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Gaza Youth Breaks Out

23. Januar 2011

Mit einem verbalen Rundumschlag haben sich acht junge Männer und Frauen aus Gaza in einem wütenden Manifest im Internet Luft gemacht. Das Manifest ist ein Zeugnis der Perspektivlosigkeit und Verzweiflung in Gaza.

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Das Logo von GYBO - Gaza Youth Breaks Out! (Foto: GYBO)
Das Logo von GYBO - Gaza Youth Breaks Out!

Die Luft ist verqualmt von den vielen Wasserpfeifen. Arabische Musik vermischt sich mit den neusten Nachrichten aus Tunesien. In dem beliebten Jugendtreff in einem Strandcafé von Gaza-Stadt ist die Lage in Tunesien das Gesprächsthema. Die Unzufriedenheit der tunesischen Jugend – das könne man hier nur allzu gut verstehen, meint Tarek, ein junger Palästinenser. Auch wenn die Situation in Gaza eine ganz andere sei: Hier lähmt die israelische Blockade das Leben, die Isolierung von der Außenwelt, der Machtkampf zwischen Hamas und Fatah. Fragt man nach Zukunftsperspektiven, winken viele nur ratlos ab. "Naja, wenn ich an meine Zukunft denke, ehrlich, da fällt mir nicht viel dazu ein", sagt Mohammed, sichtlich resigniert. Er hat gerade sein Studium abgeschlossen und sucht bislang vergeblich nach einem Job. Auch Youssef ist pessimistisch: "Jeder Tag ist wie der andere, nur mit dem Unterschied, das der nächste noch schlechter ist. Ich kann ja nirgendwohin gehen, wir können nicht reisen. Zukunft, was ist das?" sagt der junge Mann.

Dass ihre Zukunft zunehmend schlechter statt besser wird, hat eine Gruppe von jungen Studenten dazu gebracht, sich ihre Sorgen, ihre Frustration und ihre Wut von der Seele zu schreiben. Genug, schreiben sie, genug von alledem. Sie nutzen Facebook als ihre Plattform, als Draht zur Außenwelt. In ihrem "Manifest der Jugend" schimpfen sie auf alle und jeden:

"Verdammtes Israel, Verdammte Hamas, Verdammte Fatah (...) - Wir, die Jugend von Gaza, haben die Nase gestrichen voll von Israel, Hamas, der Besatzung, den Menschenrechtsverletzungen und der Gleichgültigkeit der internationalen Gemeinschaft!"

Jungen Menschen in Gaza eine Stimme verleihen

Screenshot der Gaza Youth Breaks Out Seite bei Facebook (Foto: Facebook)
Mittlerweile hat GYBO mehr als 18.000 Anhänger bei FacebookBild: Facebook.com

Drastische Worte, geschrieben von fünf jungen Männern und drei Frauen, alle Anfang 20. Auch Abu George und Abu Aoun gehören dazu. Erst nach langem Überlegen haben sie dem Interview zugestimmt. Keine Namen, keine Fotos, so die Bedingungen. Sie wissen, dass ihre kritischen Worte nicht jedem in Gaza gefallen und wollen anonym bleiben. Die Gruppe nennt sich GYBO - das steht für "Gaza Youth Breaks Out". Ihre Facebook-Seite hat mittlerweile über 18.000 Anhänger - die große Resonanz hat selbst die Verfasser überrascht. Sie haben sich für die explizite Sprache entschieden, weil man heutzutage nur so Aufmerksamkeit bekäme, erklärt Abu George. Ihm sei es wichtig, dass die junge Generation gehört wird und eine Stimme hat.

Abgeriegelt von Israel, isoliert von der Außenwelt seit der Machtübernahme der Hamas 2006, fühlen sich junge Menschen wie Abu George und Abu Aoun um ihre Zukunft betrogen. "Wir sind frustriert über die Situation mit Israel, über die Blockade. Aber uns macht auch die psychologische Isolation zu schaffen, in der wir gefangen sind." Es würde gegen Nichtregierungsorganisationen vorgegangen, gegen die Jugend - und damit verstumme ihre Stimme. "Als ein junger Mensch in Gaza zu leben", sagt Abou George, "heißt nicht nur, keine Aussicht auf einen Job zu haben. Das heißt auch, von Anfang an keine Chance zu haben, und marginalisiert zu werden von einem schwierigen sozialen und politischen Umfeld." Und dann sei da noch die Kluft zwischen den Generationen. "Die alte Generation weiß doch gar nicht mehr, was wir Jungen denken", so Abu George.

