Piratenjagd auch an Land
18. April 2012Schiffsmannschaften sind inzwischen gut vorbereitet, denn Angriffe sind Alltag vor der Küste Somalias: 237 davon zählte das Internationale Schifffahrtsbüro (IMB) in London allein im vergangenen Jahr.
Zahlreiche Staaten bemühen sich deshalb, die wichtige Handelsroute durch den Golf von Aden zu schützen. Inzwischen sind China, Indien, Russland, die NATO und die EU mit Kriegsschiffen vor Ort. Die europäische Mission Atalanta umfasst fünf bis zehn Kriegsschiffe, darunter zwei der Bundeswehr. Doch trotzdem steigt die Zahl der Piratenangriffe nach Angaben des IMB Jahr für Jahr: Seit 2007 hat sie sich fast verzehnfacht.
Angriffe auf die Infrastruktur
Daher will die EU ihre Operation nun auf das Festland ausweiten: Die Außenminister hatten Ende März beschlossen, dass künftig auch Ziele in Somalia aus der Luft angegriffen werden können. Die Einsätze sollen auf den Uferbereich beschränkt bleiben und sich hauptsächlich gegen Materiallager, Boote und Treibstoffvorräte richten. Über die beschlossene Ausweitung wird der deutsche Bundestag voraussichtlich im Mai abstimmen müssen. In der Vergangenheit hatten auch Politiker der Regierungskoalition die Idee kritisiert. Sogar Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) erklärte noch Mitte Januar, er glaube nicht, dass dies das Problem löse.
Die Opposition ist ebenfalls gespalten. Omid Nouripour, verteidigungspolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag, schließt eine Zustimmung nicht aus. "Wir werden erst prüfen, was im Mandatstext steht und dann entscheiden", sagt Nouripour und verweist darauf, dass die große Mehrheit der grünen Fraktion der ursprünglichen Mission zugestimmt hatte. "Fakt aber ist, dass die geplante Ausweitung von uns sehr kritisch gesehen wird." Bei Angriffen auf die küstennahe Infrastruktur könnten die Piraten ihre Taktik schnell anpassen. "Das wird dazu führen, dass man das dann wieder lässt."
Geheime Pläne
Möglicherweise werden die Abgeordneten viele Details dessen, über das sie abstimmen sollen, gar nicht kennen, denn der Militärausschuss der EU will sie geheim halten. Zwar ist inzwischen bekannt, dass die Kampfhubschrauber bis zu zwei Kilometer landeinwärts fliegen dürfen. Aber auch auf solche Einzelheiten komme es gar nicht mehr an, meint Rainer Arnold, der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Fraktion. "Als Fachpolitiker werde ich meiner Fraktion empfehlen, diesem Mandat nicht zuzustimmen." Auch er glaubt, dass die vorgesehenen Angriffe kaum einen Effekt hätten. "Zudem ist beim Einsatz bewaffneter Streitkräfte immer das Risiko da, dass aus Versehen auch Unschuldige zu Tode kommen", sagt Arnold. Auch für die Besatzungen bestehe ein "Restrisiko": "Es ist nicht auszuschließen, dass sie mit Panzerfäusten und ähnlichen Systemen angegriffen werden."
Was derzeit niemand will, ist der Einsatz von Bodentruppen. Der letzte Versuch - die UN-Mission UNOSOM - endete 1993, nachdem die entkleidete Leiche eines US-Soldaten vor Fernsehkameras durch Mogadischu geschleift worden war. Seit Jahrzehnten hat das Land keine funktionierende Regierung und wird von Bürgerkriegen und Hungersnöten beherrscht. Rund 18.000 Soldaten der Afrikanischen Union kämpfen derzeit gegen die radikalislamische Al-Schabaab-Miliz, die weite Teile des Zentrums und des Südens kontrolliert. "Somalia ist einer der schwierigsten Orte der Welt für uns", sagt Challiss McDonough, Sprecherin des Welternährungsprogramms (WFP) im benachbarten Kenia. Seit 2008 starben in Somalia 17 ihrer Kollegen, zuletzt wurden im Dezember zwei WFP-Mitarbeiter und das Mitglied einer Partnerorganisation erschossen.
