Schwierige Rückkehr in die Normalität
27. Februar 2014Seit drei Jahren tobt der Krieg in Syrien mit immer größerer Brutalität. Längst stehen sich nicht nur Oppositions- und Regierungskräfte gegenüber. Auch radikal-islamistische Gruppen sind in die Kämpfe verwickelt. Und immer mehr Menschen versuchen, der Gewalt zu entkommen.
Zweieinhalb Millionen Syrer sind nach Schätzungen des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR in die Nachbarstaaten geflohen, rund vier Millionen innerhalb des Landes. Die Aufnahmeländer in der Nachbarschaft sind überlastet und werden der Menschenmassen nur mit Mühe Herr. Alleine im kleinen Libanon halten sich fast eine Million Flüchtlinge auf.
Die großen Hilfsorganisationen und das UNHCR stehen vor erheblichen Herausforderungen. Zunächst müssen sie den unmittelbaren Nöten der Flüchtlinge begegnen und dafür sorgen, dass sie Nahrung haben, Kleidung und ein Dach über dem Kopf sowie medizinisch hinreichend versorgt sind. Hier stoßen die Helfer auf ganz unterschiedliche Verhältnisse: Während in der Türkei und in Jordanien sehr viele Menschen in von der internationalen Gemeinschaft errichteten Flüchtlingslagern Schutz finden, sind im Libanon die meisten Syrer auf sich allein gestellt. Sie müssen selbst für Nahrung und Unterkunft sorgen.
Rückkehr zur Normalität
Jenseits dieser akuten Probleme stellen sich aber auch weitere Herausforderungen. Denn die Flüchtlinge müssen irgendwann wieder Fuß fassen - entweder, indem sie in den derzeitigen Aufnahmeländern ein neues Leben beginnen. Oder indem sie in die vom Bürgerkrieg zerrissene Heimat zurückkehren. In beiden Fällen geht es für sie darum, aus einer Ausnahme- und Extremsituation wieder in ein normales Leben zu finden. Zwar ist es noch zu früh, um an konkrete Zukunftsszenarien für syrische Flüchtlinge zu denken. Dennoch haben die großen Hilfsorganisationen sowie das UNHCR mit der Wiedereingliederung von Flüchtlingen aus anderen Konflikten Erfahrungen, die irgendwann auch für die syrischen Vertriebenen greifen werden.
Flüchtlinge litten vor allem darunter, dass sie ihr altes Leben zurücklassen mussten, erläutert Nigel Timmins von der Hilfsorganisation Oxfam. Das habe er auch in der Arbeit mit Syrern gemerkt. "Wie alle Menschen hatten auch sie früher ein ordentliches Arbeitsverhältnis und gingen ganz normalen Berufen nach. Sie hätten nie damit gerechnet, eines Tages fliehen zu müssen." Besonders dramatisch würden die Folgen dieser Erfahrung dann, wenn sich keine Zukunftsperspektiven böten. Genau dies sei aber sehr häufig der Fall: In der Türkei und in Jordanien ermöglichen viele Hilfsangebote einem Teil der Flüchtlinge unbezahlte Arbeit in den Lagern, was den Menschen zumindest erlaubt, ihre Zeit sinnvoll zu verbringen. Aber materielle Perspektiven ergeben sich daraus noch nicht. Noch härter trifft es viele Flüchtlinge im Libanon: Nicht wenige arbeiten zu niedrigsten Löhnen, was für Unmut unter den libanesischen Arbeitssuchenden sorgt und sie gegen die Syrer aufbringt. Auch in der Türkei schlagen sich viele auf eigene Faust durch.
Traumata durch Gewalt
Hinzu kommen weitere Belastungen, erklärt Jackie Keegan vom UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR: Aus Einsätzen in einigen Ländern in Westafrika weiß sie, dass viele Flüchtlinge traumatische Erfahrungen machen, die die Integration zusätzlich erschweren. Sie traf Flüchtlinge, die als Sexsklaven arbeiten mussten. "Andere wurden im Kindesalter zur Arbeit genötigt." Deshalb arbeitet das UNHCR seit geraumer Zeit mit Organisationen zusammen, die sich auf traumatisierte Flüchtlinge spezialisiert haben. "Sie unterstützen uns dabei, diese Traumata angemessen zu verstehen. Auch beraten sie uns in der Frage, wie man sich diesen Menschen am besten nähert. Es handelt sich um einen äußert sensiblen Prozess." Diese Expertise werden die Helfer auch in den syrischen Lagern brauchen: Dort stoßen sie auf Menschen, die extremer Gewalt wie Bombenangriffen ausgesetzt waren oder die nahe Angehörige verloren haben. Syrische Frauen berichten von Vergewaltigungen.
Doch auch die Reintegration nicht seelisch oder körperlich verletzter Flüchtlinge bereitet Probleme. Denn oft tun sich die Aufnahmeländer schwer damit, den Betroffenen eine neue Heimat zu bieten. Dafür gibt es konkrete Gründe: "Die Aufnahmeländer spüren die Auswirkungen der Flüchtlinge auf den lokalen Arbeitsmarkt sehr deutlich." Das zeigt sich derzeit im Libanon: der Arbeitsmarkt dort ist vor allem bei den einfachen Tätigkeiten völlig überlastet. Bei unqualifizierten Arbeiten entscheidet allein der Preis über die Beschäftigung. Anspruchsvollere Arbeitsverhältnisse teilen die Einheimischen hingegen weiter unter sich auf. Umso mehr komme es darauf an, die Flüchtlinge als Menschen darzustellen und vor allem auf ihre Qualifikationen hinzuweisen, sagt Keegan. Denn die brächten die Flüchtlinge ja mit, und die könnten auch dabei helfen, der Wirtschaft des Aufnahmelandes neue Impulse zu geben.
Kultur erleichtert Integration
Eines aber erleichtere die Integration ganz wesentlich, berichtet Keegan: sprachliche, kulturelle oder religiöse Gemeinsamkeiten. Auch in diesem Zusammenhang verweist sie auf ihre Erfahrungen aus anderen Regionen. In der Zentralafrikanischen Republik habe sie Flüchtlinge aus Kamerun betreut. "Die hatten dort zuvor bereits als Kaufleute gearbeitet." Auf Grundlage dieser Kontakte hätten sie dann dort eine neue Existenz beginnen können. "Die Leute kannten sich, und die Einheimischen betrachteten die Flüchtlinge als potenzielle Mitglieder ihrer Gemeinschaften. So wurden sie dann zu Mitgliedern ihrer Gesellschaft." In den Nachbarländern Syriens hingegen verläuft die Integration bestenfalls schleppend. Es sind schlicht zu viele Menschen, die integriert werden müssen. Solange in Syrien gekämpft wird, werden die meisten von ihnen weiter im Ausnahmezustand leben müssen.