Aktivitäten auch in die sozialen Netzwerke. Die Propaganda komme mittlerweile aus vielen Ländern weltweit.
Von Propaganda zu Terrorismus
Mit Sympathisanten begann die Dschihad-Internet-Propaganda 2005 auch im deutschsprachigen Raum. In der Frühphase hätten die Propagandisten allerdings noch nicht sehr professionell gearbeitet, so Terrorismus-Experte Steinberg im Interview mit der Deutschen Welle. Zwar hätten sie sehr ansprechende Propaganda-Videos gedreht und auch arabische Texte ins Deutsche übersetzt, um sie einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. "Andererseits war es für die Sicherheitsbehörden in vielen Fällen recht leicht herauszufinden, wer hinter diesen Aktivitäten stand."
Viele einflussreiche Personen dieser Internet-Szene konnten so im vergangenen Jahrzehnt auch in Deutschland verhaftet werden. Was sich aber zeige, meint SWP-Experte Steinberg, sei, dass sie immer wieder ersetzt würden. Ein wichtiges Beispiel sei die im Sommer 2012 verbotene Gruppierung "Gemeinschaft Abrahams". Die führenden Köpfe hätten sich zwar aus Deutschland zurückgezogen, betrieben ihre Propaganda aber weiter - aus dem Ausland. "Das muss Sorge bereiten, ganz einfach weil diese Inhalte im Netz ständig weiterverbreitet werden." Und möglicherweise betrieben diese Dschihadisten nicht mehr nur Propaganda, sondern versuchten, terroristische Strukturen aufzubauen.
Der deutsche Sonderweg
Der Aufbau terroristischer Strukturen entwickelte sich in Deutschland in den vergangenen Jahren anders als in anderen Ländern. Offenbar war die Sprachbarriere zu arabischer Propaganda für viele in Deutschland lebende Radikale lange Zeit zu hoch, meint SWP-Experte Guido Steinberg. "Die deutsche Szene ist stark durch türkisch-stämmige und kurdisch-stämmige Rekruten geprägt, und die haben sich in den nächsten Jahren in den meisten Fällen usbekischen Organisationen angeschlossen."
Das sei ein Alleinstellungsmerkmal der Deutschen und habe wahrscheinlich mit der Sprache zu tun, so Steinberg. Denn die türkische und die usbekische Sprache haben einen gemeinsamen Ursprung, so wie auch die beiden Turk-Völker der Türken und Usbeken miteinander verwandt sind. Usbekische Gruppierungen wie die "Islamische Dschihad-Union" oder die "Islamische Bewegung Usbekistans" lockten durch den Wegfall der Sprachbarriere interessierte junge Männer an, die dann zu Kämpfern ausgebildet wurden.
Mit modernen Mitteln gegen die Moderne
Dass es nicht immer einer Ausbildung in einem Terrorcamp bedarf, zeigt auf drastische Art der Fall Arid Uka vom Frankfurter Flughafen. Er erlag offenbar der Faszination der deutschsprachigen Internet-Propaganda. Für Guido Steinberg keine Überraschung: "Die Machart hat sich enorm professionalisiert." Vor allem Videos hätten an Bedeutung gewonnen, und diese Videos trügen tatsächlich auch zur Radikalisierung bei. Die Radikalisierung habe sich durch diese Videos enorm beschleunigt.
Der Wiener Wissenschaftler Nico Prucha drückt in der SWP-Studie sein Erstaunen über diese Art der Propaganda aus: "Ironischerweise nutzen die Dschihadisten das modernste Mittel der Kommunikation, um gegen die Moderne zu kämpfen", und Terrorismus-Experte Guido Steinberg warnt: "Wenn das der Trend der Zukunft ist, dann wird die gesamte Terrorismus-Bekämpfung sich vollkommen neu ordnen müssen."
Den ganz großen Entwurf für eine Lösung des Problems sieht Steinberg nicht. Es gebe viele gute, unterschiedliche Ansätze. Allerdings - schreibt er in der SWP-Studie - gebe es in Deutschland nicht mehr als einige hundert Dschihadisten und wenige tausend Unterstützer und Sympathisanten. Deshalb könne man beispielsweise versuchen, möglichst bekannte Figuren des dschihadistischen Milieus nach einer Haft zum Aussteigen zu bewegen. Dann könnten sie die Szene davon überzeugen, dass der bewaffnete Kampf ein Irrweg sei.