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"In zwei Dritteln der Länder keine Pressefreiheit"

Marco Müller3. Mai 2012

Zum Internationalen Tag der Pressefreiheit hat Michael Rediske, Vorstandssprecher der deutschen Sektion von Reporter ohne Grenzen, mit der DW über die Arbeitsbedingungen von Journalisten gesprochen.

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Michael Rediske, Reporter ohne Grenzen (Foto: dapd)
Michael Rediske, Reporter ohne GrenzenBild: dapd

Deutsche Welle: Herr Rediske, ist der 3. Mai für Sie ein Tag der Freude oder der Trauer?

Michael Rediske: Das ist ein Tag, um auf die Probleme aufmerksam zu machen, auf die Situation der Presse, vor allen Dingen darauf, dass in zwei Dritteln der Länder dieser Welt die Pressefreiheit nicht gewährleistet ist.

Reporter ohne Grenzen veröffentlicht jedes Jahr eine "Rangliste der Pressefreiheit". Wo auf der Welt ist es denn besonders schlecht um sie bestellt?

Es sieht überall schlecht aus, wo es entweder gar keine Pressefreiheit gibt - etwa in Nordkorea, wo es keine unabhängigen Journalisten gibt, deswegen sind dort auch keine inhaftiert - oder natürlich da, wo sehr viele Journalisten im Gefängnis sitzen. Ein Beispiel ist hier Eritrea, das ganz hinten in der Rangliste steht.

Welche Probleme sind dort die größten?

Vor geraumer Zeit kam in Eritrea eine Revolutionsregierung an die Macht, die den Kaiser gestürzt und sich dann zu einer diktatorischen Regierung entwickelt hat. Mittlerweile halten sie mehrere Dutzend Journalisten in Haft fest, und mehrere hundert Reporter, also fast die gesamte Journalistenschaft des Landes, sind ins Exil gegangen.  

Können Sie sagen, wie viele Journalisten bei der Ausübung ihres Berufes im letzten Jahr ums Leben gekommen sind?

Die Zahl ist in den letzten Jahren wieder angestiegen: Im vergangenen Jahr haben wir mindestens 66 Journalisten gezählt, die wegen oder während ihrer Berufsausübung ermordet wurden oder umgekommen sind. Da sind diejenigen, von denen man nicht genau weiß, aus welchem Grund sie ermordet wurden, noch nicht einmal enthalten - aber die allermeisten Morde an Journalisten werden nicht aufgeklärt.

Wo werden die meisten Journalisten getötet?

In Russland werden regelmäßig Journalisten umgebracht. Dort herrscht - gerade in der Provinz - ein Klima der Einschüchterung. Auch in Pakistan werden viele Journalisten ermordet. Ebenso in Mexiko und in Honduras, wo es um den Kampf zwischen den Drogenkartellen und den Militärs geht und Journalisten eingeschüchtert werden, damit sie über diese Dinge nicht berichten.

Wie gefährlich ist es denn für Journalisten im arabischen Raum?

Das hängt vom Land ab. Tunesien ist im Allgemeinen nicht mehr bedenklich, in Syrien ist es dafür inzwischen so gefährlich, wie es vielleicht vor einigen Jahren im Irak war. Der Arabische Frühling hat große Konflikte ausgelöst. Da müssen Journalisten vor Ort sein. Und die werden vor allem von den Regierungen angegriffen und draußen gehalten. In Syrien sind etliche Journalisten in den Kämpfen umgekommen. Auch Ägypten - ein Land, in das große Hoffnungen gesetzt wurden - ist in unserer Rangliste erst einmal wieder nach unten gerutscht, weil die Militärregierung dort tatsächlich neue Notstandsgesetze erlassen und die Pressefreiheit wieder eingeschränkt hat.

Ganz weit unten steht auch China. Wie schätzen Sie die Lage dort aktuell ein?

Wegen der Olympischen Spiele in Peking hatten wir zunächst gewisse Hoffnungen auf eine Besserung. Die haben sich inzwischen aufgelöst. Es gibt große gesellschaftliche Konflikte, besonders in den chinesischen Provinzen. Und wir hören immer wieder, dass gerade auf der regionalen Ebene dann auch Journalisten angegriffen oder inhaftiert werden. Obwohl es in China - anders als in Nordkorea - eine unabhängige Presse gibt, müssen kritische Berichterstatter immer wieder die Grenzen austesten und werden dafür oft genug ins Gefängnis geschickt. Derzeit sind über 30 Journalisten in China inhaftiert.

Blicken wir auf ein Land, das sonst wenig Negativschlagzeilen zur Pressefreiheit bekommt: auf die USA. Sie sind auf der Rangliste der Pressefreiheit um 27 Plätze abgerutscht, stehen nun auf Rang 47. Ist der Grund dafür das harte Vorgehen der Polizei gegen Journalisten, die über die Occupy-Bewegung berichteten?

Das stimmt, bei den Protesten hat es Übergriffe von Polizisten auf Reporter gegeben. Andererseits sollte man aber auch nicht vergessen, dass solche Konflikte in den USA  - aber auch in den Ländern der EU - viel schärfer in den Blick geraten als in Regionen, in denen sie an der Tagesordnung sind. Das ist auch richtig so, weil Länder wie die USA auch ein Vorbild sein müssen für die Presse- und Medienfreiheit.

Wie ist die Lage in Lateinamerika?

Die Situation ist je nach Land sehr unterschiedlich. Wenn man einen Vergleich zieht zu den Diktaturen vor 20 Jahren, haben wir auf dem ganzen Kontinent wenig Probleme. Überall da, wo die Drogenmafia herrscht, sieht es nicht gut aus - bereits genannt hatte ich Mexiko und Honduras. Auch der jahrzehntelange Bürgerkrieg in Kolumbien bereitet uns Sorgen. Kuba steht - im Vergleich zu den anderen Ländern Amerikas - am weitesten hinten auf der Rangliste: Zwar wurden hier kürzlich einige Journalisten freigelassen, doch bleibt die Pressefreiheit auf sehr kleine Bereiche im Internet beschränkt.

Am 26. Mai findet in Aserbaidschan der Eurovision Song Contest statt. Auch dort ist es um die Pressefreiheit nich gut bestellt. Wird sich das durch die Veranstaltung des Musikwettbewerbs ändern?

Ich bin eher pessimistisch. Durch jedes Event - egal, ob sportlich oder künstlerisch - wird die öffentliche Aufmerksamkeit auf ein Land gelenkt, so auch hier. Aber selbst wenn es Lockerungen gibt, sind die meist von kurzer Dauer: Sie halten nur an, solange ausländische Journalisten hinschauen. Und wir sehen schon heute, dass eher aus Angst vor Protesten die Zügel schon im Vorfeld angezogen werden: In Aserbaidschan beispielsweise sitzen derzeit insgesamt sechs Journalisten und Blogger in Haft.

Michael Rediske ist Vorstandssprecher von Reporter ohne Grenzen in Deutschland.