Endlagersuche in Deutschland
3. März 2012
"Chicago Pile 1", der erste funktionierende Atomreaktor, wurde 1942 eingeschaltet – die Entwicklung war Teil des amerikanischen Manhattan-Projekts zum Bau von Kernwaffen. Das erste Kernkraftwerk, das elektrische Energie für ein öffentliches Stromnetz lieferte, war im Jahr 1954 die russische Anlage AM-1 bei Obninsk. Und in Deutschland begann das Atomzeitalter 1957 mit dem Forschungsreaktor Garching; die Produktion von Strom startete dann ab 1962 mit dem Kernkraftwerk Kahl. Ein paar Jahrzehnte sind seitdem verstrichen - eine lange Zeit für einen einzelnen Menschen, eine lange Zeit auch für die politische und wissenschaftliche Sicht auf die Nutzung radioaktiver Stoffe als Energielieferant.
Problem für die Ewigkeit
Mittlerweile wird die Atomtechnik in zahlreichen Ländern und Gesellschaften höchst kritisch gesehen, nicht zuletzt unter dem Eindruck von Reaktorkatastrophen wie im ukrainischen Tschernobyl 1986 und im japanischen Fukushima im März 2011. Für Deutschland beschloss der Bundestag am 30. Juni 2011 den Ausstieg aus der Atomkraft; in den Nachbarländern hingegen hält man an der nuklearen Stromerzeugung fest. Aber selbst wenn weltweit alle Kernkraftwerke von heute auf morgen stillgelegt würden – die Büchse der Pandora ist geöffnet, ein für alle Mal. Denn selbst mit den bereits vorhandenen Abfallprodukten der zivilen und militärischen Nutzung der Kernenergie wird die Menschheit noch Hunderttausende von Jahren umgehen müssen.
Dass es nach herkömmlichen Maßstäben eine Ewigkeit dauert, bis die lebensgefährliche Radioaktivität von ausgebrannten Brennstäben oder von "erbrütetem" Plutonium abgeklungen ist, war auch schon beim Bau der ersten Kernkraftwerke klar. Aber deren Nutzung hatte Priorität – die Lösung des Müllproblems wurde auf spätere Zeiten vertagt. Und dabei ist es im Grunde bis heute geblieben. Die gesicherte oberirdische Aufbewahrung auf dem Gelände von Kernkraftwerken oder in Zwischenlagern, bei Kernbrennstäben zum Zwecke der ersten Abkühlung ohnehin notwendig, wurde zum Dauerprovisorium – und zwar weltweit. Anders herum gesagt: Es gibt nach wie vor weltweit kein einziges fertig gestelltes Endlager für hochradioaktiven Atommüll.
Versuchsendlager Asse
In Deutschland ist für die Genehmigung für den Bau oder für den Betrieb von Atomkraftwerken "grundsätzlich" auch ein Konzept für den Umgang mit dem Müll notwendig. In den 1960er Jahren begann man mit der Suche nach geeigneten Endlagerkonzepten und Endlagerstätten für radioaktive Abfälle. Ab 1967 wurde im ehemaligen Salzbergwerk Asse schwach- und mittelradioaktiver Müll eingelagert; einerseits um diese Substanzen "loszuwerden", andererseits um dabei Forschungserkenntnisse für die Endlagerung von hochradioaktivem Abfall zu gewinnen. Aber spätestens Ende der 2000er Jahre zeigte sich: Das Bergwerk Asse war geologisch instabil und von Wassereinbrüchen bedroht. 2010 wurde entschieden, sämtliche radioaktiven Abfälle wieder ans Tageslicht zu holen und in das Lager "Schacht Konrad" zu transportieren.
"Konrad" ist eine ehemalige Eisenerzgrube in Salzgitter und als Endlager ebenfalls nur für leicht- und mittelradioaktive Abfälle vorgesehen. Das große Problem: Die Grube wird wohl nicht vor 2019 umgebaut und betriebsbereit sein. Solange müssen also die umgebetteten Abfälle zwischengelagert werden. Ebenfalls seit Jahr und Tag zwischengelagert wird der richtig gefährliche, hochradioaktive Müll. Und um den tobt auch der lauteste politische Streit. Seit 1979 wird erforscht, ob der Salzstock im niedersächsischen Gorleben ein geeignetes Endlager "für die Ewigkeit" sein könnte. 2000 wurde die Erkundung gestoppt, 2010 wieder aufgenommen, letztlich jeweils aus politischen Gründen. Aber an sich sollte die Endlagersuche und –beurteilung eine rein wissenschaftliche Fragestellung sein, die von Geologen, Bergwerksexperten und Atomphysikern zu beantworten wäre. In der Tat liegt ein entsprechender, ergebnisoffener Kriterienkatalog spätestens seit 2002 vor – verfasst vom "Arbeitskreis Auswahlverfahren Endlagerstandort" (AkEnd).
Es gibt kein "ideales" Endlager
In einem sind sich die Fachleute nicht nur in Deutschland, sondern weltweit einig: Atommüll sollte möglichst weit außer Reichweite der Biosphäre gebracht werden – und in eine möglichst stabile Umgebung. Regionen mit Erdbeben- oder Vulkanismusgefahr scheiden also aus. Als geeignetes "Wirtsgestein" für ein tief im Erdboden vergrabenes Endlager kommt in Deutschland aus geologischen Gründen am ehesten Steinsalz in Frage. Gorleben ist also ein plausibler Standort, der zugleich schon unter großem finanziellen Aufwand erschlossen und erkundet worden ist, sagen die einen Experten. Gorleben sei "nachweislich" ungeeignet, behaupten die anderen Fachleute, etwa vom "Bund für Umwelt und Naturschutz" BUND. Die Regierung unter Helmut Kohl habe in den 1980er Jahren politischen Druck auf Wissenschaftler ausgeübt, um ein Votum "pro Gorleben" zu bekommen, so lautet der Vorwurf.
Zum einen sei es darum gegangen, ein Endlager auf den Weg zu bekommen, um die politischen gewünschten Atomkraftwerke überhaupt betreiben zu können. Und außerdem hätten Motive wie die Lage Gorlebens im seinerzeit strukturschwachen Grenzgebiet zur DDR eine Rolle gespielt. Ob diese Vorwürfe stimmen, das soll seit April 2010 ein Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages herausfinden. Eindeutig sind die bisher gehörten Zeugenaussagen aber noch keineswegs. Der Widerstand gegen Gorleben war lange Jahre über ein Symbol, aber auch ein politisches Instrument der Atomkraftgegner. Ohne Endlager keine dauerhafte Betriebsgenehmigung für die Kraftwerke. Jetzt ist der "Kampf" entschieden, das Atomzeitalter geht in Deutschland zu Ende. Aber auch den siegreichen Protestlern bleibt das Problem erhalten: Der radioaktive Müll muss irgendwo hin; wenn nicht nach Gorleben, dann an einen anderen Ort – für die nächsten paar hunderttausend Jahre.
Autor: Michael Gessat
Redaktion: Michael Borgers