Ehemaliger Mönch im Einfamilienhaus
6. März 2009Das weiße Einfamilienhaus, in dem Jampa Kelsang Phukang mit seiner Frau Dekyi lebt, duckt sich hinter eine hohe Hecke. Im Fenster vor dem Eingang steht eine kleine Tibetflagge. Phukang gehört zur ersten Generation von Exiltibetern. Geboren wurde er noch in Tibet. Er sitzt an einem Esstisch aus hellem Holz. Seinen Hemdkragen hat er ordentlich über den Rand seines blauen Herrenpullovers geschlagen. An der Wand hinter ihm hängen alte Bilder von der Familie in Tibet und von einem Besuch beim Dalai Lama in Dharamsala. Die Okkupation Tibets durch China, die zur Flucht des Dalai Lama und zehntausender Tibeter geführt hatte, hat er selbst miterlebt. Beim Einmarsch der Chinesen 1950 war Phukang neun Jahre alt und Novize im Kloster Ganden nahe Lhasa. An die erste Zeit hat er durchaus gute Erinnerungen: „Als die Chinesen nach Lhasa kamen, waren sie erst sehr freundlich und hilfsbereit,“ erzählt der heute 66-Jährige.
Die Lage spitzt sich zu
Mit einem Volksaufstand in den östlichen tibetischen Gebieten, die heute zu den Provinzen Qinghai und Sichuan gehören, wendete sich 1957 das Blatt. Dort waren die sozialistischen Reformen, von denen Zentraltibet zunächst ausgenommen war, schon in vollem Gange. 1959 protestierten die Tibeter auch in Lhasa gegen die chinesische Herrschaft. Der 17-jährige Phukang war mit einem Freund dort. „Die Stimmung war sehr ernst und angespannt,“ sagt er. Während er erzählt, hält er immer wieder inne. Es scheint, als erlebe er die Szenen vor seinem inneren Auge noch einmal. Er selbst habe sich nicht getraut zum Sommerpalast des Dalai Lama zu gehen, hörte aber die Rufe der Demonstranten, als sie durch die Innenstadt zogen. „Sie riefen: 'Wir sind souverän, die Chinesen sollen verschwinden'. Die Leuten waren sehr emotional und überall waren Soldaten mit Waffen. Da habe ich gedacht, das kann nicht gut enden,“ erinnert sich Phukang.
Die Tibeter folgen dem Dalai Lama ins Exil
Er und sein Freund kehrten vorsichtshalber zurück in ihr Kloster Ganden, das etwa einen Tagesmarsch von Lhasa entfernt liegt. „Da sagte jemand, Lhasa ist verloren und der Dalai Lama ist geflohen.“ Die Mönche des Klosters entschlossen sich ebenfalls zu fliehen. Chinesische Truppen verfolgten die Flüchtenden, die aus der ganzen Umgebung aufbrachen. Kurz vor der indischen Grenze waren die Tibeter plötzlich eingekreist. Nur nach Süden über die Schneeberge konnten sie noch weiter. Aber dort gab es keinen Weg, nur knietiefen Schnee.
Phukang legt seine hohe Stirn unter dem schneeweissen Haar in Falten. „Da habe ich gedacht, heute sterbe ich,“ sagt er.
Knapp entkommen
Doch einer kam auf die Idee, eine Herde Yaks aus der Umgebung auf den Berg zu schicken. In der Spur, die sie in den Schnee furchten, konnten die rund 7000 Flüchtenden folgen; allerdings nur hintereinander. "Abends kamen schon die Soldaten da an, wo wir gewartet hatten. Wir hörten die Kämpfe. Da haben bestimmt viele ihr Leben verloren,“ erzählt Phukang und zieht die Stirn in Falten. Er selbst kam sicher in Indien an und konnte dort seine buddhistischen Studien fortführen. Seine Mönchsroben hatte er allerdings während der Flucht abgelegt: "Wir wussten, wenn wir in chinesische Hände fallen, müssten wir wahrscheinlich töten,“ sagt er. In sein Einfamilienhaus bei Bonn kam er ein paar Jahre später.