Die "falsche" Religion ist fatal
18. Juli 2019Die Anzahl der Länder, in denen bestimmte religiöse Gruppen gesellschaftlichen Anfeindungen ausgesetzt sind, nimmt zu. Dies ist das Ergebnis der jüngsten Studie des Pew Research Centers, das Gesetze und Praktiken zum Umgang mit Religionen in 198 Ländern untersucht hat. Danach hat sich die Anzahl der Länder, in denen Menschen religiöser Gewalt ausgesetzt sind, zwischen 2007 und 2017 von 39 auf 56 Nationen erhöht.
Auch in Deutschland gehören religiöse Anfeindungen zum Alltag. Laut Verfassungsschutzbericht 2018 wurden im vergangenen Jahr 453 Straftaten mit "religiös-ideologischer Motivation" registriert. Immerhin: Die Zahlen sind rückläufig. 2017 wurden noch 907 Straftaten mit derselben Motivation gezählt.
Gefahr im Flüchtlingsheim
Zu den Schauplätzen religiöser Gewalt in Deutschland gehören auch Unterkünfte für Asylbewerber. "Die Gewalt in Flüchtlingsunterkünften ist extrem", meint Dittmar Steiner von der säkularen Flüchtlingshilfe "Atheist Refugee". "Männer, die offen sagen, sie glauben nicht an Gott, werden immer geschlagen."
Steiner erinnert sich an einen besonders schockierenden Fall. "Wir haben einen Asylbewerber aus Mauretanien betreut, gegen den aus seinem Heimatland eine Fatwa verhängt wurde. Er hatte bei Facebook nach einem Zugunglück in Kairo gespostet: "Wie kann Allah es zulassen, dass so viele Muslime ums Leben kommen?"
Noch im Jahr 2007 beschränkten sich diese Art religiöser Feindseligkeiten laut der Pew Research Studie mit dem Titel "A closer look at how religious restrictions have risen around the world" (Genauere Betrachtung auf die weltweite Zunahme religiöser Restriktionen) auf vier europäische Länder. 2017 waren es bereits 15 Länder in Europa.
Wachsender Antisemitismus
Zu den Opfern gehören nicht nur bekennende Atheisten, sondern Vertreter aller Religionen, darunter Muslime unterschiedlicher Strömungen, Christen und Juden. Florian Eisheuer von der Amadeu-Antonio-Stiftung bestätigt die Entwicklung.
"Schon seit Jahren beschreiben Juden und Jüdinnen eine Verschlechterung ihrer Situation in Deutschland", erklärt der Leiter der Aktionswochen gegen Antisemitismus bei der Stiftung. "Die meisten gehen davon aus, dass die Lage sich weiter verschlechtert."
Eisheuer verweist auf eine Studie der Universität Bielefeld vom April 2017 über "Jüdische Perspektiven auf Antisemitismus in Deutschland". Danach befürchteten 70 Prozent der befragten Jüdinnen und Juden, der Antisemitismus werde aufgrund der antisemitischen Einstellungen unter den Flüchtlingen ansteigen. Gleichzeitig erklärten 84 Prozent, der Antisemitismus in Deutschland sei auch unabhängig von Flüchtlingen ein Problem.
Prediger unerwünscht
Auch auf staatlicher Ebene haben sich Verbote und Einschränkungen durch gesetzliche und bürokratische Hürden gegenüber religiösen Gruppen verschärft. Laut Pew-Center erhöhte sich die Zahl der Länder, die solche Einschränkungen praktizieren, zwischen 2007 und 2017 von 40 auf 52 Staaten. Auch China, Russland, Indonesien und Saudi-Arabien kamen dazu.
Besonders stark, um 72 Prozent, wuchs die staatliche Gängelung religiöser Gemeinschaften im Nahen Osten und in Nordafrika. Mit Ausnahme des Libanon würden laut Pew Research Center alle 20 Länder der Region eine bestimmte Religion bevorzugen. Bei 17 Ländern sei der Islam Staatsreligion.
Nicht mehr religiös
Doch mit der staatlich verordneten Religionszugehörigkeit scheint auch eine wachsende Skepsis gegenüber Religionen und ihren Geistlichen einher zu gehen. So offenbart eine Umfrage des Forschungsnetzwerkes "Arab Barometer"von der Princeton University zunehmende Säkularisierungstendenzen in der arabischen Welt.
Die Meinungsumfrage vom Juni dieses Jahres im Auftrag der BBC stützt sich auf die Äußerungen von über 25.000 Einwohner aus elf arabischen Ländern. Bis auf den Jemen nahm der Anteil der Bevölkerung, die sich selbst als "nicht religiös" definiert, im Zeitraum von 2013 bis 2018 in allen elf Ländern zu.
Am stärksten war die Entwicklung in Tunesien, wo sich 2018 ein Drittel der Bevölkerung als "nicht religiös" bezeichnete. 2013 lag der Anteil noch bei zehn Prozent. In Marokko stieg der Anteil von vier auf zehn Prozent, in Libyen von zehn auf 25 Prozent und in Algerien von sieben auf zwölf Prozent. Im Irak, Jordanien und den palästinensischen Gebieten hingegen ist der Trend kaum spürbar.
Vielleicht erklärt dies auch einen positiven Trend aus der Studie des Pew Researc Centers: Zwischen 2007 und 2017 haben "interreligiöse Spannungen und Gewalttaten" weltweit nachgelassen. 2017 habe es in 57 Ländern Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen religiösen Gruppen gegeben. Dies waren 34 weniger als 2007.