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Die Grünen - eine neue deutsche Volkspartei?

24. Mai 2011

Lange Zeit waren die Grünen nur eine Randpartei. Als Ökopartei lange belächelt, haben sie es schließlich in Regierungsverantwortung in Bund- und Ländern geschafft. Aber immer nur als Juniorpartner. Das ist Vergangenheit.

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Parteifreunde von Bündnis 90/Die Grünen prosten sich auf der Wahlparty im Berliner Postbahnhof. (Foto: dpa)
Die Grünen haben allen Grund zu feiernBild: picture alliance / dpa

Die Landtagswahl in Bremen ist gelaufen. Auf den ersten Blick ist nichts passiert, das wirklich aufregend wäre: die Koalition aus SPD und Grünen bleibt an der Macht, der Bürgermeister wird weiterhin Jens Böhrnsen heißen und dass die Liberalen von FDP auch einmal aus einem Landtag fliegen können, haben sie immer wieder bewiesen. Dennoch hat es das Wahlergebnis in sich und das haben zuerst die Anhänger der CDU gemerkt. Meist schweigend und mit vor Schreck fahlen Gesichtern konnten die anhand der Ergebnisse mit verfolgen, wie sie zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik bei einer Landtagswahl in Westdeutschland auf den dritten Platz abgeschlagen werden.

Die Vorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Claudia Roth (re.), gratuliert in Berlin der Spitzenkandidatin der Grünen bei den Bremer Bürgerschaftswahlen, Karoline Linnert. (Foto: dpa)
Claudia Roth (re.), gratuliert der Spitzenkandidatin der Bremer Grünen, Karoline LinnertBild: picture alliance/dpa

Damit ist eine Partei überflügelt worden, die sich seit dem Ende des 2. Weltkrieges als Inbegriff einer Volkspartei in Deutschland gesehen hat. Später hat auch SPD diesen Titel für sich in Anspruch genommen, zuvor bezeichnete sie sich als Arbeiterpartei. Was die anderen politischen Formationen anging, handelte es sich immer recht deutlich um Klientelparteien. Dazu gehörten auch die FDP und die Grünen. Volkspartei wollten letztere auch nie sein. Es klingt zu konservativ, zu bürgerlich, zu etabliert.

Willkommen im Klub der Volksparteien?

Jetzt stellen die Grünen den Ministerpräsidenten im traditionsbewussten Baden-Württemberg, sitzen bis auf Mecklenburg-Vorpommern in allen Landtagen und sind - neben Bremen - noch an weiteren drei Regierungen beteiligt, im Saarland, Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen. Sie sind nicht mehr aus der Parteienlandschaft wegzudenken und für ziemlich viele Bürger wählbar geworden.

Jetzt also Volkspartei? Mit einer gewissen Häme werden am Tag nach der Wahl Grüne Spitzenpolitiker gefragt, ob das Wort auf ihre Partei zutrifft. Bundestagsfraktionschefin Renate Künast stockt vor einer Antwort, kurz steht sie tonlos mit offenem Mund am Morgen in einem ARD-TV-Studio. "Wir ringen mit dem Begriff", gibt sie zu und beginnt schnell, über ihre Partei als "Gestaltungspartei" zu sprechen. Parteichefin Claudia Roth ist am Nachmittag schon ein Stück weiter mit der Grünen-Sprachregelung und erklärt: "Spätestens seit gestern ist es vorbei mit der Volkspartei. Wir sind keine und die CDU ist jetzt auch keine mehr." Es scheint Roth besser, das Label "Volkspartei" überhaupt verschwinden zu lassen, als es selbst aufgedrückt zu bekommen. "Der Begriff ist zu sehr belastet", bekennt sie.

Ein problematisches Wort

Die Spitzenkandidaten der Grünen Eveline Lemke (2.v.l), und Winfried Kretschmann (re.), bekommen Blumen und Glückwünsche von den Bundestagsfraktionsvorsitzenden Jürgen Trittin (li.) und Renate Künast (2.v.r). (Foto: dpa)
Winfried Kretschmann (re.) ist der erste grüne Ministerpräsident der BundesrepublikBild: picture alliance/dpa

Wahrscheinlich wäre es auch kein Verlust, wenn der Begriff aus der Werkzeugkiste der politischen Beschreibung verschwinden würde. Er ist ziemlich schwammig und hat neben der Macht- auch noch eine gesellschaftliche Komponente. Bezüglich der Stärke hat "Volkspartei" am ehesten noch auf die lange übermächtige CSU in Bayern gepasst, die über Jahrzehnte alle Politikfelder, Alters- und sozialen Gruppen durchdrungen und dominiert hat. Im Rest des Landes gab es den Wettbewerb zwischen CDU und SPD, im Osten spielte die Linke mit. Eine Partei, die als Volkspartei verstanden werden möchte, wird in der Lage sein, die gesamte Gesellschaft abzubilden und eine Politik für die gesamte Gesellschaft machen zu können, so heißt es im gängigen Sprachgebrauch der Politologen

Sein aber nicht sagen

Das würden die Grünen aber gerne und gerne verkünden sie, dass dies bereits der Fall sei. "Wir hören allen zu", sagt Claudia Roth. Kontinuierlich ist die Partei ins bürgerliche Lager vorgerückt. Es hilft ihnen dabei, dass sie frühzeitig Themen besetzt haben, die zunehmend wichtiger und mehrheitsfähiger geworden sind - nachhaltiges Wirtschaften, ökologische Energieerzeugung, Gleichstellungspolitik. Außerdem punkten sie mit ihrem Bekenntnis zu Selbstentfaltung und Individualität bei Mittelständlern und Selbstständigen. "Früher haben die Grünen eher von der SPD Wählerstimmen abgezogen", beobachtet der Parteienforscher Richard Hilmer, "in den letzten Jahren haben sie aber zunehmend von der Union und der FDP Wähler abgeholt, weil sie bei den Grünen die größere wirtschaftliche Kompetenz sehen."

Die Reaktorkatastrophe in Fukushima und der darauf folgende Drang zum forcierten Atomausstieg in Deutschland haben den Grünen noch einmal richtig Auftrieb gegeben. Wenn der anhält und sich die Grünen auf dem Niveau stabilisieren sollten, das sie bei den jüngsten Wahlen und Umfragen erreicht haben, dann könnten sie sich zu Recht als Volkspartei bezeichen - aber bitte nur heimlich.

Autor: Heiner Kiesel
Redaktion: Arne Lichtenberg

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