Abu George ist Student. Wie alle jungen Leute in Gaza ist er in politisch turbulenten Zeiten aufgewachsen. Wie alle jungen Leute hier hat er die Intifada und israelische Militäroffensiven miterlebt. Er und sein Freund Abu Aoun haben es aufgegeben, Zukunftspläne zu machen, so wie andere Gleichaltrige in anderen Ländern. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung ist unter 18 Jahre alt. Für die jungen Menschen in Gaza ist es schwierig, ihre Zukunft selbst zu bestimmen. "Ich bin 24 und habe Gaza bis heute noch nie verlassen können. Das ist doch absurd", sagt Abu Aoun. Selbst ins Westjordanland können die meisten nicht reisen, mangels Genehmigung der israelischen Behörden.

Spricht der Jugend aus der Seele

Demonstration junger Menschen in Gaza (Foto: AP)
Immer wieder gehen die Menschen in Gaza auf die Straße, um gegen die Blockade zu demonstrierenBild: AP

Das Jugendmanifest ist in Gaza im Gespräch, nicht jeder hat es gelesen, aber man hat davon gehört. "Die darin beschriebene Frustration ist besonders in dieser Generation stark zu spüren", sagt der palästinensische Psychoanalyst Eyad Sarraj. "Wege der israelischen Blockade ist es ein noch größeres Problem geworden. Sie sind alle im Internet vernetzt, schauen fern. Sie wissen, es gibt eine andere Welt da draußen. Diese bleibt ihnen aber verschlossen. Das frustriert und stresst sie."

Zur Unfreiheit und zur Hoffnungslosigkeit kommt die fast alltägliche Gewalt. Auf jede Rakete militanter Palästinenser antwortet die israelische Armee mit Angriffen aus der Luft. Kaum eine Nacht, in der es ruhig bleibt. Die Verfasser des Jugendmanifests fühlen sich alleingelassen, gefangen im Kampf der politischen Gruppen um Recht und Macht im Gazastreifen.

"Wir sind krank davon, in diesem politischen Kampf gefangen zu sein; krank von der Schand-Mauer, die uns vom Rest unseres Landes trennt und uns auf einem Stück Land von der Größe einer Briefmarke gefangenhält; krank von der Gleichgültigkeit, die uns von der internationalen Gemeinschaft entgegenkommt (...); wir sind krank und müde, ein beschissenes Leben zu leben."

Auf Kosten der Jugend

Haus in Gaza und junge steht auf dem Balkon (Foto: AP)
Das Leben für viele Menschen in Gaza ist von Perspektivlosigkeit geprägtBild: AP

Die Cyberaktivisten gehören keiner politischen Gruppierung an, sagen sie. Abu George und Abou Aoun ist es wichtig, dies klarzustellen. Sie sind bewusst vorsichtig, denn wer Kritik übt, wird schnell selbst zur Zielscheibe. Die Machtspiele zwischen Fatah und Hamas gehen auf Kosten unserer Zukunft, sagen sie. Dass die Hamas-Regierung im Alltagsleben hart durchgreift, mache die Sache nicht leichter, so die beiden jungen Männer. 2011 habe die Hamas zwar zum Jahr der Jugend erklärt, aber das ringt den GYBO-Leuten nur ein müdes Lächeln ab. Dass die Behörden vor kurzem die vorübergehende Schließung einer großen Jugendorganisation in Gaza angeordnet hat, habe das Fass zum Überlaufen gebracht.

Doch die Kritik richtet sich nicht nur nach innen: Auch die internationale Staatengemeinschaft zeige sich der Situation in Gaza gegenüber gleichgültig, und die Vereinten Nationen würden aus Gaza einen humanitären Fall machen, so die jungen Männer und Frauen von GYBO: "Wir brauchen nicht nur Lebensmittel", erklärt Abu George. "Die Leute schicken uns Essen, aber wir sind doch keine Schafe. Wir brauchen mehr als nur Lebensmittelhilfe. Wir brauchen ehrlich gemeinte Unterstützung und Menschen da draußen, die uns verstehen."

So etwas wie Normalität sucht man in Gaza vergeblich. Dennoch wollen sich die jungen Leute ein wenig Optimismus bewahren. Deshalb auch der mutige Schritt, das Manifest zu schreiben. Um den Menschen "draußen" zu zeigen, dass in Gaza nicht nur Terroristen leben. Und um der alten Generation zu zeigen, dass auch die Jungen eine Stimme haben. Schließlich wollen sie etwas, was für viele selbstverständlich ist: So endet das Manifest mit drei Forderungen:

"Wir wollen frei leben. Wir wollen ein normales Leben führen können. Wir wollen Frieden. Ist das etwa zuviel verlangt?"

Autorin: Tania Krämer
Redaktion: Diana Hodali