Ein Linkspopulist auf der Siegerstraße
1. Juli 2018Jeder hat zum Abschluss des Wahlkampfes in Mexiko noch einmal sein Bestes gegeben: 90.000 feierten in Mexiko-Stadt den in Umfragen führenden Andrés Manuel López Obrador von der Bewegung der Nationalen Erneuerung (Morena) mit Sprechchören. López Obrador kündigte harte Strafen für korrupte Politiker und null Steuererhöhungen an sowie eine auf den internen Markt fokussierte Wirtschaftspolitik. Sein Herausforderer Ricardo Anaya von der konservativen Partei der Nationalen Aktion (PAN) zeigte sich in Guanajuato kämpferisch: "Trotz der infamen Attacken unserer Gegner stehen wir aufrecht. Wir sind die einzige Option für die Zukunft". In Coahuila im Norden Mexikos versprach José Antonio Meade von der regierenden Partei der Institutionellen Revolution (PRI) mehr Sicherheit und bezeichnete López Obrador als "autoritäre Gefahr".
Erstmals könnte nach der Präsidentschaftswahl an diesem Sonntag mit López Obrador ein Kandidat in den Präsidentenpalast einziehen, vor dem die Elite zittert und den sie gerne mit Venezuelas verstorbenem, linkspopulistischen Expräsidenten Hugo Chávez vergleicht. Es ist der dritte Anlauf des 64-Jährigen. Diesmal liegt er Umfragen zufolge mit 10 bis 18 Punkten Vorsprung vor seinem Verfolger Anaya.
Das liegt zum einen an der mageren Bilanz der Vorgängerregierungen von PAN und PRI, zum anderen an der emotionalen Bindung, die der charismatische Kandidat zu seinen Wählern aufbauen kann. Dass er sich nicht scheute, mit Parteien zu brechen (1988 mit der PRI und 2012 mit der linken Partei der Demokratischen Revolution), wenn diese seinen Überzeugungen widersprachen, machte ihn zum Außenseiter - wovon er heute in einem Ambiente des Politikverdrusses profitiert.
"Wir brauchen einen Wandel. Die Politiker haben nur in die eigene Tasche gewirtschaftet, den Drogenkrieg angezettelt, und das Volk leidet", sagt der 27-jährige Musikstudent David Pérez, der López Obrador seine Stimme geben wird. Die Erstwählerin Tania González sagt dagegen: "López Obrador wird die Wirtschaft ruinieren, und dann geht es allen schlechter. Daher wähle ich lieber Anaya, der ist jünger und hat ein moderneres Programm."
Farblose Gegner
Der von den Unternehmern favorisierte Anaya führte zwar einen aggressiven und teuren Wahlkampf, hat ein ausgefeiltes Programm und führte bei den Debatten López Obradors Plattitüden vor - etwa dass es ausreicht, die Korruption mit einem guten Beispiel zu bekämpfen. Dennoch gelang dem ehrgeizigen 39-Jährigen laut Umfragen der Sprung an die Spitze nicht. Geldwäschevorwürfe belasteten ihn ebenso wie sein Image als Yuppie und skrupelloser Machtmensch sowie interne Streitereien in seiner Koalition. Sein Wahlkampfteam hofft trotzdem am Wahltag noch auf ein Wunder - und auf die gut 20 Prozent Unentschlossenen.Auf dem dritten Platz liegt in den Umfragen José Antonio Meade. Er selbst gilt zwar als integrer Technokrat, ihn belasten jedoch die Korruptionsskandale der letzten Jahre unter Präsident Enrique Peña Nieto (PRI) ebenso wie die steigende Gewaltkriminalität und unpopuläre Steuererhöhungen. Meade hat kein Charisma, und die Basis war über den parteilosen Kandidaten nicht sehr glücklich. All das könnte dazu führen, dass die PRI das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte einfährt. Peñas Amtszeit (2012-2018), einst als triumphale Rückkehr der PRI gefeiert, wäre aus historischer Perspektive dann nur noch eine Klammer im schleichenden Niedergang der ehemaligen Staatspartei.
Hoffnung auf mehr Gerechtigkeit
López Obradors 2012 gegründete Bewegung für die nationale Erneuerung (Morena) könnte die stärkste Fraktion im Kongress stellen. Allerdings mit kuriosen Bündnispartnern, von erzkonservativen Evangelikalen über ehemalige PAN-und PRI-Politiker bis hin zu Ex-Kommunisten und Vertretern von Bürgerwehren. Wohin das letztlich führen wird, ist ein Rätsel. López Obrador ist derzeit der Kitt, der die Differenzen überstrahlt, und auf den die Mexikaner ihre Hoffnung projizieren, dass der Kuchen des Wohlstands gerechter verteilt wird.
Denn Mexiko ist in den vergangenen zwölf Jahren um jährlich gut zwei Prozent gewachsen. Das Land industrialisierte sich und entwickelte sich zum viertgrößten Automobilexporteur weltweit. Doch gleichzeitig verdoppelte sich die Mordrate, wegen der hohen Inflation von 4,5 Prozent jährlich fielen die Reallöhne, und die Armut verharrte auf 36 Prozent. Bildungs- und Gesundheitswesen machten viel zu langsam Fortschritte, um mit den gewachsenen Ansprüchen der neuen Mittelschicht Schritt zu halten.