Homöopathie: Wenn Glaube sogar Tiere heilt
5. August 2019Schreib doch mal einen Artikel darüber, ob Homöopathie nun wirkt oder nicht, bittet mich mein Redakteur. Nichts einfacher als das. Es kommt halt nur drauf an, wen man fragt.
Als Wissenschaftsjournalistin fasziniert mich unter anderem die Tierheilkunde. Daher habe ich mich entschlossen, in die berufsbegleitende Ausbildung zur Tierheilpraktikerin reinzuschnuppern. Dabei kommt man – ob man nun will oder nicht – mit der Homöopathie in Kontakt, vor allem mit ihren Befürwortern.
Aus wissenschaftlicher Sicht ist die Antwort auf die Frage meines Redakteurs klar. So ziemlich alle Doppelblindstudien zeigen: Es gibt keine Wirkung über den Placebo-Effekt hinaus. Doppelblindstudien, bei denen weder der Patient noch der Behandelnde wissen, welche Pille einen Wirkstoff enthält und welche nicht, sind das A und O der modernen Medizin. Wirkt ein zu testendes Medikament in der einen Patientengruppe nicht besser als ein paar Zuckerkügelchen in einer anderen Patientengruppe, hilft es nun mal nicht. Punkt.
Trotzdem gibt es die Menschen wie meine Freundin, die sagen, dass "Studien nicht alles beweisen können". Sie gießt ihre Blumen nach dem Mondkalender und ist überzeugt, "dass es vieles in dieser Welt gibt, das wir noch nicht verstehen".
Das mag für viele noch unerforschte Phänomene tatsächlich stimmen. Aber wenn auf reinem Glaube eine ganze Industrie aufbaut, geht das zu weit. Ebenso, wenn an einer großen deutschen Heilpraktikerschule die wissenschaftlichen Zweifel an der Homöopathie als Quatsch abgetan werden.
Zum Weiterlesen: Kommentar: Schluss mit dem Homöopathie-Hokuspokus
Glaube statt Wissenschaft
Einmal pro Unterrichtsstunde passiert es. Dann hält die Ausbilderin im Tierheilpraktikerunterricht ihre Ode auf die Homöopathie. Es kommt dabei gar nicht drauf an, welches Thema gerade behandelt wird. Um über die Heilkraft der Homöopathie zu sprechen, bleibt immer Zeit. "Es gibt ja Leute, die behaupten, Homöopathie wirke nicht. Die haben halt keine Ahnung." Es klingt verächtlich. Etwa ein Dutzend Tierheilpraktikerschüler nicken und lächeln zustimmend. Außer mir. Ich gebe mir Mühe, nicht allzu sichtbar die Augen zu verdrehen.
Nun wäre das ein günstiger Moment für die Dozentin, einmal zu erklären, warum genau die Homöopathie in der Kritik steht. Dass etliche Studien gezeigt haben, dass die Mittel nicht besser wirken als ein Scheinmedikament – und woran das liegen kann. Sie könnte darüber sprechen, was der Placebo-Effekt eigentlich ist. Denn der spielt in der gesamten Medizin und Pharmazie eine extrem wichtige Rolle. Das sollte in einer Heilpraktikerschule doch vermittelt werden?
Aber nein. "Man sagt ja, wenn ein Mensch ein Medikament nimmt, dann kann er sich auch einfach einbilden, dass das wirkt. Aber so was kann bei Tieren ja gar nicht passieren." Eine Schülerin stimmt im Brustton der Überzeugung zu: "Klar, bei Tieren kann es gar keinen Placebo-Effekt geben!" Damit sind alle wissenschaftlichen Zweifel an der Homöopathie ausgeräumt. Der Unterricht geht wie gewohnt weiter.
Placebo-Effekt auch bei Tieren
Dabei ist der Placebo-Effekt mehr als ein reines Sich-etwas-Einbilden. Der Körper reagiert tatsächlich auf das Scheinmedikament und auf die Hoffnung, die ein Patient damit verbindet. Diese "Heilkraft" durch Glaube ist auch messbar.
Wissenschaftler haben zudem schon etliche Male gezeigt, dass der Placebo-Effekt durchaus auch bei Tieren vorkommen kann. Schon im Jahr 1962 schrieb der US-Psychologe Richard Herrnstein im Journal "Science" über den "Placebo-Effekt bei der Ratte". 2010 beispielsweise zeigten Tiermediziner an der North Carolina State University, dass epilepsiekranke Hunde weniger häufig Anfälle bekamen, wenn sie ein Scheinmedikament bekamen.
