Gleiche Rechte per Selbstverpflichtung
30. Juni 2021Drei Tage und 100 Diskussionsrunden, 700 Referenten und Vertreter aus 150 Ländern. Sie alle werden auf dem Pariser Generation Equality Forum über insgesamt vier Themenbereiche sprechen: wirtschaftliche Gerechtigkeit, das Recht zur geschlechtlichen Fortpflanzung, geschlechtsspezifische Gewalt und den Einsatz für Frauenrechte. Es ist ein Riesenevent, wie man es von den Vereinten Nationen gewohnt ist. Dessen Frauenorganisation ist Schirmherrin des Forums, den Vorsitz üben Frankreich und Mexiko gemeinsam aus. Sie alle versprechen sich von dem Forum einen großen Schritt im Kampf um mehr Frauenrechte weltweit: "Es wird dort verpflichtende Vereinbarungen geben, mit denen Aktivisten wie wir Regierungen zur Verantwortung werden ziehen können", erklärt Gary Barker, Chef der brasilianischen Nicht-Regierungsorganisation Promundo und einer der Podiumsgäste des Forums, gegenüber der DW. "Dann können wir zum Beispiel sagen: Hey, Regierung – warum tust Du nicht mehr, um Frauen vor Gewalt zu schützen?"
'Es gab auch Rückschritte'
Es ist das erste derartige Forum seit der Weltfrauenkonferenz in Peking 1995. "Seitdem hat die Welt beeindruckende Fortschritte gemacht – es gab aber leider auch Rückschritte", sagt er. "Unsere Umfragen zeigen, dass in den USA, Kanada, Großbritannien und Dänemark mehr als die Hälfte der Männer finden, dass Feminismus zu weit geht. In Brasilien gab es einen Rückschritt nach der letzten Präsidentschaftswahl (die der Rechtspopulist Jair Bolsonaro gewann, Anm. d. Red.). Auch in Mexiko und Teilen Mittelamerikas haben konservative religiöse Bewegungen die Gleichberechtigung zurückgedrängt."
Die verpflichtenden Vereinbarungen, die auf dem Forum getroffen werden sollen, sind daher für Shantel Marekera ein zentrales Element – auch, weil sie ganz konkrete Auswirkungen vor Ort haben werden. Die Simbabwerin, die Jura im englischen Oxford studiert, wird bei der Eröffnungszeremonie sprechen und ebenfalls an einer der Podiumsdiskussionen teilnehmen. "Wenn zum Beispiel die botswanische Regierung Genitalverstümmelung verbietet, dann deshalb, weil sie sich bei dem Forum dazu verpflichtet hat – auch, wenn die Frauen in Botswana sich dessen nicht bewusst sein werden", sagt sie gegenüber DW.
Mehr Chancen auf Veränderung bei diesem Forum
Marekera weiß, was es heißt, in einer patriarchischen Gesellschaft aufzuwachsen. Aufgezogen von der Großmutter, weil die Mutter arbeiten musste, schaffte sie es nur an eine internationale Hochschule, weil sie eines der hart umkämpften Stipendien ergatterte. "Doch viele andere Mädchen in meiner Heimatgemeinde Glen View 8, einem Stadtteil von Simbabwes Hauptstadt Harare, werden eine solche Chance nie bekommen – auch, weil Eltern dort immer die Söhne bevorzugen, die später die Familientradition weiterführen sollen. Man sagt sich, Mädchen bekommt man später einfach weggeheiratet", erzählt sie. Um das zumindest teilweise auszugleichen, hat Marekera, nun in ihren Zwanzigern, die Stiftung "The Little Dreamers" gegründet, die in Simbabwe eine eigene Vorschule für Mädchen aufgemacht hat.
