Dresden hat ein Imageproblem
10. September 2015Dicke, schwarze Wolken hängen über der Altstadt von Dresden. Schon den ganzen Vormittag hat es geregnet. Dennoch hält ein Bus nach dem anderen am Theaterplatz vor der Semperoper. Menschen steigen aus, machen Fotos, posieren. Auch im Zwinger nebenan - einst die Orangerie des sächsischen Königs und heute Museum mit Kunstschätzen aus der ganzen Welt - mischt sich Gemurmel diverser Sprachen mit dem gleichmäßigen Plätschern der Springbrunnen. Auf den ersten Blick scheint alles wie immer.
Und doch sagen die Statistiken etwas anderes. Erstmals seit fünf Rekordjahren in Folge und entgegen dem Trend anderer deutscher Großstädte haben die Besucherzahlen in Dresden nachgelassen. So kamen zwischen Januar und Juni rund 900.000 Besucher in die Stadt und damit 1,7 Prozent weniger als noch im Vorjahreszeitraum. Die Übernachtungen gingen um 3,2 Prozent auf 1,8 Millionen zurück. Wie lässt sich das erklären?
Weniger Gäste aus Russland und dem Inland
Die Dresden Marketing Gesellschaft, die Ende August die Halbjahresbilanz für 2015 vorstellte, nennt zwei entscheidende Faktoren: Zum einen sei der wichtige Markt russischer Gäste um fast 30 Prozent eingebrochen. Das liege an der dortigen Wirtschaftskrise und der politischen Instabilität. Zum anderen seien im Vergleich zum Vorjahr deutlich weniger inländische Besucher in die Stadt an der Elbe gekommen. Hierbei habe sicherlich auch die "negative Präsenz Dresdens in den Medien" für gedrückte Stimmung gesorgt, heißt es diplomatisch in einer Pressemitteilung.
Gemeint sind Berichte sowohl deutscher als auch internationaler Medien über Massendemonstrationen der sogenannten Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes (Pegida). Deren Anhänger zogen besonders zwischen Januar und März zu tausenden durch die Dresdner Altstadt und warnten vor einer vermeintlichen Überfremdung durch den Islam, politischer Fremdherrschaft und Manipulation durch die Medien. Sprechchöre richteten sich immer wieder gegen Flüchtlinge und Ausländer. Und die Demonstrationen gehen weiter. Am Montag, den 7. September, sollen es 4000 Teilnehmer gewesen sein, andere Quellen berichten von 10.000.
Touristiker hoffen auf Schadensbegrenzung
Wie sehr halten diese Bilder deutsche und womöglich auch internationale Gäste von einem Dresden-Besuch ab? Das sei in harten Zahlen nicht messbar, so das Stadtmarketing. Außerdem gäbe es weitere Einflussfaktoren, etwa das Wetter oder fehlende Großevents im ersten Halbjahr. Geschäftsführerin Bettina Bunge räumte allerdings ein, Reiseanbieter hätten von Kunden berichtet, die durch "Pegida" verunsichert seien.
Das niederländische Rentnerpärchen, das gerade durch den Dresdner Zwinger schlendert, jedenfalls zeigt sich unbeeindruckt von alldem. "Solche Leute gibt’s bei uns in Holland genauso, das muss Demokratie aushalten", sagt Carolien Janssen und fügt lächelnd hinzu: "Wir lieben diese Stadt einfach. Wir waren vor 20 Jahren schon mal hier, aber nun ist sie noch schöner geworden." Auch Javier Bernal aus Mexiko, der eigentlich beruflich in der Stadt ist und nun spontan einer Sightseeingtour folgt, bleibt entspannt. Von Pegida habe er noch nie gehört, aber so eine Gruppe sollte doch niemanden davon abhalten, Dresden mit seiner spannenden Geschichte zu besuchen.
Sicher, jene Touristen, die weggeblieben sind, können nicht zu ihren Gründen befragt werden. Aber vielleicht wissen die Reiseanbieter mehr, die täglich Kontakt haben zu Menschen aus aller Welt. Auf Nachfrage der DW bei drei großen Agenturen für Incoming-Tourismus möchte sich jedoch niemand äußern. Und schon gar nicht namentlich genannt werden. Für vertiefende Informationen zu den Zahlen seien die Tourismusverbände und das Stadt-Marketing Ansprechpartner. Die Verunsicherung ist spürbar. Sie wissen, dass Dresden die negativen Bilder der vergangenen Monate - die zuletzt bei Ausschreitungen vor einem Asylbewerberheim im benachbarten Heidenau bekräftigt wurden - so schnell nicht los wird.
Welche Strategie ist nun sinnvoll?
Als eine erste Maßnahme fuhr die sächsische Landesregierung kürzlich die millionenschwere Kampagne "So geht sächsisch" herunter. Darin warben seit 2013 unter anderem TV-Spots und Plakate in mehreren europäischen Großstädten für die Attraktivität Sachsens. "Sie können nicht die Schönheit der sächsischen Landschaft loben und dann laufen unmittelbar danach in den Nachrichten ganz andere Bilder von Ausschreitungen vor Asylbewerberheimen über den Schirm", sagt Regierungssprecher Christian Hoose. "Aber wir wollen die Kampagne anpassen und verstärkt engagierte Dresdner in den Mittelpunkt rücken."
Die Bundesbeauftragte für Tourismus Iris Gleicke hält es für die beste Strategie, offen mit der Situation umzugehen und begrüßt daher den Schritt der sächsischen Landesregierung. Um den Imageschaden langfristig zu beheben, sei jedoch weniger die Politik allein gefragt: "Es hängt davon ab, ob es der Stadt und ihren Bürgerinnen und Bürgern gelingt, nach außen deutlich zu machen, dass Pegida noch nicht einmal annähernd für die Mehrheit spricht." Das belegten bereits zahlreiche Initiativen, die nun noch lauter auf sich aufmerksam machen müssten.
Solidarität von außen ist jetzt wichtig
Die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, ein Ensemble von 14 großen Museen vom Grünen Gewölbe bis zur Gemäldegalerie Alte Meister, haben sich bereits zu Beginn des Jahres einer Initiative gegen Fremdenfeindlichkeit angeschlossen. Seither werben sie für die Weltoffenheit Dresdens. "Sachsen ist wesentlich dadurch gekennzeichnet und dadurch zur Blüte gelangt, dass es für Einflüsse von außen empfänglich war", sagt Generaldirektor Hartwig Fischer. Gerade in den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden könne man das erleben, aber auch in Musik, Architektur, und Wissenschaft. Jetzt nicht nach Dresden zu reisen, hält er daher für das falsche Zeichen. "Jetzt erst recht brauchen Kultur und Wissenschaft, braucht die Zivilgesellschaft die Solidarität von außen. Andernfalls hätte eine letztlich sehr kleine Minderheit einen äußerst großen negativen Effekt erzielt."
Vor der Semperoper hat soeben ein neuer Bus mit Touristen aus China gehalten. Inzwischen ist sogar der Himmel aufgerissen und die Sonne scheint für einen Moment auf den Platz. An vier Fahnenmasten zeigt auch die Oper Flagge. In großen Lettern steht auf weißen Tüchern geschrieben: "Die Würde des Menschen ist unantastbar" - der erste Artikel des deutschen Grundgesetztes - ergänzt um die Aufforderung "Augen auf", "Herzen auf", "Türen auf".