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Die Pulitzer-Preise - ganz ohne Corona

Rick Fulker
5. Mai 2020

"Alles ist politisch", ein oft angewandter Satz. Joseph Pulitzer hätte zugestimmt. Auch die diesjährigen Preise, die seinen Namen tragen, spiegeln die Politisierung des Lebens in den USA wider. Corona ist kein Thema.

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USA Pulitzer Preis Medaille
Bild: picture-alliance/dpa/Pulitzer Board

Ursprünglich war die Verkündung der Gewinner des Pulitzer Preises für den 20. April angekündigt, wurde dann aber wegen der Corona-Krise, die derzeit weltweit im Fokus der Medien steht, verschoben. Trotzdem blieb die Frage: Würde der begehrte Journalisten -und Medienpreis den Virus ebenfalls in den Mittelpunkt rücken? Mitnichten. Die am 4. Mai vergebenen Preise wurden für Geschichten verliehen, die aus einer schon fast vergessenen Welt zu stammen scheinen:

Ein Drittel der kleinen ländlichen Gemeinden im amerikanischen Bundesstaat Alaska bekommt keinen Polizeischutz - und das in einer Gegend, wo häusliche Gewalt weit verbreitet ist. Die Bürgermeisterin der US-Stadt Baltimore unterhält ein lukratives Geschäft mit einem städtischen Krankenhaus, bei dem sie im Aufsichtsrat sitzt. Taxifahrer in New York werden gezwungen, Berufsbescheinigungen zu kaufen, die sie in den finanziellen Ruin zwingen. Der Klimawandel ist wissenschaftlich erwiesen. Konstruktionsfehler bei der Boeing 737 Max führten nicht nur zu zwei tödlichen Abstürzen; sie offenbaren auch, dass staatliche Behörden die Kontrollen vernachlässigt haben.

Ein einleitender Kommentar zu einer Geschichtensammlung, die die amerikanische Geschichte aus der Perspektive der Sklaven und ihrer Nachkommen erzählt, geht von der These aus, dass die Kernaussage der Unabhängigkeitserklärung - dass alle Menschen gleich sind - im Grunde eine Lüge der Gründerväter war. Die Aufhebung der Autonomie Kaschmirs, die Flüchtlingskrisen in Myanmar und Bangladesch und die Proteste in Hong Kong geben beeindruckende Bilder ab.Wladimir Putins Russland unterminiert die internationale Stabilität, bedroht Journalisten und überflutet die Welt mit Fake News. Und Karikaturen in den USA weisen klar darauf hin, dass sich die republikanische Partei völlig den Launen Donald Trumps unterworfen hat.

Indien | Srinagar | Ein maskierter kaschmirischer Demonstrant springt auf die Motorhaube eines gepanzerten Fahrzeugs
Dieses Bild, aufgenommen bei Demonstrationen in Kaschmir, gehörte zu einer preisgekrönten SerieBild: picture-alliance/dpa/AP/D. Yasin

Aber was ist mit dem Coronavirus?

Nein, kein einziger Beitrag zu Corona und den Folgen war unter den Gewinnern auszumachen, auch nicht bei den Nominierten. Und das hat einen einfachen Grund: Der Abgabetermin in den Kategorien Drama und Musik fiel bereits auf den 31. Dezember 2019, also vor den Ausbruch der Pandemie; auch die journalistischen Einsendungen datieren vor der Krise.

Die wichtige Rolle, die die Medien derzeit spielen - nicht nur, indem sie über die Krise berichten, sondern auch, weil sie während des Lockdowns für viele Menschen das Fenster zur Welt werden und vielleicht sogar helfen, den Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung zu verhindern – diese wichtige Rolle wird sich wohl erst im nächsten Jahr bei der Vergabe der Pulitzer-Preise widerspiegeln.

