Per Mausklick zu de Chirico in Hamburg
In seinen Bildern scheint die Zeit still zu stehen: Die Kunsthalle Hamburg zeigt Giorgio de Chiricos metaphysische Bilder wegen Corona vorerst nur online.
Das Gehirn des Kindes, 1914
Schon der Titel dieses de-Chirico-Gemäldes wirft Fragen auf. Das Bild zeigt einen Mann mit nacktem Oberkörper, vor ihm ein gelbes Buch auf dem Tisch. Die Augen hält er geschlossen, als wollte er den Pulsschlag der Zeit erspüren. De Chirico (1888-1978) verlieh damit Nietzsches Worten über das Empfinden und die Sprache der Dinge Ausdruck. In München hatte der Maler deutsche Philosophie studiert.
Sterbender Zentaur, 1909
De Chirico schöpfte aus den Mythen seines Geburtslandes Griechenland. Dieser Zentaur - halb Mann, halb Pferd - haucht sein Leben aus, verletzt und schutzlos. Auf dem Boden leuchten rote Blutlachen, darüber spannt sich ein hellblauer Himmel. Nach Abbruch seines akademischen Studiums 1908 folgte de Chirico in München der deutschen Spätromantik, auf der Suche nach dem inneren Gefühl.
Der beängstigende Vormittag, 1912
Beunruhigend ruhig, sogar ohrenbetäubend still - so hat de Chirico, ein Vorläufer des Surrealismus, diesen verwaisten Platz gemalt. Da war der junge Künstler gerade vor dem Kriegsdienst aus Italien nach Paris geflüchtet. Sein Bild bewegt sich auf der Grenze zwischen Traum und Realität. Und wirkt dabei seltsam aktuell: Ähnliche Szenerien erzeugt der Lockdown während der Corona-Pandemie.
Die Heiterkeit des Gelehrten, 1914
In de Chiricos Pariser Schaffenszeit ab 1912 fällt auch dieses Werk. Der Künstler versammelt darauf verschiedenste Dinge - Statue, Brille, Lokomotive, im Wind flatternde Fahnen. Doch vieles irritiert: Die Brille übergroß? Die Perspektiven verrückt? Kein Zweifel: Der Maler schafft seine eigene magische Wirklichkeit. Zugänglich ist sie per Mausklick beim virtuellen Besuch der Hamburger Ausstellung.
Ohne Titel (Schlafende Ariadne), 1912
In Paris freundete sich de Chirico mit dem französischen Dichter Guillaume Apollinaire an. Beide verband die Liebe zur Poesie, aber auch eine gewisse Schwermut. Die schlafende Ariadne - der griechischen Mythologie nach die Gattin des Weingottes Dionysos - faszinierte den Maler. In dieser Gipsfigur von 1912 verlieh er seiner Angebeteten eine poetische Form.
Der Lohn des Wahrsagers, 1913
In diesem Gemälde platzierte der Künstler seine Ariadne inmitten eines menschenleeren Platzes. Ein Torbogen öffnet den Blick auf zwei Palmen. Ein Zug rauscht vorbei. Die Bildsprache de Chiricos ist mystisch rätselhaft. Fest steht: Der Künstler lebte in einer Umbruchzeit. Der Erste Weltkrieg brach aus, anschließend grassierte die Spanische Grippe. Auch de Chirico suchte Antworten auf diese Krisen.
Der Wahrsager, 1914/15
Eines von de Chiricos bedeutendsten Werken ist "Der Wahrsager" von 1914/15, ein Spätwerk aus der Pariser Zeit des Künstlers. Auf einer schiefen Ebene sitzt eine menschenähnliche Puppe vor einer Staffelei. Auch diese Darstellung gibt Rätsel auf: Warum die unlogische Perspektive? Wer ist die gesichtslose Figur? Etwa der philosophierende Künstler selbst?
Die Eroberung des Philosophen, 1914
Artischocken liegen auf einem Sockel, ein Kanonenrohr ragt ins Blickfeld, darüber eine Uhr, ein rauchender Schornstein, ein Zug. Allein 35 von de Chiricos metaphysischen Bildern zeigt die Hamburger Kunsthalle neben etlichen Meisterwerken von Zeitgenossen. Vorerst helfen Bildergalerien und Texte zum Anhören beim Verstehen des italienischen Künstlers.