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EU-Vorsitz: Kurswechsel mit Merkel

16. Juli 2020

Während der Finanzkrise setzte Deutschland überall in Europa einen harten Sparkurs durch. Jetzt ist die Bundesregierung für schuldenfinanzierte Hilfen an Corona-geschädigte EU-Partner. Woher kommt die neue Großzügigkeit?

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Deutschland Lepzig Neue 100- und 200-Euro-Scheine
Bild: picture-alliance/dpa/P. Endig

Karikaturen von Angela Merkel in Nazi-Uniform waren vor zehn Jahren in griechischen Zeitungen zu sehen. Auf dem Höhepunkt der Finanzkrise galten die Deutschen als Einpeitscher, die den Schuldenstaaten Südeuropas gnadenlos Haushaltsdisziplin beibrachten. Für sparsame Nordländer dagegen war Deutschland der rettende Stabilitätsanker, der Europa vor einem endlosen Schuldenmachen bewahren sollte.

Heute kann derselben Kanzlerin, die damals in Deutschland als sparsame schwäbische Hausfrau galt, der Corona-Wiederaufbaufonds kaum groß genug sein. Das Hilfspaket müsse "wuchtig" sein, sagte Merkel am Dienstag nach einem Gespräch mit dem italienischen Ministerpräsidenten Giuseppe Conte. Italien wäre wohl der größte Profiteur der Hilfe. Und SPD-Finanzminister Olaf Scholz will, dass Europa angesichts der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie "starke Signale" aussendet, auch mit Blick auf die Finanzmärkte.

Griechenland Democracy-Magazin Kritik Angela Merkel
In der Finanzkrise war manchen griechischen Zeitungen kein Vergleich zu überzogenBild: picture-alliance/dpa/O. Panagiotou

Es geht am Freitag und Samstag beim ersten EU-Gipfeltreffen seit März, bei dem die Staats- und Regierungschefs wieder persönlich anwesend sein werden, um einen Hilfsfonds mit dem gewaltigen Volumen von 750 Milliarden Euro. Nach einem Vorschlag der EU-Kommission sollen 500 Milliarden davon als nicht zurückzuzahlende Zuschüsse an die besonders Corona-gebeutelten Länder fließen, der Rest als Kredite. 500 Milliarden als schuldenfinanziertes Geldgeschenk ist eine Idee, die ausgerechnet Merkel zusammen mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron im Mai entwickelt hat.

Corona hat alles verändert

Woher also der Sinneswandel? "Wegen der Außergewöhnlichkeit dieser Krise wählen wir auch einen außergewöhnlichen Weg." So hat die Kanzlerin die neue Großzügigkeit begründet. Der CDU-Finanzpolitiker Andreas Jung sagt der Deutschen Welle: "Corona trifft alle Länder in Europa und manche besonders hart. Da braucht es Beistand unter Partnern in einer Notsituation. Das ist aber auch in unserem eigenen Interesse: Ein starkes Deutschland und ein starkes Europa gehören zusammen."

Gerade für Merkels stabilitätsorientierte CDU war das zunächst ein harter Brocken. Unions-Fraktionschef Ralph Brinkhaus gab das im Mai zu, als Merkel den deutsch-französischen Vorschlag vorstellte: "Das Ganze ist schon ein Sprung für unsere Fraktion."

Coronavirus - Spanien Barcelona leerer Strand
Gerade die Mittelmeerländer haben touristisch schwer unter Corona zu leidenBild: picture-alliance/dpa/M. Oesterle

Aber selbst FDP-Chef Christian Lindner ist heute nicht grundsätzlich gegen den Fonds. Seine Partei war während der Finanzkrise Koalitionspartner von Merkels CDU und trat noch mehr als die CDU auf die Bremse beim Schuldenmachen und Geldausgeben. Lindner hält es aber für wichtig, "dass Hilfen an Bedingungen, also Reformpläne geknüpft werden".