Die 18 Journalisten, Redakteure, Herausgeber und Akademiker des Pulitzer-Preis-Komitees befinden sich derzeit wahrscheinlich ebenso im Krisenmodus wie der Rest der USA. Die traditionelle Preisverleihungszeremonie in der New Yorker Columbia University mit anschließendem Mittagsessen wurde abgesagt. Stattdessen las die Journalistin und Administratorin des Komitees, Dana Canedy, die Namen der Gewinner in ihrem Wohnzimmer vor; der Livestream war auf pulizter.org und YouTube zu sehen.

Screenshot Youtube  Dana Canedy, Administratorin der US Pulitzer Preise
Die Pulitzer-Administratorin Dana Canedy streamte aus ihrem WohnzimmerBild: Youtube/Pulitzer.org

Die Pulitzer-Preise gelten als die renommiertesten Journalistenpreise der USA, manche behaupten sogar der ganzen Welt - auch wenn sich nur US-Medien und Autoren dafür qualifizieren können. Auch im 104. Jahr wurden die Preise getreu den Grundsätzen ihres Gründers vergeben: Joseph Pulitzer gab die Zeitungen "St. Louis Post-Dispatch" und "New York World" heraus, die sich vor allem im Kampf gegen Korruption profilierten.

Im Eröffnungswort erinnerte Dana Canedy daran, dass die ersten Pulitzer-Preise 1917 verliehen wurden - wenige Monate vor dem weltweiten Ausbruch der Spanischen Grippe. "In dieser Zeit beispielloser Unsicherheit wissen wir eines ganz sicher: Journalismus wird es immer geben", sagte sie. In der gegenwärtigen Situation huldigte Canedy Journalisten, die, wie andere Helfer an vorderster Front, "dem Feuer entgegenrennen, uns sicher halten und die Demokratie schützen." Die Kultur, fügte sie hinzu, sei in Krisenzeiten ebenfalls von essentieller Bedeutung, denn sie "generiert Trost in Form eines Gedichts oder auch Wohlbefinden und Freude durch eine Theateraufführung."

Bücher, Drama, Musik

Bei den 15 Preisen im journalistischen und sieben im kulturellen Bereich gewinnt ein Autor gleich zwei Mal; das hat es in der langen Geschichte der Pulitzer-Preise bisher nur vier Mal gegeben: Colson Whitehead wurde für "The Nickel Boys" ausgezeichnet, vor drei Jahren gewann er mit "The Underground Railroad". Sein neues Werk basiert auf einer wahren Geschichte und handelt von der Misshandlung schwarzer Jugendlicher in einer Reformschule im 19. Jahrhundert, zur Zeit der Rassentrennung in Florida. Whitehead ist international bekannt, sein neues Buch erschien in deutscher Übersetzung sogar vor der Herausgabe des Originals.

Colson Whitehead Schriftsteller Autor
Colson Whitehead war Gastautor beim letztjährigen Kölner Literaturfestival lit.CologneBild: Imago Images

Ausgezeichnet in der Sparte Musik wurde "The Central Park Five". Die Oper von Anthony Davis handelt von fünf afroamerikanischen und lateinamerikanischen Teenagern, die in den 1980er Jahren wegen einer Vergewaltigung im New Yorker Central Park verurteilt und später, nach Jahren im Gefängnis, freigesprochen wurden. Noch heute trifft die Geschichte in der Bevölkerung einen empfindlichen Nerv. Der Komponist Davis mutmaßt sogar, dass die Verhaftung im Jahr 1989 den Beginn von Donald Trumps politischer Karriere markierte: Trump kaufte damals ganze Zeitungsseiten für Werbezwecke auf und setzte sich für die Wiedereinführung der Todesstrafe ein. Auch nach dem Freispruch entschuldigte sich Trump nicht dafür.

Ebenfalls ausgezeichnet wurde eine persönliche Geschichte in einem historischen Kontext: "The Undying - A Meditation on Modern Illness" von Anne Boyer gewann in der Sparte Allgemeiner Sachliteratur. Die Autorin, bei der Brustkrebs diagnostiziert wurde, erzählt eindringlich von ihrem Überlebenskampf. Ein weiterer Gewinner in dieser Sparte, "The End of the Myth" von Greg Grandin, beleuchtet den Begriff "Grenze" in den USA - einem Land, wo seit jeher die grenzenlose Freiheit propagiert wurde. Der ideologische Wandel, so Grandin, werde vor allem vom Bild der Grenzmauer zwischen den USA und Mexiko verkörpert.