Tiere sind nicht dumm und fangen schnell Stimmungen auf. Wenn der Tierhalter dem Tier regelmäßig ein paar Globuli in den Mund schiebt und fest daran glaubt, dass jetzt alles besser wird, strahlt er diese Hoffnung auch aus. Das kann durchaus positiven Einfluss auf die Gesundheit des Tieres haben – ganz besonders bei sensiblen Tieren wie Pferden etwa. "Placebo by Proxy" nennt sich das Phänomen.
Kritiklos
Zur Ausbildung eines Tierheilpraktikers gehören Anatomie und Physiologie von Hund, Katze und Pferd sowie Ursachen und Symptome von allen möglichen Krankheiten inklusive Diagnostik durch Anamnese, Abhören, Abtasten und beispielsweise das Lesen von Blutbildern. Ein wirklich guter Batzen Lernstoff. Da Heilpraktiker aber weder operieren noch Medikamente verschreiben dürfen, konzentrieren sich die Heilmethoden vor allem auf Pflanzenheilkunde und wissenschaftlich angezweifelte Methoden wie Akupunktur und eben Homöopathie.
"Ich hab euch ein paar Bücher mitgebracht, die ich fürs Studium empfehle", sagt eine andere Ausbilderin. Sie hält einen dicken Schmöker hoch, der alle homöopathischen Mittelchen und ihre Anwendungen beschreibt. Geschrieben habe ihn ein Tierarzt, und vor allem das Vorwort sei lesenswert. "Darin schreibt er, dass er früher nicht an die Homöopathie geglaubt hat." Herzhaftes, teils spöttisches Lachen füllt den Raum.
Während Ausbilder und Schüler der Pharmaindustrie regelmäßig vorwerfen, lediglich Geld scheffeln zu wollen, legen sie gegenüber den Unternehmen, die homöopathische Mittel herstellen, ein auffallend kritikloses Verhalten an den Tag. "Geht doch mal auf so eine Veranstaltung, bei der die Firmen ihre Produkte vorstellen", empfiehlt die Ausbilderin sogar. "Das ist immer schön, da gibt es auch was Gutes zu essen und zu trinken." Wie genau unterscheidet sich das jetzt von den Veranstaltungen, mit denen die Pharmaindustrie die Ärzte einwickeln will?
Zum Weiterlesen: Braucht es neue EU-Gesetze gegen die Homöopathie?
Das Totschlagargument
Wenn die Homöopathie ein so gutes Heilmittel ist, warum können klinische Studien das nicht feststellen? Das Argument der Anhänger: Homöopathie wirke bei jedem Mensch und jedem Tier anders. Wenn ein Mittel bei dem einen Hund keine Wirkung zeige, dann sei es eben nicht das richtige für diesen speziellen Hund und man müsse weiter nach dem passenden Mittel suchen. Ein Totschlagargument, denn es liefert die Begründung für Nichtwirksamkeiten gleich mit.
Die Anhänger betonen immer wieder, sie hätten selbst gesehen, wie gut die Homöopathie helfe. Man möchte es ihnen sogar glauben, denn wie toll wäre es, wenn ein paar Globuli mit null Wirkstoff tatsächlich so gewaltige Heilkräfte entfachen könnten! Aber die Frage bleibt: Woran machen die Überzeugten die Wirksamkeit fest? Woher wissen sie, was passiert wäre, wenn der Hund das Mittel nicht bekommen hätte? Vielleicht wäre er genauso schnell von alleine wieder gesund geworden?
Eine Freundin erzählte mir vor kurzem, dass ihre Katze ständig Blasenentzündung bekomme. Mit einem homöopathischen Mittel gehe das aber immer schnell wieder weg. Mein Vorschlag, das Mittel doch mal wegzulassen und zu schauen, ob es nicht von selbst besser werde lehnte meine Freundin resolut ab: "Das kann ich meiner Katze doch nicht antun, ich leide immer so, wenn sie was hat!" Mit genau diesem Bedürfnis, irgendwie mit irgendwas helfen zu wollen, verdient eine ganze Industrie ihr Geld.
Diskussion zwecklos
Oft hört man in punkto Homöopathie das Argument: "Es kann ja nicht schaden". Doch, das kann es, wenn der Hund eigentlich ein Antibiotikum gebraucht hätte, jetzt aber Globuli bekommt. Außerdem ist unnötiges Geld-aus-der-Tasche-Ziehen auch ein Schaden, denn das Geld fehlt vielleicht am Ende für andere, wichtige Sachen wie teures Futter für nierenkranke Katzen oder den Tierarzt.
Eines weiß ich schon jetzt: Auch diesmal wird mich nach Erscheinen des Artikels wieder ein Bekannter ansprechen, der darauf schwört, dass ihn die Homöopathie von einer schlimmen Krankheit geheilt habe. Andere werden schreiben, dass Homöopathie auch bei Tieren und Kindern helfe und dass das der durchschlagende Beweis sei. Diskutieren hilft da einfach nicht.