Felslawine bedroht Schweizer Bergdorf
Das Alpendorf Brienz droht unter einer Steinlawine begraben zu werden. Für die Einwohnerinnen und Einwohner wird es jetzt zu gefährlich: bis Freitagabend müssen sie ihre Häuser verlassen.
Bedrohte Idylle
Die Gefahr ist mit bloßem Auge sichtbar: Hinter dem idyllischen Bergdorf erhebt sich der "Brienzer Rutsch". Zwei Millionen Kubikmeter Gestein drohen in den kommenden Wochen loszubrechen und in die Tiefe zu stürzen. Zuletzt bewegten sich die Gesteinsmassen mehr als doppelt so schnell wie noch vor wenigen Wochen - sie könnten Brienz schon bald unter sich begraben.
Allgegenwärtige Gefahr
Ein Schild warnt vor dem Betreten der Berghänge. Oberhalb von Brienz liegen unzählige Felsbrocken in der Größe von Gartenhütten auf einer Wiese verstreut, in unregelmäßigen Abständen rollen Steine und Felsbrocken den Berg hinab. Die kleine Gemeinde liegt etwa 50 Kilometer von St. Moritz entfernt und ist nicht zu verwechseln mit dem bekannteren Brienz unweit von Interlaken.
Sorgfältige Überwachung
Ein Mann arbeitet an einem Messgerät, das den Geröllhang überwacht. Vier Überwachungssysteme liefern andauernd Daten der absturzgefährdeten Hangfläche. Sollte der Hang plötzlich schneller ins Rutschen kommen als vorausgesagt, würde eine Sirene im Dorf die Bewohnerinnen und Bewohner warnen; sie müssten dann innerhalb von Minuten fliehen.
Traktor-Transport
Wegen der Gefahr bringen die 85 Bewohnerinnen und Bewohner des Alpendorfs sich - und ihren Hausrat - in Sicherheit: Bis Freitagabend müssen sie ihre Häuser verlassen, die Behörden in der Ostschweiz haben die Evakuierung von Brienz angeordnet. Roland Bossi und sein Sohn helfen ihren im Dorf lebenden Eltern beim Abtransport ihres Kühlschranks.
Erhöhte Rutschgefahr
Kein Durchkommen: Wegen der Lawinengefahr hat die Gemeinde die Zufahrtsstraße zum Dorf gesperrt. Dass die Entscheidung zur Evakuierung jetzt fiel, habe auch mit der Wetterprognose zu tun, sagte Simon Löw, Professor für Ingenieurgeologie an der Universität ETH Zürich, im Schweizer Fernsehen. Bis Sonntag seien jeden Tag Niederschläge vorhergesagt, das könne die Rutschgeschwindigkeit noch erhöhen.
Ganzer Bergsturz befürchtet
Am Dienstag wurden die Bürgerinnen und Bürger über die bevorstehende Evakuierung informiert. Dass Schutt und Geröll das Dorf wirklich treffen, ist zwar unwahrscheinlich. "Im extremsten Fall" könne es allerdings einen Bergsturz geben: "Der donnert mit einer Geschwindigkeit von 100 bis 200 Kilometern pro Stunde den Hang herab, ist in 30 Sekunden im Dorf und zerstört es", so Löw von der Uni Zürich.
Bewegte Berge
Dass eine Räumung droht, wussten die Einwohner von Brienz schon lange: Die Region ist seit Jahrhunderten in Bewegung. Der Geröllhang und das Dorf selbst rutschten seit 20 Jahren rund ein Meter pro Jahr Richtung Tal. Der Klimawandel macht Felsstürze in manchen Gegenden wahrscheinlicher, etwa dort, wo Permafrost auftaut. In Brienz spielt dies nach Angaben von Löw aber keine Rolle.
Bewegender Abschied
Die gebürtige Brienzerin Anna Bergamin und ihr Lebenspartner spazieren durchs Dorf. "Ich wollte noch einmal hochkommen und Abschied nehmen von meinem Elternhaus. Wir wissen nicht, ob es unser Brienz in zwei Wochen noch geben wird", sagte sie gegenüber der Schweizer Nachrichtenagentur Keystone-SDA. Der Abschied falle ihr sehr schwer, erklärte Bergamin mit Tränen in den Augen.
Rückkehr ungewiss
Stallungen werden in einem Lastwagen aus Brienz abtransportiert. Die Behörden gehen derzeit davon aus, dass die Einwohnenden mehrere Wochen oder Monate nicht zurückkehren können. Erst wenn die Geologen Entwarnung geben und sich der Berg "entladen" habe, könnten die Menschen wieder nach Hause, sagte Christian Gartmann, Kommunikationsverantwortlicher der Gemeinde, gegenüber Keystone.