Global Media Forum: Von Afro-Look und Beethoven
21. Juni 2017"Identität ist im Fluss, und Lokales existiert gar nicht mehr", sagt ein hochgewachsener Mann auf der internationalen und interdisziplinären Konferenzreihe der Deutschen Welle in Bonn, dem Global Media Forum. Sein Name ist Khalid Albaih. Er ist sudanesischer Abstammung und wurde in Rumänien geboren. Sein perfektes Englisch hat er sich aus US-amerikanischen Fernsehshows abgeschaut. Er hat schon als Gastarbeiter in Katar gearbeitet und nebenbeiCartoons gezeichnet. In Katar taucht Albaih in eine Parallelgesellschaft ein: Die Gastarbeiter dort machen mehr als 90 Prozent der Bevölkerung aus. Trotzdem wohnen diese Menschen, die meist südasiatischer Herkunft sind, am Rande der Großstädte: unsichtbar, anonym und einheitlich gekleidet - zumindest während der Arbeitswoche.
Dann, an ihren freien Tagen, spricht Khalid Albaih sie an. Es geht ihm um ihre Kleidung, die sie an ihren freien Tagen frei wählen. Zunächst erschrecken viele, sagt Albaih, dann kommen sie ins Gespräch. Albaih sammelt Bilder und ihre Geschichten und veröffentlicht sie im Instagram-Projekt #DohaFashionFridays. Die Fotos zeigen, wie persönliche Identität und individueller Ausdruck aufblühen, wenn sie eine Gelegenheit dazu erhalten und nicht mehr am Arbeitsplatz unterdrückt werden.
Khalid Albaih war einer von sechs Personen, die am Dienstag in Bonn zum Thema "Culture. Identity. Diversity" ("Kultur. Identität. Diversität") diskutierten. Moderatorin Susanne Spröer, Leiterin der Abteilung Kultur Online der Deutschen Welle, führte durch die unterschiedlichen Geschichten, in denen Globalisierung nicht Einheit sondern Vielfalt gebiert - manchmal auf völlig unerwartete Weise.
Die Lady Gaga Vietnams
Zur Einstimmung auf die Diskussion trug Sängerin Mai Khôi, die ein Musikproduzent vor ein paar Jahren "Lady Gaga von Vietnam" nannte, ein leidenschaftliches Lied über Freiheit vor. Ihre Energie auf und jenseits der Bühne rechtfertigt den Vergleich: Nachdem sie sich selber vor zwei Jahren für die Nationalversammlung ihres Einparteienstaats nominiert hatte, wurde einer ihrer Auftritte von der Polizei unterbrochen. Ihr politisches Engagement, aber auch provokante Lieder wie "Selfie Orgasm" und "Re-education Camp" ("Umerziehungslager") machen sie zur Identifikationsfigur für junge Menschen - und den kommunistischen Machthabern suspekt. In ihrer Heimat darf die junge Frau, die unbekümmert gesellschaftlichen Stereotypen trotzt, nicht mehr öffentlich auftreten. Dafür ist Mai Khôi Do Nguyen häufig im Ausland zu hören und in den sozialen Medien präsent. Und sie glaubt fest an die Kraft der Musik, einen gesellschaftlichen Wandel herbeizuführen.
"Es gibt mehr als zweihundert politische Gefangene in Vietnam", sagte sie der DW im Gespräch. "Dennoch gehen die Leute nach der Umweltkatastrophe im vergangenen Jahr (Anm. d. Red.: eine massive Wasserverschmutzung, die die Küste in vier Provinzen betraf), immer noch jede Woche auf die Straße und protestieren." In den vergangenen zehn Jahren hat sich vieles zum Besseren hin gewandelt, sagt die Sängerin. Wenn sie an die Zukunft ihres Landes denkt, ist sie verhalten optimistisch. Es bleiben aber einige Grundrechte, die im Westen selbstverständlich sind, in Vietnam noch ein ferner Traum: etwa Bewegungs- und Meinungsfreiheit. Die Künstlerin und Aktivisten setzt sich außerdem für die Rechte von LGBT-Personen (Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender) ein. 2016 führte ihr Engagement auch zu einem Treffen mit dem damaligen US-Präsidenten Barack Obama.