Preisgekrönt in der Sparte Geschichte wurde "Sweet Taste of Liberty "von W. Caleb McDaniel. Die wahre Erzählung handelt von einer Sklavin, die zunächst befreit und dann wiederverkauft wurde. Sie  überlebte den Bürgerkrieg, klagte anno 1870 ihren Verräter an und gewann den Fall nach acht Prozessjahren. "A Strange Loop" von Michael R. Jackson (Anm. d. Red.: kein Verwandter des verstorbenen Popsängers) gewann für das beste Drama. Jacksons Musical handelt von einem Künstler, der zum Überleben jobben muss und sich gleichzeitig mit seiner sexuellen Orientierung auseinandersetzt.

Michael R. Jackson USA Komponist und Lyriker
Der Komponist und Textdichter Michael R. JacksonBild: Getty Images/C. Barritt

Posthum wurde Ida B. Wells (1862-1931) ein Preis zuerkannt. Verehrt wurde die Journalistin und frühe Bürgerrechtlerin "für ihre ausgezeichnete und mutige Berichterstattung über die Gewalt, die Afroamerikanern in einer Zeit widerfuhr, als man sie einfach am nächsten Baum aufknüpfte." 

Im heutigen Amerika ist alles politisch

Der Zeitungsmagnat Joseph Pulitzer vererbte seinen Nachlass einst der Columbia School of Journalism in New York - und dem Pulitzer-Preis. Als unerbittlicher Wahrheitskämpfer war sich Pulitzer nicht zu schade, auch Sensationsjournalismus zu betreiben. Er war sowohl mit seriösen Berichten als auch mit Fake News erfolgreich. Wohlwissend, dass die Medienwelt immer stark im Wandel ist, ließ er die Kategorien für den Pulitzer-Preis offen.

Beim 104. Jahrgang wird deutlich, dass mittlerweile fast alle Bereiche des gegenwärtigen Lebens in den Vereinigten Staaten politisiert sind. Das war nicht immer der Fall. Zu den am meisten ausgeliehenen Büchern in der New Yorker Bücherei gehören die vergangenen Pulitzer-Preisträger Dr. Seuss mit der Kindergeschichte "Der Kater mit Hut" und Harper Lees "Wer die Nachtigall stört", außerdem "Schweinchen Wilbur und seine Freunde" von E.B. White und "Fahrenheit 451" von Ray Bradbury. Man kann aber hier und da auch eine politische Dimension erkennen, so beim meist gegoogelten Gewinner eines Pulitzer-Preises, dem 2018 ausgezeichneten Rapper Kendrick Lamar. Er wurde als "Bob Dylan dieser Ära" beschrieben und rappt eindringlich über das Leben der Schwarzen.

USA Donald Trump in Charlotte, North Carolina
Bei den Pulitzer-Preisträgern kein Thema: Donald TrumpBild: Reuters/C. Barria

Was auf der diesjährigen Gewinner-Liste fehlt, sind Geschichten über den amtierenden US-Präsidenten. Donald Trump einfach zu ignorieren, mag man vielleicht als größtmögliche Missachtung seiner Methodik sehen: Legt es dieser Präsident doch ständig darauf an, die Nachrichten zu dominieren und gleichzeitig die journalistische Sparte als "Fake News" zu diffamieren. Paradoxerweise bestätigt diese Haltung jedoch die Vorurteile der Trump-Anhänger, dass alles, was ihm nicht zujubelt, zum "liberalen Establishment" gehört.

2021 wird wahrscheinlich Corona das vorherrschende Thema der Pulitzer-prämierten Beiträge und Geschichten sein. In der Zwischenzeit hat das Gremium der Welt beim Ausklammern des Themas vielleicht aber sogar einen Dienst erwiesen: Es erinnert daran, dass es jenseits der Krise noch etwas anderes gibt.