Fluchtpunkt Frauenhaus
9. Mai 2012Mariana kommt aus einem osteuropäischen Land. Aus Angst vor ihrem Ex-Mann will sie weder ihren richtigen Namen noch ihr Heimatland nennen. Sie hat trotz ihrer jungen Jahre schon Falten unter den Augen. Während sie spricht, blickt sie unruhig in eine unbestimmte Richtung: "Ich habe den 9. September 2009 nicht vergessen. Dieser Tag hat sich tief in mein Gedächtnis eingegraben…"
Sie zögert kurz und fügt dann in gebrochenem Deutsch hinzu: "An diesem Tag hat meine kleine Tochter Saft auf dem Boden verschüttet. Mein Ex-Mann rastete aus und schlug sie, woraufhin sich die Kleine in die Hose gemacht hat."
Der Mann schlägt
Mariana versucht mit ihm zu reden. Aber das bringt ihn noch mehr auf und er schlägt auch seine Frau. Dann wirft er sie und die Kinder aus der Wohnung.
Eine Nachbarin hört das Geschrei. Sie bringt die Frau und ihre Kinder ins Frauenhaus. Erst dort kommen sie zur Ruhe. Mariana hat die Gewaltausbrüche ihres Mannes sehr lange ertragen: "Ich war mit dem zweiten Kind im achten Monat schwanger als er wegen irgendeiner Kleinigkeit auf mich einschlagen wollte. Sein Bruder hat ihn gerade noch daran gehindert."
Wenn das Leben zur Hölle wird
Irgendwann beschließt ihr arbeitsloser Ehemann seine Chance in Deutschland zu versuchen. Mariana bleibt zunächst im Heimatland zurück. Doch als er Arbeit gefunden hat, drängt er sie zu einem Besuch. "Er hätte mir das Leben zu Hölle gemacht, wenn ich das nicht gemacht hätte", erzählt sie.
Wieder rastet der Mann wegen jeder Kleinigkeit aus, schlägt seine Frau und die Kinder. Als er sie am 09. September 2009 vor die Tür setzt, weiß Mariana, dass sie nicht mehr zu ihm zurück kann. Kurz nach der Ankunft im Frauenhaus reicht sie die Scheidung ein.
Fluchtpunkt EuropaDie Frauenhäuser stehen den misshandelten Frauen zu jeder Tages- und Nachtzeit offen. Sie können dort unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit oder Konfession Hilfe suchen. Theoretisch können Frauen im Frauenhaus bleiben, bis sie ihre Probleme im Griff bekommen, sagt Alexandra Neisius, Leiterin des Frauenhauses in Koblenz: „Es gibt schon Obergrenzen, weil die Frauenhäuser staatlich finanziert werden. Es wird immer wieder geprüft ob der Aufenthalt noch nötig ist. Das ist einmal nach drei Monaten und dann wieder nach einem halben Jahr. Aber wenn es erforderlich ist, kann der Aufenthalt durchaus länger dauern“. In der Regel werden Frauenhäuser von Verbänden und Vereinen geführt.
Frauenhäuser in Deutschland sind nicht nur ein Ort der Zuflucht für Frauen und Kinder die Gewalt erfahren haben. Hier helfen Sozialpädagoginnen den Frauen die Probleme in den Griff zu bekommen und ihren Weg zu finden. Bei Bedarf stehen Psychologinnen, Rechtsanwältinnen und Dolmetscherinnen den Frauen zur Seite.
Hilfe in der NotWenn die Frauen während ihres Aufenthaltes im Frauenhaus eine Duldung oder einen befristeten Aufenthalt haben, wird das in der Regel erstmal verlängert. Der Sachverhalt wird noch mal genau geprüft, erklärt Alexandra Neisius.
Am schwierigsten ist es, wenn die Ehebestandszeit noch nicht erfüllt ist, fügt die Sozialpädagogin hinzu. Denn nach deutschem Ausländerrecht müssen die Frauen in Deutschland drei Jahre lang verheiratet sein. Wenn die Ehefrau vor der Vollendung dieser Frist in ein Frauenhaus flieht, dann wird es schwierig. Sie kann nur dann im Frauenhaus bleiben, wenn eine Härtefallregelung von der Ausländerbehörde anerkannt wird. Dafür wären Nachweise wie Polizeieinsätze oder ärztliche Atteste von Vorteil für die misshandelte Frau, erzählt die Frauenhausleiterin. Sehr oft jedoch gäbe es diese Nachweise nicht: "Da steht dann Aussage gegen Aussage, die Frau sagt, es gab psychische und körperliche Gewalt, der Mann sagt, da war überhaupt nichts, und dann muss die Frau das halt glaubhaft machen, das ist oft ein schwieriger Prozess, der aber auch oft erfolgreich dann bewältigt wird“.
Jährlich 20.000 Hilfesuchende
Man geht davon aus, dass jährlich hochgerechnet 20.000 Frauen in Frauenhäuser Zuflucht suchen, sagt Alexandra Neisius. Die genauen Zahlen sind jedoch nicht bekannt, da nicht alle Frauenhäuser bei der Statistik miteinbezogen werden.
In ganz Deutschland gibt es mehr als 350 Frauenhäuser. Sie werden bundesweit unterschiedlich finanziert. Die Frauenhäuser in Rheinlandpfalz bekommen einen Landeszuschuss. Das Haus in Koblenz finanziert sich durch das Geld der Kommune, aber auch durch Spenden, erzählt Alexandra Neisius.
Die Kinder sollen es besser haben
Mit der Unterstützung der Mitarbeiter im Frauenhaus hat Mariana den Streit um das Sorgerecht ihrer Kinder vor Gericht gewonnen. Das heißt jedoch nicht, dass ihr Ex-Mann sie in Ruhe lässt. Denn er darf die Kinder einmal in der Woche unter Aufsicht für vier Stunden besuchen. Ihm geht es aber nicht um die Kinder, erzählt sie. Manchmal holt er sie zwar ab, ruft aber nach kurzer Zeit an und will sie zurückschicken: "Dann versucht er mich in ein Gespräch zu verwickeln. Ich will aber mit ihm nicht reden. Dann wird er immer sehr wütend und beschimpft mich wüst."
Die junge Frau wirkt ängstlich und angespannt. Aber sie setzt sich Ziele für die Zukunft: "Ich möchte zuerst gesund werden. Meine Kinder sollen eine gute Ausbildung erhalten und in der Zukunft einen guten Beruf haben. Ich selbst möchte arbeiten. Aber erst muss ich einen Deutschkurs besuchen."