Hausfrieden in der Union
3. November 2015Die Flüchtlingsdebatte hat ihre Spuren in den Gesichtern von Angela Merkel und Horst Seehofer hinterlassen. Als sie gemeinsam vor dem Fraktionsaal der Union im Bundestag ihre Statements abgeben sehen beide aus, als könnten sie Urlaub gebrauchen. Einen Kurztrip nach Mallorca etwa, wie ihn sich Innenminister Thomas de Maizière eben genehmigt hat, begleitet allerdings von hämischen Kommentaren der BILD.
Merkel und Seehofer haben sich in den letzten Wochen aneinander abgearbeitet, bis hin zur Gefahr, dass die jahrzehntealte Fraktionsgemeinschaft von CDU und CSU aufgekündigt werden könnte. Doch nun wirken sie erschöpft und friedfertig. Der gemeinsame Auftritt vor der Unionsfraktion im Bundestag soll die Wiederherstellung des Hausfriedens auch formal besiegeln. Vorerst zumindest ziehen die Schwesterparteien wieder an einem Strang in der Flüchtlingsfrage. Zufrieden hört der zwischenzeitlich auf Krawall gebürstete CSU-Chef zu, wie die Kanzlerin vor der Presse die wichtigsten Punkte des bereits am Sonntag vereinbarten gemeinsamen Positionspapiers referiert, mit dem die Union die Fluchtbewegung "steuern und ordnen" wolle: Verteilungsmechanismen in Europa, Schutz der Schengen-Außengrenzen, Einrichtung von Erstanlaufstellen (Hotspots) zur Flüchtlingsregistrierung in Griechenland, Kooperation mit der Türkei. In Deutschland selbst schnellere Abschiebungen und vor allem - die Einrichtung von Transitzonen.
Wie freundlich bleibt das Gesicht?
Die sogenannten Transitzonen, aus denen Asylbewerber in einem beschleunigten Verfahren wieder abgeschoben werden können, ohne, dass sie rein rechtlich den Boden Deutschlands betreten haben, sind eine Forderung der CSU. Merkel hat sich darauf eingelassen. Auch wenn sie wissen dürfte, dass die Bilder von Tausenden Flüchtlingen, die in riesigen alten Kasernen – tja, wie soll man sagen, untergebracht werden - das selbstverkündete "freundliche Gesicht" Deutschlands in der Welt trüben dürften. Doch Merkel muss jetzt mehr nach Innen schauen, auf die Sorge der Deutschen vor Überfremdung, die überlasteten Kommunen, die wachsende Skepsis der eigenen Partei, die grollende Schwesterpartei CSU.
"Insgesamt wünsche ich mir, dass die Menschen in Deutschland in ein paar Jahren sagen können, das haben die gut gemacht, und wir haben das schaffen können", sagt die Kanzlerin. Es ist der einzige Moment, indem Seehofer eine Regung zeigt und man würde gern die Bemerkung hören, die ihm auf der Zunge liegt.
Doch der Bayer hat sich entschlossen, das Entgegenkommen der Kanzlerin - deren Flüchtlingspolitik er für einen schweren politischen Fehler hält - durch eigene Zurückhaltung zu honorieren. Kein Triumph liegt in seiner Stimme, als er hervorhebt, dass 13 Punkte zur Reduzierung des Flüchtlingsstromes im gemeinsamen Positionspapier niedergeschrieben sind. Zwar ist die Kanzlerin nach wie vor nicht bereit, eine Obergrenze für die Aufnahme von Flüchtlingen zu nennen oder gar die Grenzen zu schließen, wie viele in der CSU und ihrer eigenen Partei fordern. Doch immerhin spricht sie ebenfalls von Reduzierung.
Mehr Beifall für Seehofer?
