Efromovich-Brüder: Zug bei Alitalia abgefahren?
22. Juli 2020Die Corona-Krise ist auch eine Krise der Luftfahrt. Fast alle Fluggesellschaften kämpfen derzeit ums Überleben. Einige vergeblich. In der vergangenen Woche beschloss die brasilianische Justiz nach gescheiterten Verhandlungen mit den Gläubigern die Insolvenz der Fluggesellschaft Avianca Brasil, die von dem bolivianisch-kolumbianischen Brüderpaar Germán und José Efromovich kontrolliert wurde. Im vergangenen Jahr hatte ihre Holding bereits die Kontrolle über die Fluglinie Avianca Colombia verloren.
Es ist das vorläufige Ende des Aufstiegs der Efromovichs in Südamerikas Luftfahrtbranche. Der hatte mit einem Zufall begonnen. Als ein Kunde seine Schulden nicht begleichen konnte - damals waren sie noch im Ölsektor tätig - behielten sie das Pfand ein: zwei Propellerflugzeuge. Es war die Geburtsstunde von Ocean Air, die dann ihr Streckennetz ausweitete. 2003 kaufte der ältere der Brüder, Germán Efromovich, Kolumbiens wichtigste Airline Avianca, rettete sie vor dem Konkurs und machte sie zur zweitgrößten Lateinamerikas. Aus Ocean Air wurde derweil Avianca Brasil.
Bewegte Familiengeschichte
Die Söhne polnischer Juden, die vor den Nazis nach Bolivien geflohen waren, wuchsen in Chile und Brasilien auf. Nach seinem Abschluss als Maschinenbauingenieur am Centro Universitário da FEI im Bundesstaat São Paulo - sein Studium hatte er mit dem Verkauf von Enzyklopädien finanziert - begann Germán seine berufliche Laufbahn als Flugzeuginspektor. Später ging er nach New York, wo er ein kleines Vermessungsunternehmen betrieb und nebenher - wirklich wahr - unter anderem als Tellerwäscher arbeitete.
Nach seiner Rückkehr nach Brasilien führte er zusammen mit seinem Bruder José zunächst Werkstofftests für den staatlichen Ölkonzern Petrobras durch. Nach und nach bauten sie ein Unternehmen zum Bau und Verpachtung von Ölbohrinseln auf. Weitere Geschäftsbereiche wie Kraftwerke, Werften und Produkte für die medizinische Industrie kamen hinzu - gebündelt in der Holding Synergy Group. Um die Jahrtausendwende ging eine seiner Ölplattformen bei einem schweren Unfall vor der brasilianischen Küste unter. Es kam zu einem langwierigen Rechtsstreit mit Petrobras um ausstehende Rechnungen und Abfindungszahlungen.
Überraschende Chance im Luftfahrtsektor
Die Chance, im Luftfahrtsektor zu wachsen, ergab sich 2004, als die Efromovichs eine Mehrheitsbeteiligung an der damals in großen finanziellen Schwierigkeiten steckenden kolumbianischen Avianca Holding erwarben. Der Legende nach wurde das Geschäft bei einem Mittagessen im Haus des brasilianischen Botschafters in Kolumbien auf einer Serviette abgeschlossen.
Germán Efromovich zahlte 64 Millionen US-Dollar in bar Zahlung und übernahm Verbindlichkeiten in Höhe von 220 Millionen US-Dollar. Eine lächerliche Summe angesichts des Betriebsergebnisses von drei Milliarden US-Dollar, das er in den ersten sechs Jahren erzielte.
Avancia: Zweitgrößte Airline Lateinamerikas
Nach der Rettung vor dem Konkurs machte Germán Efromovich Avianca zur zweitgrößten Airline Lateinamerikas. Zusammen mit seinem Bruder José übernahmen sie die Kontrolle über einige regionale Fluglinien. Ocean Air begann, die Marke Avianca in Brasilien zu verwenden, obwohl es immer ein rechtlich getrenntes Geschäft von dem in Kolumbien blieb.
Ab 2014 aber begann sich das Glück zu wenden. Brasilien rutschte in eine tiefe Rezession. Germán Efromovich nahm einen Kredit bei dem Investmentfonds Elliott Management auf, um sein Werftgeschäft zu stützen, das aber schließlich doch geschlossen wurde. In der Zwischenzeit setzte er seine Expansionspläne für Avianca Colombia fort und gründete ein Joint Venture mit Copa Airlines aus Panama und der US-Fluglinie United Airlines. Im Zusammenhang mit dem Deal lieh sich Efromovich 456 Millionen US-Dollar von United, um die von Elliott aufgenommenen Kredite zurückzuzahlen, wobei sein Anteil an Avianca als Sicherheit diente. Als er das Darlehen nicht mehr bedienen konnte, übernahm United im Mai vergangenen Jahres schließlich die Kontrolle über Efromovichs Aktienpaket von Avianca.
Probleme bereits vor Corona
Auch Avianca Brasil geriet lange vor Corona in Schwierigkeiten. Im Dezember 2018 erklärte die Fluggesellschaft die Aussetzung aller Zahlungen, um mit den Gläubigern über eine Neustrukturierung der Schulden zu verhandeln. Im Mai verbot Brasiliens Luftfahrtbehörde ANAC Avianca aufgrund der kritischen finanziellen Situation das operative Geschäft. Die Airline versuchte daraufhin, die wertvollen Slots (Start- und Landerechte) zu versteigern, aber dies wurde von der ANAC ebenfalls untersagt.
In der vergangenen Woche nun erklärte Brasiliens Justiz die Pleite des Unternehmens. In dem Insolvenzurteil legte der Richter eine Höchstfrist von 60 Tagen fest, innerhalb derer die Fluggesellschaft eine Liste ihrer Vermögenswerte vorlegen kann, die versteigert werden, um einen Teil der Schulden zu begleichen.
Interesse an Alitalia
Doch während Avianca Brasil abgewickelt wird und die Kontrolle über Avianca Colombia verloren scheint, haben die Brüder Efromovich bereits eine andere Fluggesellschaft ins Visier genommen: die angeschlagene italienische Alitalia. Die Airline hat seit 2002 keinen Profit mehr gemacht und konnte sich nur mit staatlichen Finanzspritzen über Wasser halten. Zuletzt schoss die Regierung in Rom weitere drei Milliarden Euro zu. Die "neue", teilverstaatlichte Alitalia soll mit verkleinerter Flotte verstärkt auf der Langstrecke unterwegs sein. Italiens Premier Giuseppe Conte sagte, seine Regierung habe keine Absicht mehr, die Alitalia weiter zu finanzieren. "Sie wird auf eigenen Beinen stehen müssen", sagte Conte vor zwei Wochen in Rom.
Germán Efromovich hatte sich bereits letztes Jahr im Rahmen des Rettungsprozesses als Investor angeboten. Zuletzt bekundete er sein "Interesse an der Wiedergeburt von Alitalia" und wollte sich mit einer Milliarde Euro an der Airline beteiligen. Der Verkehrskommission des italienischen Parlaments hatte er eine Strategieliste vorgelegt. Er verfüge über ausreichend finanzielle Mittel, um in das Unternehmen zu investieren, ohne Kredite aufnehmen zu müssen, so Efromovich.
"Ich wiederhole, dass ich an die Zukunft des Unternehmens glaube, solange es sich nicht um eine Replik der Vergangenheit handelt, einfach nur mit einem neuen Make-up versehen!" Ob er noch zum Zuge kommt, bleibt ungewiss.