Für die junge Frauenaktivistin bietet dieses Forum mehr Chancen, Veränderungen zu bewirken, als manche vorherige Treffen. "Er werden Gemeindevorsteher und Dorfchefs teilnehmen, denen Menschen vor Ort eher zuhören als Organisationen wie der UN", erklärt sie. "Und zum ersten Mal werden wir jungen Leute einen Platz am Entscheidungstisch haben – vorher waren wir immer nur Zuschauer. Wir können jetzt richtig Einfluss üben!" Private Unternehmen werden ebenfalls zum ersten Mal bei einem internationalen Frauenforum dabei sein – ihnen sollen konkrete Zugeständnisse zur Gleichberechtigung abverlangt werden.
Gleichberechtigung ist gut für alle – nicht nur für Frauen
All das mache auch deswegen Sinn, weil Gleichberechtigung gut für alle sei – und nicht nur für Frauen, sagt Promundos-Chef Barker. "Die Forschung hat gezeigt, dass in Ländern, in denen es mehr Gleichberechtigung gibt, auch Männer eine bessere und sicherere Existenz haben. Sie leben länger, sind gesünder und haben bessere Beziehungen zu ihren Partnern und Kindern", meint er. "Länder mit den höchsten Graden an Gleichberechtigung etwa in Skandinavien, Teilen Westeuropas und Nordamerika besitzen niedrigere Mordraten und einen besser ausgebauten öffentlichen Dienst."
Roula Seghaier, die auch beim Forum sprechen wird, gibt für diese Win-Win-Situation ein konkretes Beispiel. Sie ist strategische Programmkoordinatorin des Internationalen Verbandes der Hausangestellten, der weltweit 580.000 Mitglieder hat. 80 Prozent von ihnen sind Frauen. "Hausarbeit und Pflege werden immer noch als klassische Frauenarbeit betrachtet – deswegen werden solche Arbeiten in vielen Teilen der Welt schlechter bezahlt", sagt sie zur DW. "So sparen viele Regierungen bei Bildungs-, Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen, weil Frauen als billige Arbeitskräfte eine einfache Lösung darstellen. Doch wir müssen ihnen einen Strich durch diese Rechnung machen."
So würde ein Mindestlohn für Hausangestellte zwar zunächst bedeuten, dass sich nicht mehr jeder einen Bediensteten leisten könne, und es käme zu einer Pflegekrise, auch weil private Einrichtungen für die meisten zu teuer seien. "Aber dann würde der Druck auf die Regierungen derart wachsen, dass sie erschwingliche, staatliche Einrichtungen eröffnen müssten", meint die Tunesierin. "Nach dieser Übergangsperiode werden dann Arbeitgeber wieder mehr verfügbares Einkommen haben und Hausangestellte zu akzeptablen Löhnen einstellen können." Das habe das Beispiel Südafrika gezeigt. "Die Gegner eines Mindestlohns für Hausangestellte argumentierten zwar, dass dieser zu mehr Arbeitslosigkeit führen würde, aber das Gegenteil ist passiert, und es hat zu mehr Wohlstand für alle geführt", erklärt sie.
Eine Veränderung der Botschaft
Seghaier wird an der Podiumsdiskussion "Der feministische Aufschwung und die Transformation des Pflegesystems" teilnehmen. "Wir sind nur durch die Corona-Pandemie gekommen, weil wir Hausangestellte und Pflegekräfte hatten. Wenn wir also nun von einem Aufschwung nach der Krise sprechen, sollten wir nicht den vorherigen Status Quo anstreben – sondern auf eine bessere Welt hinarbeiten", fordert sie.
Doch dass mehr Gleichberechtigung eine bessere Welt für alle bedeutet, scheint noch nicht zu allen durchgedrungen zu sein. Das gibt auch Promundos Barker zu: "Feministischer Aktivismus ist immer noch zu sehr auf dieses Nullsummenspiel konzentriert, demzufolge jeder Gewinn für Frauen einen Verlust für Männer bedeutet." Diese Botschaft zu ändern sollte wohl die größte Herausforderung sein – für das Pariser Frauenforum genauso wie für alle darauffolgenden.