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Guter Fußball, kein Märchen

Wolfgang van Kann30. Juni 2008

Die 13. Fußball-EM ist Geschichte, Spieler und Fans in ganz Europa, besonders natürlich in Spanien, können nun feiern – nun ist Nachsitzen und Nacharbeiten angesagt. Was haben wir für ein Turnier gesehen? Eine Analyse.

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Der Beste eines guten TurniersBild: AP

Ein zweites Sommermärchen wie die WM 2006 war die EM 2008 nicht. Das hat der Wettergott vermiest. Aber auch die Österreicher und Schweizer haben nicht so mitgespielt wie die Deutschen vor zwei Jahren. Sie haben das ganze Spektakel mehr argwöhnisch als erfreut beobachtet. Fans fühlten sich denn auch nicht "zu Gast bei Freunden" wie 2006.

Noch nie so viel Torchancen

Die EM 2008 war das offensivste internationale Turnier aller Zeiten. Die Statistik weist aus, das es noch in keinem Turnier so viele Torchancen wie diesmal gegeben hat und auch die Torquote von 77 Treffern in 31 Spielen kann sich sehen lassen. Wer nur darauf setzte, eine Partie nicht zu verlieren, wurde am Ende bestraft – allen voran die strikt defensiven Griechen, der Europameister von 2004.

Euro 2008 Halbfinale Deutschland Türkei 3:2 für die deutsche Mannschaft durch Lahm
Im Dream Team: Philipp LahmBild: AP

Es war auch eine extrem faire EM mit wenigen richtig bösen Szenen und lediglich drei Roten Karten, die zudem allesamt noch im Rahmen waren. Die Fans haben überwiegend schönen und schnellen Fußball gesehen, der von wirklichen Mannschaften dargeboten wurde. Stars gewinnen heute keine Partie mehr. Auch sie können nur glänzen, wenn Harmonie in der Mannschaft herrscht, sie als Ganzes funktioniert und sich als Einheit präsentiert. Die beste war fraglos die spanische. Nach dem Gewinn des Endspiels gegen Deutschland haben die Spanier zum Abschluss der EURO 2008 auch bei der Vergabe der individuellen Auszeichnungen groß abgeräumt. Mittelfeldspieler Xavi wurde von der Technischen Kommission der UEFA unter Vorsitz des Schotten Andy Roxburgh zum besten "Spieler des Turniers" gewählt, acht weitere seiner Mitspieler fanden sich in der 23 Spieler umfassenden "Mannschaft der EM" wieder. Auch vier Russen und drei Deutsche wurden gewählt: Michael Ballack, Philipp Lahm und Lukas Podolski.

"Hohe Qualität"

Roxburgh lobte die "hohe Qualität" des Turniers. Bemerkenswert war für ihn die "erstaunlich geringe" Anzahl von Toren nach Standardsituation, die Zunahme von Kombinationsfußball, auch auf den Flügeln", sowie der Trend zu "atemraubenden Kontern".

EURO 2008 Niederlande Russland Roman Pavlyuchenko Basel
Neues Gesicht: Roman PawljutschenkoBild: AP

Roxburgh würdigte ausdrücklich die Leistung der spanischen Mannschaft: "Weltmeisterschaften, Europameisterschaften und die Champions League setzen Standards. Was die Spanier hier gemacht haben, lenkt das Spiel in eine neue Richtung." Europameister Spanier habe einen eigenen Stil entwickelt, den er auch beibehalten habe: "Sie sind so wunderbar kreativ."

Der europäische Fußball befindet sich offensichtlich mitten in einem Generationenwechsel. Neue Namen tauchen auf – wie die Russen Arschawin und Pawljutschenko oder der Türke Nihat. Frühform schadet in einem Turnier offensichtlich, zwischendurch B-Teams auflaufen zu lassen rächt sich. Die Favoritenbürde ist sehr oft eine zu schwere Last. Und dass ein Spiel wirklich 90 – oder heute auch schon mal 120 – Minuten dauert, machten vor allem die Türken vor.

Verlierer UEFA

Der größte Verlierer dieser EM ist neben dem Weltmeister und dem Vize-Weltmeister von 2006, Italien und Frankreich, in erster Linie die UEFA. Das mag angesichts eines Reingewinns von rund 700 Millionen Euro, den der Europäische Fußball-Verband eingefahren hat, paradox erscheinen. Doch es gibt einige dicke Kratzer im Lack.

Fußball-Europameisterschaft 2012 in Polen und der Ukraine Michel Platini
Noch viel zu tun bis zum nächsten Turnier: UEFA-Präsident Michel PlatiniBild: picture-alliance/ dpa

Natürlich kann die UEFA nichts für das Wetter, das im Halbfinale zu dem überaus peinlichen Bild- und Tonausfall in aller Welt führte. Aber für das aberwitzige System, dass alle Leitungen über Wien laufen mussten und es zudem keine vernünftige Absicherung gab, dafür ist die UEFA schon verantwortlich. Auch dass die Rasenqualität nicht die beste war, vorher also offensichtlich nicht unter Extrembedingungen getestet worden ist, muss die UEFA auf ihre Kappe nehmen.

Die Regulierungswut der UEFA schließlich verärgerte die Geschäftswelt in Österreich und in der Schweiz und gipfelte auf dem Fußballplatz in der völlig unsinnigen Gängelung der Trainer bei der Betreuung ihrer Mannschaften am Spielfeldrand – die nicht zuletzt Bundestrainer Joachim Löw zu spüren bekam. Und schließlich fühlten sich auch die Fernsehzuschauer verschaukelt, die natürlich doch erfahren, dass die UEFA ihr unangenehme Bilder von einem Flitzer oder von illegalem Feuerwerk im Stadion nicht ausstrahlen ließ.

Das EM-Allstar-Team

Spieler des Turniers: Xavi Hernández (Spanien)

Torhüter: Gianluigi Buffon (Italien), Iker Casillas (Spanien), Edwin van der Sar (Niederlande)

Abwehr: José Bosingwa (Portugal), Philipp Lahm (Deutschland), Carlos Marchena (Spanien), Pepe (Portugal), Carles Puyol (Spanien), Juri Schirkow (Russland)

Mittelfeld: Hamit Altintop (Türkei), Luka Modric (Kroatien), Marcos Senna (Spanien), Xavi Hernández (Spanien), Konstantin Syrjanow (Russland), Michael Ballack (Deutschland), Cesc Fabregas (Spanien), Andrés Iniesta (Spanien), Lukas Podolski (Deutschland), Wesley Sneijder (Niederlande)

Angriff: Andrej Arschawin (Russland), Roman Pawljutschenko (Russland), Fernando Torres (Spanien), David Villa (Spanien)