Flandern-Rundfahrt: ein belgisches Volksfest
Die Flandern-Rundfahrt ist Belgiens wichtigstes Sportereignis. Das populäre Eintagesrennen ist ein Klassiker - und findet heute zum 100. Mal statt. Eine Herausforderung für die Profis, für die Fans ein Spektakel.
Belgisches Volksfest
Egal ob es stürmt, regnet oder die Sonne scheint: An diesem einen Sonntag im Jahr ist ganz Flandern auf den Beinen. Wenn die Flandern-Rundfahrt vorbeikommt, stehen fast eine Million Zuschauer an der Strecke. Am kommenden Sonntag steht die 100. Austragung an. Belgiens wichtigstes Sportereignis wird nach den Anschlägen von Brüssel unter verschärften Sicherheitsvorkehrungen ausgetragen.
Ein besonderes Pflaster
Eddy Merckx, Rik Van Steenbergen, Tom Boonen, Fabian Cancellara - die großen Klassikerjäger haben sich auf dem groben Pflaster Flanderns verewigt. Mit einem Sieg erhält man hier Volksheldstatus. Beispiel: Als der Franzose Jacky Durand Jahre nach seinem Flandern-Sieg mit seinem Auto wegen Tempoüberschreitung in eine Polizeikontrolle gerät, wird er erkannt - und darf einfach weiterfahren.
Eine mytische "Muur"
Die "Ronde van Vlaanderen" hat den Fahrern schon immer alles abverlangt. Das war schon 1913 so, als sie vom belgischen Verleger Karel van Wijnendaele erstmals organisiert wurde. Berühmt und gefürchtet: die bis zu 20 Prozent steile Mauer von Geraardsbergen. 1980 quälen sich Jan Raas (l., Niederlande) und Francesco Moser (r., Italien) hoch, heute wird der Traiditionsanstieg umfahren.
Steiniger Weg
Am Anfang wenig erfolgreich und durch den Ersten Weltkrieg unterbrochen, wurde die Flandern-Rundfahrt in den 1920er und 1930er Jahren populärer. Während des Zweiten Weltkriegs fand sie durchgehend statt. Bis dahin bestand etwa die Hälfte der Strecke aus nicht-asphaltierten Wegen. Heute stellt sich eher das Problem, überhaupt noch genügend Kopfsteinpflaster-Strecken zu finden.
Historische Kulisse
Die Streckenführung des rund 260 Kilometer langen Radrennens wurde in seiner Geschichte immer wieder verändert. Heute startet das Feld in der Altstadt von Brügge, auf dem Grote Markt. Vor der historischen Kulisse finden hier vor dem Start vor großem Publikum die Teampräsentationen statt - und auch die ersten Partys der Fans.
Gegen Wind und Wetter
Aus der Stadt heraus, muss sich das Peleton zunächst durch die flacheren Landstriche Westflanderns kämpfen. Hindernisfrei ist die Teilstrecke trotzdem nicht: Das nicht immer schöne Aprilwetter prägt das Rennen, und der mitunter kräftige Wind kostet die Fahrer wertvolle "Körner", die im Finale fehlen. Flandern ist eben eher eine raue Schönheit.
Eng, holprig und kurvig
Die Kulisse ist ähnlich wie beim Karneval in Deutschland. Tausende Menschen säumen in jedem Ort die Strecke. Wohl dem, der direkt dort wohnt und das Spektakel gemütlich von oben beobachten kann. Für die Fahrer ist gilt hier: volle Konzentration: Die Gassen sind eng, kurvig und holprig.
"Vlaanderens mooiste"
Flanderns Schönste - so heißt das Rennen im Volksmund. Schon Wochen vorher steigt die Anspannung, die Rundfahrt dominiert Öffentlichkeit. Die Menschen nehmen Urlaub, um zum Rennen zu gehen. "Für die Leute hier ist das wichtiger als Weihnachten und Silvester zusammen", sagt der deutsche Radprofi André Greipel, der für das belgische Team Lotto-Soudal fährt.
Die "Hellingen"
Entscheidend für den Ausgang des Rennens sind die 18 "Hellingen": kurze und steile Anstiege von in der Regel nicht mehr als zwei Kilometern Länge, dafür aber meist auch auf grobem Pflaster. Am berühmtesten und gefürchtetsten sind der Oude Kwaremont oder der bis zu 22 Prozent steile Koppenberg - hier müssen selbst manche Profis schieben.
Feuchtfröhliche Heiterkeit
Radfahren ist in Belgien Teil der Lebensart, der Kultur. Und die "Ronde van Vlaanderen" ist eine Art Nationalfeiertag. So feiern die flämischen Fans am Renntag sich selbst, ihr Bier und ihre Lieblingssportart. Für die heimische Wirtschaft ist es zudem ein riesiges Geschäft. An der Ronde-Strecke werden laut einer Studie mit Essen und Trinken zusätzlich 7,25 Millionen Euro umgesetzt.
Immer wieder Vollgas
Schon lange vor dem Zielstrich in Oudenaarde heißt es immer wieder Vollgas für die Profis: An den steilen Rampen wie dem Berendries (Foto) werden regelrechte Bergsprints gefahren, erste rennentscheidende Gruppen setzen sich ab, und viele Helfer fallen zurück. Von hier sind es noch knapp 100 Kilometer bis ins Ziel.
Risiko "Kasseien"
Stürze gehören zur Flandern-Rundfahrt wie die Fans und das Bier. Besonders wenn es regnet, werden die "Kasseien", wie das Kopfsteinpflaster auf Flämisch genannt wird, tückisch rutschig. Um das Sturzrisiko zu verringern, werden breitere Reifen mit mehr Grip gefahren, dazu eine Extra-Lage Lenkerband benutzt, um die Schläge des Pflasters etwas abzudämpfen.
Tosender Beifall für die Sieger
Die Zielankunft ist meist ebenso schmucklos wie der Rest der Strecke, der Beifall dafür enorm. Die Siegquote der Gastgeber übrigens auch: Bei den bisherigen 99 Rennen gab es 68 belgische Siege. Zweimal jubelten Deutsche: Vor 50 Jahren - noch ein Jubiläum - gewann Rudi Altig die "Ronde", vor zehn Jahren triumphierte Steffen Wesemann beim flämischen Radsport-Monument.
Cancellara kann Historisches schaffen
Da John Degenkolb verletzt fehlt, wird es dieses Jahr wohl wieder nichts mit einem deutschen Sieg. Favoriten sind andere: Der Schweizer Fabian Cancellara (Foto) fährt die Ronde zum letzten Mal und könnte als erster Fahrer in der Geschichte des Rennens Vierfachsieger werden. Seine härtesten Gegner heißen Peter Sagan, Greg Van Avermaet, Niki Terpstra und Sep Vanmarcke.
Auch für Frauen und Hobbyradsportler
Lange genug mussten sie warten: Erst seit 2004 starten auch Frauen bei der Flandern-Rundfahrt - also 91 Jahre nach den Männern. Das Frauenrennen ist Teil der neu geschaffenen UCI Women's World Tour und findet ebenso im Vorprogramm des Männerrennens statt wie ein Jedermann-Marathon mit 17.000 Teilnehmern.