Nur die AfD ist grundsätzlich dagegen

Die einzige Partei, die bis heute kein gutes Haar an der Idee lässt, ist die AfD. Deren Fraktionschefin Alice Weidel sieht sie als "Dammbruch". Auf die deutschen Steuerzahler würden "enorme Lasten" zukommen. Von europäischer Solidarität will sie nichts wissen: "In dieser Situation haben wir keine Milliarden zu verschenken, denn wir müssen uns selbst helfen", sagte sie im Bundestag.

Außer von der AfD sind die kritischen Stimmen inzwischen weitgehend verstummt. Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder, CSU, den die Hälfte der Deutschen gern als Kanzlerkandidaten der Union wollen, hat sich auch schon hinter die Pläne gestellt. Man solle die Länder in der EU nicht mehr in Schuldner und Gläubiger einteilen, sondern alle mehr als Partner verstehen, hat er gesagt.

Und Norbert Walter-Borjans, einer der beiden SPD-Vorsitzenden, machte schon im vergangenen Monat im SPD-Parteiorgan "Vorwärts" deutlich, dass er sich von der gesamten deutschen EU-Ratspräsidentschaft in diesem Halbjahr eine neue Richtung verspricht: "Wir haben nicht mehr die Rolle von vor 13 Jahren, als wir in der Krise der Zuchtmeister Europas waren, sondern wir müssen ein respektierender Partner sein." Dazu gehöre auch ein stärkeres finanzielles Engagement Deutschlands.

SPD Parteitag Abschluss
SPD-Chef Walter-Borjans: Wir sind kein Zuchtmeister mehr (rechts SPD-Co-Chefin Saskia Esken)Bild: picture-alliance/dpa/K. Nietfeld

Dass dieser "Zuchtmeister" Deutschland nun bereit ist, 500 Milliarden Euro als Zuschüsse an notleidende EU-Partner zu verteilen, hat viele Beobachter überrascht. Doch Merkel beharrt trotz des Widerstands der sogenannten "Sparsamen Vier" Niederlande, Österreich,Schweden und Dänemark genau darauf - weil Kredite die Verschuldungsquote etwa Italiens noch weiter in die Höhe treiben und ihre Volkswirtschaften damit strangulieren würden.

Der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte versteht die Welt der Deutschen nicht mehr. Er und die anderen Regierungschefs der "Sparsamen Vier" befürchten Fehlanreize und Verschwendung. Andreas Jung von der CDU beharrt aber: "Ohne Zuschüsse geht es nicht. Für schon jetzt hoch verschuldete Staaten bedeutet das ausschließliche Angebot von Krediten Steine statt Brot."

Zweckbindung als Kompromiss?

Vielleicht ist manchen in der CDU der neue Ruf des deutschen Spendieronkels aber inzwischen unheimlich geworden. Fraktionschef Brinkhaus forderte einen Tag vor dem Gipfel in einem Zeitungsinterview, die Gelder müssten unbedingt zweckgebunden und an Reformen in den Ländern geknüpft werden.

Frankreich Strassburg - Angela Merkel im Europaparlament
Merkel im Europaparlament: "Dieses Europa ist zu Großem fähig"Bild: Reuters/V. Kessler

Diese Zweckbindung ist einer der möglichen Kompromisse beim Gipfel, der auch die "Sparsamen Vier" besänftigen könnte. Verschiedene Politiker haben als Bereiche, die man gezielt fördern könnte, etwa den Umwelt- und Klimaschutz und die Digitalisierung genannt. Möglich wäre auch, dass die Summe der Zuschüsse von 500 Milliarden Euro gesenkt wird oder sich das Mischungsverhältnis zwischen Krediten und Zuschüssen ändert.

Doch das wird nichts an Merkels neuem Großmut ändern. Anfang des Monats hatte sie vor dem Europaparlament gesagt, als sie die beginnende deutsche Ratspräsidentschaft vorstellte: "Welche Botschaft könnte passender sein als diese, dass dieses Europa zu Großem fähig ist,wenn wir einander beistehen und zusammenhalten." Andreas Jung sagt auf die Frage, was auf dem Spiel steht, ebenso knapp wie eindringlich: "Europa. Die Idee, die Werte, die Wirtschaft."

Christoph Hasselbach
Christoph Hasselbach Autor, Auslandskorrespondent und Kommentator für internationale Politik