"Proaktives Vorgehen"
Zumindest die Schiffe des WFP, die allein im Februar 20.000 Tonnen Nahrungsmittel nach Somalia brachten, sind inzwischen sicher: Nachdem vier von ihnen entführt worden waren, werden sie seit 2007 von Kriegsschiffen eskortiert. Kommerzielle Frachter in gleicher Weise zu schützen ist unmöglich: Bis zu 30.000 Schiffe passieren jedes Jahr den Golf von Aden – und die höchstens zehn Atalanta-Schiffe müssen ein Gebiet überwachen, das etwa eineinhalb Mal so groß ist wie das europäische Festland. Gleichwohl sieht Cyrus Mody, Leiter des Piraterie-Zentrums des Internationalen Schifffahrtsbüros, Erfolge. "Die Marinen haben eine sehr proaktive Vorgehensweise", sagt Mody. "Sie verwenden häufig nachrichtendienstliche Mittel, um Piratengruppen ins Visier zu nehmen, bevor die beginnen können, Schiffe anzugreifen."
Meist finden die Einsätze gar nicht mehr den Weg in die Presse. So befreiten nach offiziellen Angaben Schiffe der Bundeswehr im Januar und Februar zwei indische Schiffe samt Crew, indem sie den Piraten die Flucht gestatteten. Nicht immer gehen solche Einsätze gut: Ende Februar starben nach einer Befreiungsaktion der dänischen Marine zwei der 18 Geiseln an ihren Verletzungen. Ein indisches Kriegsschiff versenkte 2008 einen thailändischen Fischkutter, den Piraten mitsamt der 15-köpfigen Crew entführt hatten.
Erfolgreiche Angriffe werden weniger
Die Piratenangriffe nehmen zwar weiter zu, doch die Seeräuber haben es schwerer: Die Zahl der erfolgreichen Kaperungen sank 2011 auf 28 gegenüber 49 im Vorjahr. Dafür sei auch die größere Vorsicht der Crews verantwortlich, sagt Cyrus Mody vom IMB. Sie seinen bemüht, auf Bedrohungen zu achten und gegebenenfalls das Weite zu suchen. "Auch steigt die Zahl von Schiffen, die bewaffnetes Sicherheitspersonal an Bord beschäftigen."
Conrad Schetter, Somalia-Experte an der Universität Bonn, hält den Militäreinsatz am Horn von Afrika für verfehlt. "Das Problem ist, dass sich die internationale Gemeinschaft seit Jahrzehnten um das Thema Somalia herumdrückt", sagt Schetter. "Die Piraten gibt es ja nicht, weil ihnen das so viel Spaß macht, sondern weil die Konflikte so groß und die Lebenschancen so gering sind." Solange die Ursachen nicht gelöst würden, werde die Piraterie weitergehen – eine Sicht, die auch die Politiker Arnold und Nouripour teilen. Neben der Möglichkeit, durch die Einsätze an Land in den Bürgerkrieg hineingezogen zu werden, sieht Schetter vor allem auch ein moralisches Problem für den Westen: "Auf der einen Seite tritt man für Demokratie und Menschenrechte ein, auf der anderen Seite greift man immer stärker zu gewaltsamen Mitteln und geht gegen Menschen vor, die niemals eine Chance hatten."
Cyrus Mody vom Internationalen Schifffahrtsbüro betrachtet mögliche Einsätze an Land strikt aus der Sicht der Seeleute. "Die positive Seite ist: Ja, es wird eine Störung für die Piraten sein und wahrscheinlich ein kleines bisschen helfen", sagt Mody. "Die negative Seite ist, dass dadurch die Gefahr für Seefahrer zunimmt, die an Land gefangen gehalten werden."
Dennis Stute