Diskriminiert wegen einer Frisur in Namibia
Während Stereotypen in Vietnam vorsichtig getrotzt wird, bestimmen sie in vielen Ländern Afrikas noch Schicksale, sagt Zodidi Jewel Gaseb. In ihrer Heimat Namibia, erzählt sie, "wird man wegen einer Frisur diskriminiert. Kinder dürfen keine Dreadlocks oder Afros tragen." Karrierebewusste Frauen nehmen viel Mühe und Kosten auf sich, ihr Haar zu glätten - und benutzen dabei mitunter gesundheitsschädigende Chemikalien. Wenn Gaseb dagegen mit ihrer Haarpracht im Afro-Stil unterwegs ist, berichtet sie, wird sie mitunter für eine Drogenabhängige oder Prostituierte gehalten.
Gaseb tauschte sich mit anderen afrikanischen Frauen auf Facebook aus und wurde zur Aktivistin und Unternehmerin. Sie gründete die Initiative "African Naturals", die Hygiene- und Mode-Produkte auf Basis von in Afrika natürlich vorkommenden Substanzen entwickelt und dabei vor allem Unternehmerinnen fördert.
Mut und Originalität hat auch die Panel-Teilnehmerin Takwa Barnosa aus Libyen bewiesen: Mit 17 Jahren hat sie 2015eine Kunststiftung ins Leben gerufen. In den eigenen Werken der Künstlerin sieht man offene, kompromisslose Abbilder ihrer Heimat. Sie zeigen Chaos und Anarchie und bilden die Flüchtlingskrise ab. Kann die Kunst eine gebrochene Gesellschaft heilen? Barnosa, die weder Unterstützung noch Einmischung von Regierung oder religiösen Institutionen erfährt, denkt lieber an die kleinen Schritte, die einzelne Menschen unternehmen. Sie erzählt der DW von einem zehnjährigen Jungen, der ein Bild von Vincent van Gogh sah und sich danach monatelang mit dessen Maltechnik auseinandersetzte - mit dem Ziel, van Gogh einmal zu übertreffen.
Auch in Deutschland ist viel zu tun
Kulturelle Identität ist ein sehr weiter Begriff und erfasst sogar eine historische Figur wie Ludwig van Beethoven, die sich längst aus der Identifikation mit dem deutschen oder österreichischen Kulturkreis gelöst hat. So sieht das Nike Wagner, Intendantin des Bonner Beethovenfests. Das Festival zeigt die Klassik-Traditionen verschiedener Länder - und auch, wie sie sich in der Musik von Beethoven widerspiegeln.
Wie kulturelle Subversion auf Amtsdeutsch aussieht, erklärt Andreas Görgen, Leiter der Abteilung Kultur und Kommunikation beim Auswärtigen Amt, auf dem Panel. Görgen lud einmal ausländische Würdenträger zu einem Abend mit "deutscher Volksmusik" ein. Verblüfft war das Publikum, als Musiker aus den Balkanländern, Ländern Afrikas und dem Nahen Osten auftraten. Die Botschaft war klar: Auch diese Kulturen gehören zu Deutschland.
Missstände in Sachen Kultur und Diversität sieht Görgen auch in Deutschland: Die Millionen, die das Land für Kultur ausgibt, seien fehlgeleitet. Sie erreichten nur die obersten zehn Prozent der Bevölkerung. Sogar ein international renommiertes Event wie die Documenta in Kassel werde von einem Großteil der Bewohner der Stadt überhaupt nicht wahrgenommen, kritisiert Görgen. Außerdem bemängelt er, dass von den 200 Theatern in Deutschland nur zwei von Personen mit nicht typisch deutschen Namen oder Nichtweißen geleitet werden. Kulturelle Diversität im Kulturbetrieb sehe anders aus.