Gender Pay Gap: Es bleibt kompliziert
10. März 2021Es ist zum Haare raufen. Eigentlich sollte der Gender Pay Gap doch alles einfacher machen. Mit einer Zahl auf den Punkt bringen, wie sehr Frauen im Berufsleben benachteiligt werden.
Doch dann das: Wer heute beklagt, dass der durchschnittliche Brutto-Stundenlohn von Frauen um 18 Prozent unter dem der Männer liegt, Deutschland also nach aktuellen Zahlen eine Lohnlücke (Gender Pay Gap) von 18 Prozent hat, der oder die muss mit folgenden Reaktionen rechnen:
A: "Der unbereinigte Gender Pay Gap ist ohne Aussagekraft und pure Polemik!" (mehr dazu später)
B: "Dann geh doch nach Rumänien (wahlweise auch: Italien), wenn es dort so viel gerechter zugeht!"
Was ist hier los? Kann es wirklich sein, dass Rumänien, Italien oder Polen beim Gender Pay Gap so viel besser abschneiden als Deutschland? Und was ist mit den skandinavischen Ländern, die in solchen Rankings sonst immer die Spitzenplätze belegen?
Und schließlich: Was heißt das alles für die schöne Idee, eine Zahl zu haben, die Diskriminierung sichtbar macht - und auf deren Basis politische Forderungen formuliert werden können?
Katharina Wrohlich und Julia Schmieder vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) versuchen mit einer Datenauswertung, etwas Licht ins Dunkel zu bringen - auch deshalb, weil sie von Reaktionen wie den oben geschilderten genervt waren. Die von Ihnen genutzten Zahlen des Europäischen Statistikamts beziehen sich auf das Jahr 2018.
Überraschender Zusammenhang
"Wir haben herausgefunden, dass es einen positiven Zusammenhang gibt zwischen dem Gender Pay Gap und der Frauen-Erwerbsquote", sagt Wrohlich der DW. Diese Quote gibt an, wie hoch der Anteil der Frauen in einem Land ist, die einer bezahlten Arbeit nachgehen oder sich aktiv darum bemühen. "Tendenziell haben Länder mit einer niedrigen Frauen-Erwerbsquote auch einen niedrigen Gender Pay Gap, und umgekehrt", so Wrohlich.
Die DIW-Forscherinnen haben für dieses Phänomen eine Erklärung, die Wrohlich am Beispiel Italien erläutert. "Dort arbeitet nur rund jede zweite Frau", sagt sie mit Verweis auf die italienische Frauen-Erwerbsquote von 56 Prozent. Doch in Italien entscheiden sich eher jene Frauen für eine Erwerbstätigkeit, die überdurchschnittlich qualifiziert sind und deshalb gut verdienen.
"Das heißt also: In Ländern mit einer niedrigen Frauen-Erwerbsquote werden bei der Berechnung des Gender Pay Gap vor allem Frauen berücksichtigt, die sehr hohe Löhne erzielen." Mit dem Ergebnis, dass der Abstand zum durchschnittlichen Stundenlohn der Männer relativ klein ausfällt.
Fazit der DIW-Forscherin: "Man sollte beim Gender Pay Gap nur Länder vergleichen, die eine ähnlich hohe Frauen-Erwerbsquote haben", so Wrohlich.
Dabei schneidet Deutschland zwar besser, aber immer noch nicht besonders gut ab.
Wrohlich sieht mehrere Gründe für das bessere Abschneiden der nordischen Länder. Zum einen seien die Lohnunterschiede dort insgesamt geringer, nicht nur zwischen den Geschlechtern. Auch habe die Familienpolitik dort "starke gleichstellungspolitische Elemente".
Angebote wie Elternzeit für Väter und Tagesbetreuung von unter-Dreijährigen gebe es dort schon seit Jahrzehnten, in Deutschland erst seit kurzem. Auch mache die gemeinsame Besteuerung von Ehepartnern in Deutschland, das sogenannte Ehegattensplitting, eine Erwerbstätigkeit für Frauen oft weniger lohnend.
Bereinigt oder unbereinigt?
Wie aber steht es mit dem eingangs erwähnten Argument gegen den Gender Pay Gap, er sei nur dann aussagekräftig, wenn er "bereinigt" ist? Bereinigen heißt, nur Lohnunterschiede bei vergleichbaren Tätigkeiten und Qualifikationen zu berücksichtigen, als unterschiedliche Bezahlung für dieselbe Arbeit.
Dass Frauen in Deutschland überdurchschnittlich oft in Berufen arbeiten, die schlechter bezahlt sind, dass sie häufiger Teilzeit arbeiten und seltener Karriere machen - all das wird herausgerechnet. Mit dem Ergebnis, dass der bereinigte Gender Pay Gap - also der eigentliche Indikator für Diskriminierung - deutlich niedriger ausfällt: In Deutschland liegt er offiziell bei sechs Prozent.
Kritisiert wird zudem, dass viele Tätigkeiten beim Gender Pay Gap gar nicht erst berücksichtigt werden: der meist streng nach Tarif zahlende öffentliche Dienst fällt ebenso heraus wie Bauernhöfe oder Unternehmen mit weniger als zehn Beschäftigten.
Persönliche Entscheidungen?
Ist also alles gar nicht so schlimm? Anders gefragt: Ist der unbereinigte Gender Pay Gap nicht vor allem das Ergebnis von individuellen, frei getroffenen Entscheidungen, was Berufswahl oder Karrierepläne angeht?
Katharina Wrohlich bezweifelt das. "Bleiben alle diese Frauen wirklich freiwillig in Teilzeit? Oder weigern sich ihre Partner, Zuhause einen Teil der Sorgearbeit zu übernehmen?", fragt sie. "Haben sie vielleicht keinen Zugang zu guter Kinderbetreuung? Pflegen sie ihr Angehörigen, weil es sonst keiner macht?"
Außerdem haben zahlreiche Studien gezeigt, dass es nicht nur persönliche Gründe sind, warum es so wenige Frauen in Führungspositionen gibt. "Ich sehe den unbereinigten Gender Pay Gap als eine Art zusammenfassende Statistik für viele Ungleichheiten am Arbeitsmarkt", sagt die Wissenschaftlerin.
Traditionelle Werte
Bleibt die Frage, in welcher Form der Gender Pay Gap zur Formulierung politischer Ziele taugt. Eine bereinigte Lohnlücke von Nahe null Prozent anzustreben, ist vielleicht noch konsensfähig. Die EU-Kommission hat gerade eine Transparenz-Initiative vorgeschlagen, die es Beschäftigten ermöglichen soll, ihre Gehälter besser vergleichen zu können.
Alles, was darüber hinausgeht, dürfte dagegen schwierig werden. Das zeigt eine Erhebung zur Verbreitung traditioneller Rollenmuster. In vielen Ländern der EU hält es ein Großteil der Bevölkerung für die Aufgabe des Mannes, das Geld zu verdienen, während sich die Frau um Haushalt und Familie kümmert.
Nun können sich solche Vorstellungen natürlich ändern. Fraglich ist aber, ob solche Veränderungen durch die Politik forciert werden können oder sollten. Politiker werden sich jedenfalls genau überlegen, wie viel Wandel sie ihren Wählern zumuten wollen.