Hans-Dietrich Genscher - Meister des diplomatischen Spagats
Man erkannte ihn stets am gelben Pullover - und an seiner durch und durch diplomatischen Art: Hans-Dietrich Genscher blieb bis zuletzt eine der großen Leitfiguren der FDP und prägend für die deutsche Außenpolitik.
Immer ganz Ohr
Ob als kluger Diplomat, liberale Leitfigur oder als Architekt der deutschen Einheit: Immer behielt der frühere FDP-Außenminister Hans-Dietrich Genscher das Ohr am Puls der Zeit. Für seine Gabe, anderen zuzuhören und sich auf sie einzulassen, wurde er besonders geschätzt.
Frühe Prägung in der DDR
Das Porträt Genschers an einer Fassade nahe seines Geburtshauses bei Halle in Sachsen-Anhalt. Dort erlebt er die Anfangsjahre der kommunistischen Herrschaft in der DDR. Nach dem Jura-Studium in Jena 1952 setzt er sich nach Bremen ab, wo er als Anwalt arbeitet.
Geborener Diplomat
Kein politisches Amt prägt ihn so wie das Außenamt. Unter Kanzler Helmut Schmidt (SPD) wird Genscher 1974 Außenminister und Vizekanzler - und drückt dem Amt seinen Stempel auf wie kaum ein anderer. Bis heute bezeichnet man seine diplomatische Ausrichtung als "Genscherismus“: Eine Politik des Ausgleichs und der Annäherung an die Staaten des Ostblocks.1974 wird er zudem Bundesvorsitzender der FDP.
Neue Bündnisse
Am 17. September 1982 überreicht Bundespräsident Karl Carstens Genscher und drei anderen FDP-Ministern die Entlassungsurkunde: Das Ende der langjährigen Koalition zwischen SPD und FDP. Der Sturz des SPD-Kanzlers Schmidt wird vor allem Genscher angelastet. Kurz darauf wird er erneut Außenminister in der neuen Regierung von CDU/CSU mit Helmut Kohl als Kanzler.
Worte der Befreiung
"Wir sind gekommen, Ihnen mitzuteilen, dass heute ihre Ausreise…" mit diesen Worten beginnt der bewegende Moment seiner Amtszeit: Genscher ruft sie Ende September 1989 vom Balkon der westdeutschen Botschaft in Prag tausenden Menschen zu, die aus der DDR hierher geflohen sind. Es ist ein Meilenstein auf dem Weg zur deutschen Einheit.
Historische Momente
Gemeinsam mit Helmut Kohl besucht Genscher ein Jahr später den sowjetischen Staatspräsidenten Michail Gorbatschow im Kaukasus. In entspannter Atmosphäre an einem rustikalen Arbeitstisch in der freien Natur verhandeln sie darüber, wie die beiden deutschen Staaten nach 40 Jahren wiedervereinigt werden können.
Noch ein europäischer Meilenstein
Im Februar 1992 unterzeichnen Hans-Dietrich Genscher und Theo Waigel in Maastricht den Vertrag zur Wirtschafts- und Währungsunion der Europäischen Gemeinschaft: Eine wichtige Voraussetzung für die Einführung des Euro. Der Füller, mit dem Genscher unterschreibt, wird kurz darauf gestohlen. Einige Monate später geben die Diebe das historische Stück zurück - zu Genschers großer Freude.
Abgang auf dem Zenit
"Ich war in der glücklichen Lage, selbst entscheiden zu können, wann ich gehe", sagt Genscher nach dem Ende seiner politischen Laufbahn. 1992 tritt er auf Anraten seiner Ärzte von allen Ämtern zurück: 23 Jahre als Regierungsmitglied, davon 18 Jahre im Amt des Außenministers, liegen hinter dem FDP-Mann. "Genschman“, wie ihn viele nennen, tritt in den Ruhestand.
Genscher, der Vermittler
Obwohl schon seit 1992 im Ruhestand war Hans-Dietrich Genscher auch im hohen Alter noch aktiv. 2013 war er als Vermittler maßgeblich daran beteiligt für den russischen Regierungskritiker Michail Chordorkowki dessen vorzeitige Haftentlassung zu erwirken.