Die letzte Zeugin: Angela Merkel im Afghanistan-Ausschuss
5. Dezember 202420 Jahre hat die letztlich gescheiterte internationale Afghanistan-Mission gedauert. Unter Führung der USA war auch Deutschland von Anfang an dabei – militärisch und humanitär. Am 15. August 2021 endete das Engagement abrupt: An diesem Tag eroberten die Taliban den Präsidentenpalast in Kabul.
Den schnellen Siegeszug der Islamisten hatte innerhalb der Bundesregierung anscheinend niemand kommen sehen, auch Bundeskanzlerin Angela Merkel nicht. Wie es zu dieser Fehleinschätzung kommen konnte, versucht der Afghanistan-Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestags seit 2022 herauszubekommen. Als letzte Zeugin muss die ehemalige Regierungschefin mehrere Stunden Fragen der Abgeordneten beantworten.
Merkels Statement erinnert an ihre Regierungserklärung
Zunächst aber verliest Merkel ein längeres Statement. Dabei bilanziert die Christdemokratin (CDU) das dramatische Geschehen in Afghanistan teilweise wortgleich so, wie schon wenige Tage nach dem Triumph der Taliban in einer Regierungserklärung.
Am 25. August 2021 sagte sie im Bundestag: "Die gesamte internationale Koalition, wir alle haben die Geschwindigkeit dieser Entwicklung ganz offensichtlich unterschätzt. Das gilt auch für Deutschland."
Im Untersuchungsausschuss betont Merkel gut drei Jahre später, dass sie das militärische Engagement Deutschlands auch im Rückblick für richtig halte. Ihr entscheidendes Argument: Nach den islamistischen Attentaten vom 11. September 2001 in den USA sollten von Afghanistan aus keine weiteren Terroranschläge geplant werden können. Dieses Ziel wurde erreicht, mehr aber nicht.
"Die kulturellen Unterschiede wogen schwerer"
"Bei allen anderen Zielen müssen wir feststellen, gescheitert zu sein", räumt die ehemalige Bundeskanzlerin ein und meint damit Demokratie, Frauenrechte, Religionsfreiheit. "Die kulturellen Unterschiede wogen schwerer, als ich es mir vorstellen konnte." So bleibe nur, die Menschen in Afghanistan weiterhin humanitär zu unterstützen, resümiert Merkel.
Viele Fragen im Untersuchungsausschuss drehen sich um das Schicksal afghanischer Ortskräfte, die bis 2021 für die Bundeswehr, die Deutsche Botschaft und Entwicklungshilfeorganisationen gearbeitet haben. Viele tausend von ihnen und ihre Familienangehörigen wurden evakuiert, aber längst nicht alle.
Rückendeckung für die Verteidigungsministerin
Merkel sagt, sie habe die Forderung ihrer damaligen Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) unterstützt, den Kreis der zu evakuierenden Ortskräfte der Bundeswehr und der Bundespolizei auszuweiten. Zurückhaltender sei sie anfangs bei Ortskräften aus dem Bereich der Entwicklungszusammenarbeit gewesen. Damit habe sie den Eindruck vermeiden wollen, dass Deutschland Afghanistan im Stich lasse.
Merkels Darstellung deckt sich mit der Zeugenaussage ihres damaligen Vertrauten Helge Braun, der die Afghanistan-Politik der Bundesregierung im Kanzleramt koordiniert hat. Der CDU-Bundestagsabgeordnete war im Untersuchungsausschuss unmittelbar vor Merkel befragt worden und nahm dabei auch den Bundesnachrichtendienst (BND) in Schutz. Der hatte eine schnelle Machtübernahme der Taliban für "eher unwahrscheinlich" gehalten.
Helge Braun hält BND-Szenarien für plausibel
Braun findet die BND-Szenarien trotzdem nachvollziehbar – auch im Rückblick: "Wenn man etwas für eher unwahrscheinlich hält, heißt das nicht, dass es ausgeschlossen ist", begründet der damalige Chef des Kanzleramts seine Sicht auf die Rolle des Auslandsgeheimdienstes.
Mit der Befragung Merkels und Brauns sind die öffentlichen Sitzungen des Untersuchungsausschusses beendet. Der Abschlussbericht soll im Februar 2025 veröffentlicht werden. Mit Empfehlungen, welche Lehren aus der gescheiterten Afghanistan-Mission zu ziehen sind.