Seehofer kann das als Erfolg verbuchen. Bayern ist das Bundesland, in dem nach wie vor Tag für Tag tausende Flüchtlinge über die Grenze kommen, der CSU-Vorsitzende und bayrische Ministerpräsident steht unter enormen Druck der Bürger, seiner Bürgermeister und Landräte. Er hat auch durchgesetzt, dass an erster Stelle der nationalen Maßnahmen die Einrichtung der so genannten Transitzonen steht, damit viele Asylsuchende gar nicht erst in die Kommunen gelangen oder einen langwierigen Rechtsweg in Anspruch nehmen können.
Aus der gemeinsamen Fraktionssitzung der Union wird später berichtet, Seehofer habe mehr Beifall als Merkel erhalten. Doch auch Merkel kann vorerst ruhiger schlafen, nachdem sie vor drei Wochen von ungewohnt vielen Mitgliedern der eigenen Fraktion heftig kritisiert wurde. Diesmal, so hieß es aus der Fraktionssitzung, seien die Kritiker weitgehend ruhig geblieben. Vorher angekündigte Anträge für eine rigorosere Flüchtlingspolitik wurden in der dreistündigen Sitzung nicht zur Abstimmung gestellt.
Gabriels unvollständige Rechnung
Stattdessen liegt der schwarze Peter innerhalb der großen Koalition von nun an bei den Sozialdemokraten. Denn die SPD tut sich schwer mit den geplanten riesigen zentralen Auffanglagern für Flüchtlinge an der österreichischen Grenze, über die sich die Union einig ist. Der Berliner Landeschef der Sozialdemokraten Jan Stöß verglich sie sogar mit dem US-Gefangenenlager Guantanamo und auch Fraktionschef Thomas Oppermann hatte wochenlang von "Haftlagern" gesprochen, die mit den Sozialdemokraten überhaupt nicht zu machen seien.
Doch nun hört man in Berlin plötzlich andere Töne. SPD-Chef Sigmar Gabriel ließ die staunende Öffentlichkeit wissen, dass er es "ziemlich albern" finde, über ein Problem zu streiten, das nur 2,4 Prozent der Flüchtlinge betreffe. Nämlich diejenigen, die aus den "sicheren Herkunftsländern" vom Westbalkan kämen, und das seien doch nur noch sehr, sehr wenige. Allerdings ließ Gabriel bei seinem Auftritt vor Industriellen in Berlin unerwähnt, dass die Unterbringung in Transitzonen bald nicht nur Flüchtlinge vom Westbalkan betreffen könnte, sondern auch zehntausende Afghanen, die nach Deutschland wollen. Dann nämlich, wenn sich Bundesinnenminister Thomas de Maizière mit seiner Absicht durchsetzen sollte, Afghanistan zu einem sicheren Herkunftsland zu erklären.
Transitzonen, die keine Haftlager sind
Doch die Sozialdemokraten wollen den schwarzen Peter so schnell wie möglich wieder loswerden. Das machte auch Fraktionschef Thomas Oppermann klar, der als gelernter Jurist findet, man könne bei den Transitzonen zur Registrierung von Flüchtlingen einen Kompromiss finden, wenn diese Lager nicht mit Haft verbunden seien. Bundeskanzlerin Merkel spielte ihrerseits vor der Unionsfraktion den Ball zurück: Es gehe nicht um Haft, sondern um eine Einschränkung der Bewegungsfreiheit. Im Übrigen argumentiert die Union, dass von Haft schon deshalb nicht die Rede sein könne, weil die Flüchtlinge jederzeit aus den Transitzonen wieder in ihre Heimat zurückkehren könnten.
Wenn sich am kommenden Donnerstag die Spitzen der drei Koalitionsparteien wieder treffen stehen die Zeichen also eher auf Einigung. Oder, um es mit Horst Seehofers Worten zu sagen: "Wir sollten selbst den Anspruch haben, uns zu einigen, damit die Bevölkerung sieht, die Partner der Koalition sind in der Lage, in einer historischen Aufgabe zu handeln."