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Mikis Theodorakis wird 90

Christiane Kort27. Juli 2015

Kein anderer Künstler repräsentiert Griechenland so wie Mikis Theodorakis. Und keine andere Sängerin ist mit seinem Werk so eng verbunden wie Maria Farantouri. Im Interview spricht sie über den Nationalhelden.

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Ferropolis Konzert Maria Farantouri Mikis Theodorakis
Bild: picture-alliance/dpa/W. Kluge

Deutsche Welle: Frau Farantouri, Mikis Theodorakis hat Sie als 16-jährige Sängerin 1963 bei einem Auftritt entdeckt. Sehr schnell wurden Sie 'seine' Interpretin. Was war das für eine Zeit, und welche Rolle spielte die Musik?

Maria Farantouri: Während der Militärdiktatur in Griechenland [1967 bis 1974, Anmerkung der Redaktion] und kurz davor, als ich begann, mit Mikis Theodorakis zu singen, handelten alle meine Lieder von sozialer Gerechtigkeit, von Frieden, Solidarität und Menschlichkeit. Sie haben natürlich auch eine künstlerische Botschaft und schöne Melodien, denn Theodorakis ist ja ein sehr guter Musiker, Komponist und Dirigent. Doch in den 60er Jahren war die Musik eng mit der Politik und den sozialen Kämpfen verbunden; sie hatte damals eine andere Bedeutung. Wir demonstrierten gegen die politischen Verhältnisse, denn wir hatten weder Freiheit noch Demokratie.

Heute ist die Situation durch die Wirtschaftskrise sehr schwierig; die Arbeitslosenquote liegt bei über 25 Prozent. Wir können das immer noch nicht glauben. Die Leute haben nicht einmal mehr das Nötigste, es fehlt ihnen an Essen. Ich bin keine Politikerin, aber wir - Europa und Griechenland - müssen eine Balance finden. Griechenland kann einfach nicht mehr.

Maria Farantouri Berlin
Maria Farantouri bei einem Konzert in der Komischen Oper BerlinBild: picture alliance/Eventpress Hoensch

Eigentlich herrschte in den 60er Jahren eine Aufbruchstimmung in Griechenland. Nach Weltkrieg, Besatzung, Bürgerkrieg und der Auswanderungswelle in den 50ern wollte die junge Generation endlich einen Neuanfang. Theodorakis verkörperte diese Haltung - politisch, weil er im Widerstand war, verhaftet, gefoltert und verbannt, und musikalisch durch seine Lieder, die begeistert aufgenommen wurden. Doch bereits vor der Diktatur war die Gesellschaft gespalten, die Linken wurden verfolgt; gleichzeitig gab es einen starken Zusammenhalt.

…ja, nicht nur zwischen den Linken, sondern zwischen allen Demokraten, unabhängig zu welcher Partei sie gehörten. Es gab einen großen Diskurs über Demokratie, und jeder sollte dafür kämpfen. Wer im Verdacht stand, links zu sein, hatte damals faktisch Arbeitsverbot. Arbeit bekamen nur die Rechten. Wer Demokrat war oder ein bisschen links, hatte große Schwierigkeiten; es reichte damals schon, mit einer linken Zeitung gesehen zu werden. Als Theodorakis mich entdeckte, war ich sechzehn. Es war genau diese Zeit, und wir waren jung. Die Polizei wusste, was ich zusammen mit Theodorakis tat. Meine Familie war nicht einmal links, sondern Zentrum, Demokraten. Aber meine Kollegen, meine Freunde, der Kreis von Theodorakis, die Dichter - die waren natürlich links. Jedoch nicht kommunistisch nach dem Vorbild der Sowjetunion. Wir waren linke Europäer. Für uns waren Menschlichkeit und Frieden sehr wichtig, besonders Frieden. Es gab damals viele Kriege.

Maria Farantouri muss sich entscheiden

Mikis Theodorakis & Maria Farantouri
Bild: Imago

Ihre großartige Stimme spielte natürlich eine wesentliche Rolle.

Ach, ich war diejenige die Glück hatte. Mikis hat mich geprägt. Er gab mir das Gefühl für seine Überzeugungen, er gab mir alles. Ich war damals ein junges Mädchen und sollte an der Musikschule eine klassische Gesangsausbildung machen, Sopranistin werden. Aber Theodorakis sagte: 'Nein, die beste Schule ist bei mir. Du musst bei mir bleiben.' Und ich bin ihm überallhin gefolgt. Ich hatte in jungen Jahren gesundheitliche Probleme und war oft im Krankenhaus. Das Singen hat mir einen Zugang zur Welt eröffnet.

Diktatur, Exil und Rückkehr nach Griechenland

Als Mikis Theodorakis 1967 von der Militärjunta verhaftet wurde - seine Lieder waren sofort verboten worden, er selbst hatte sich dem Widerstand angeschlossen - waren Sie es, Frau Farantouri, die vom französischen Exil aus gegen die Diktatur kämpfte indem Sie Theodorakis' Lieder in alle Welt trugen. Unterstützt hat sie damals u.a. François Mitterand, der spätere französische Staatspräsident. Durch internationalen Protest konnte Theodorakis 1970 nach Frankreich ausreisen, und Sie gaben gemeinsam Konzerte; der Erlös ging an die Familien der Verfolgten in Griechenland. Als Sie1974 nach dem Sturz der Diktatur, in Ihre Heimat zurückkehrten, waren Sie zu Symbolen des Widerstands geworden, und Mikis Theodorakis ein Nationalheld.

Sie müssen wissen, dass für Theodorakis Griechenland die Quelle seiner Inspiration ist. Griechenland bedeutet ihm alles. Manchmal wird das missverstanden, und man wirft ihm vor, nationalistisch zu sein. Er ist aber kein Nationalist. Er glaubt einfach fest daran, dass die Geschichte und das Wissen ihm die Kraft und Energie geben, etwas Großes zu schaffen. Dieser Widerspruch gehört zu vielen charismatischen Persönlichkeiten. Ich kann nur sagen, dass ich großes Glück hatte, diesem Mann begegnet zu sein. Sonst wäre ich eben nur eine gute klassische Sängerin geworden. Mit Mikis dagegen ist es eine fortwährende Reise. Auch jetzt, wo er 90 Jahre alt ist; er lebt, er ist zu Hause, wir kommunizieren, und ich fühle mich mit 66 Jahren so, als würde ich gerade anfangen; wie ein junges Mädchen. Ich möchte Neues lernen, Dinge verstehen und ausdrücken. So bin ich aufgewachsen, mit Mikis. Deshalb sage ich, er ist mein Vater.

Das Interview führte Christiane Kort.

Der Komponist Mikis Theodorakis leidet schwer an den Folgen eines Tränengasangriffs, den er, 2012, bei einer Athener Demonstration gegen die Austritätspolitik erlitt. Maria Farantouri geht zu Ehren von Mikis Theodorakis anlässlich seines 90. Geburtstages auf eine Europa-Tournee:

25.09.2015 Berlin
27.09.2015 Amsterdam
28.09.2015 Luxemburg
29.09.2015 Brüssel