Italien: Freispruch für Ex-Innenminister Matteo Salvini
21. Dezember 2024Den Freispruch am Freitagabend quittierte Matteo Salvini, heute Verkehrsminister in einer teilweise rechtsextremen Dreier-Koalition in Italien, mit einem breiten Lächeln vor dem Gerichtssaal in Palermo. "Nach drei Jahren hat die Lega gewonnen, Italien hat gewonnen. Die Verteidigung des Vaterlands ist kein Verbrechen, sondern gutes Recht. Ich bin entschlossener als je zuvor", sagte der Chef der rechtspopulistischen Lega-Partei kämpferisch unter Applaus zahlreicher Anhänger.
Angeklagt war Matteo Salvini, weil er als Innenminister 2019 über mehrere Wochen 147 schiffbrüchigen Migrantinnen und Migranten trotz menschenunwürdiger Verhältnisse an Bord des überfüllten Schiffes "Open Arms" die Einfahrt in den Hafen der italienischen Insel Lampedusa verweigert hatte. Die zuständige Staatsanwalt in Sizilien sah den Tatbestand der Freiheitsberaubung und des Amtsmissbrauchs erfüllt und forderte sechs Jahre Haft für Salvini. Der Prozess dauerte drei Jahre. Ausgesagt hat neben anderen auch der damalige linkspopulistische Regierungschef Giuseppe Conte, der sich von der strikten Politik der geschlossenen Häfen nachträglich distanzierte.
Rechtspopulistische Migrationspolitik gestärkt
Die teilweise rechtsextreme Regierungskoalition in Rom könnte sich nach dem Freispruch ermutigt fühlen, die Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik noch weiter zu verschärfen und die Häfen für die verbleibenden Rettungsschiffe privater Organisationen ganz zu schließen, vermutet der Politikwissenschaftler Emanuele Massetti von der Universität in Trento. "Sie werden jetzt abwägen, was sie tun können oder nicht tun können. Ein Freispruch öffnet den Raum für härtere Maßnahmen", sagte Massetti der Agentur Reuters.
Der Anwalt der spanischen Seenot-Rettungsorganisation Open Arms hatte im Prozess angeführt, dass Matteo Salvini als Innenminister die Pflicht hatte, Menschenleben zu schützen. Er habe gegen internationales Seerecht, Flüchtlingskonventionen und italienisches Recht verstoßen. Das Schiff "Open Arms" konnte am Ende 2019 schließlich auf staatsanwaltliche Anordnung gegen den Willen Salvinis in Lampedusa festmachen. In seiner Amtszeit von 2018 bis 2019 hatte der Innenminister rund 20 Mal eine ähnliche Blockade für Schiffe mit Geflüchteten verhängt. In einen anderen Fall, in dem es um ein Schiff der eigenen italienischen Küstenwache ging, wurde er ebenfalls freigesprochen.
Berufung gegen Urteil möglich
Der Gründer der Hilfsorganisation Open Arms, Oscar Camps, kündigte an, dass seine Organisation ungeachtet des Urteils ihre Arbeit im Mittelmeer fortsetzen werde - in der "tödlichsten Flüchtlingsroute der Welt". In diesem Jahr ertranken auf der Route aus Nordafrika nach Süditalien nach UN-Angaben rund 1700 Menschen. "Open Arms" behält sich laut ihrer Anwälte vor, nach Studium der genauen Urteilsbegründung in Berufung zu gehen. Minister Salvini hatte Open Arms und anderen Organisationen wiederholt Menschenhandel und Schleppertum vorgeworfen. "Das Betreten Italiens erfordert Regeln, hat Grenzen, braucht Kontrolle. Diejenigen, die die Einwanderer nutzen, um politische Schlachten zu schlagen, haben heute verloren", sagte Matteo Salvini.
Ungarn: Viktor Orban jubelt
"Die Gerechtigkeit hat gesiegt. Bravo Matteo Salvini!" jubelte der rechtsnationalistische ungarische Ministerpräsident Viktor Orban im Netzwerk X. Orban hält die ungarischen Grenze seit Jahren für mögliche Asylbewerber mehr oder weniger vollständig geschlossen. Er ist mit seiner Fidesz-Partei, Salvinis Lega und andere rechtsextremen Parteien aus Europa in der Fraktion der sogenannten Patrioten im Europäischen Parlament vereint. Am Donnerstag vor dem Urteilsspruch hielten der ungarische Regierungschef und andere Parteiführer der Patrioten aus Solidarität mit Matteo Salvini T-Shirts mit der Aufschrift "Schuldig - wegen der Verteidigung Italiens" in die Kameras von Journalisten. Mitglieder der europäischen Parteien, die die Aufnahme von Asylbewerbern ablehnen, hatten sich in Brüssel zu einer Kundgebung versammelt.
Regierung in Rom kritisiert Richter
Matteo Salvini hatte angekündigt, dass er im Falle einer Verurteilung nicht zurücktreten werde. Er hatte Rückendeckung von Italiens rechtsextremer Ministerpräsidentin Giorgia Meloni. Sie wollte an dem Parteichef der Lega festhalten, mit dem sie zusammen mit den Christdemokraten seit 2022 in einer Koalition regiert. Am Abend beglückwünschte sie Salvini in einer Stellungnahme zum Freispruch: "Das Urteil zeigt, wie unbegründet und surreal die Vorwürfe gegen ihn waren."
Während des Prozesses in Palermo hatten die Lega-Partei und Matteo Salvini der italienischen Justiz vorgeworfen, "links" und "ideologisch" vorzugehen. Regierungschefin Giorgia Meloni kritisierte italienische Richter ebenfalls, weil sie seit Monaten verhindern, dass Asylbewerber aus Italien in ein ausgelagertes Camp in Albanien gebracht werden. Auch der Europäische Gerichtshof in Luxemburg befasst sich mit italienischen Asylzentren im Nicht-EU-Land Albanien. Meloni forderte die Richter auf, in ihrem Sinne zu urteilen.
Verhandlung im Sicherheitsbunker
Giorgia Melonis Regierung verfolgt ein restriktive Migrationspolitik. Die Ministerpräsidentin hatte im Wahlkampf versprochen, die Grenzen Italiens zu schließen. Das hat sie bislang nicht umgesetzt, aber sie hat es Rettungsschiffen von privaten Hilfsorganisationen schwerer gemacht, italienische Häfen anzulaufen. Außerdem werden Schiffe wegen angeblicher administrativer oder technischer Mängel wochenlang festgesetzt.
Die Staatsanwälte, die Matteo Salvini in Palermo angeklagt haben, stehen allesamt unter Polizeischutz. Sie werden nicht nur wegen möglicher Übergriffe von Lega-Anhängern geschützt, sondern weil sie teilweise auch gegen Mafia-Bosse in Sizilien vorgehen. Die Verhandlung gegen Salvini fand in der sogenannten Bunkerhalle statt, einem Gerichtssaal mit höchster Sicherheitsstufe im Pagliarelli-Gefängnis in Palermo. Dort werden normalerweise Mitglieder der Organisierten Kriminalität abgeurteilt. Die Lega-Partei hatte angekündigt, im Falle einer Verurteilung ihres Vorsitzenden Proteste auf den Straßen Italiens zu organisieren.