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Josef Haslinger: Das Vaterspiel

Gerhard W. Appeltauer22. August 2002

Abrechnung mit der Vätergeneration - das wäre ein zu simples Etikett. Wenngleich der Roman den menschheitsalten Konflikt als Erzählmotiv ankündigt. Er trägt aber auch zur Aufarbeitung des 20. Jahrhunderts bei.

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"Abrechnung mit der Vätergeneration - damit wäre Josef Haslingers zweiter großer Roman - nach "Opernball" - fraglos zu simpel etikettiert. Wenngleich sein neu vorliegender Titel, "Das Vaterspiel", den menschheitsalten Konflikt zwischen Patriarchen und Söhnen als ein Erzählmotiv in diesem fast sechshundert Seiten starken Werk ankündigt.

Buchcover Haslinger - Vaterspiel

"Vater-Vernichtungs-Spiel" müsste es dann genauer heißen: Entsprechend dem von der Hauptgestalt, Rupert Kramer, erfundenen Computerprogramm eines - wie man neudeutsch wohl sagt - "Egoshooters". Damit versucht der Held, der sich als Versager fühlt, den Hass auf seinen Erzeuger abzureagieren: Einen sozialdemokratischen österreichischen Spitzenpolitiker - mit Karriere-Zenit etwa in der Kreisky-Ära - der seine Familie wegen einer jüngeren Frau im Stich lässt.

Zwei Handlungsebenen

Zunächst scheinbar zusammenhanglos baut Haslinger daneben eine - Anfang der Vierzigerjahre datierende - weitere Handlungsebene in dem von den Deutschen eroberten Litauen auf. Dort begegnet der Leser dem zweiten Protagonisten der Erzählung: Jonas Shtrom, Sohn eines jüdischen Rechtsanwalts, nach grausiger Ausrottung der Familie deren einziger Überlebender, der nach seiner Emigration in die USA Reporter bei der Washington Post wird.

Durch Zufall erkennt Jonas Shtrom in einem Fernsehbericht seinen als Kaufmann in Chicago - unter Decknamen - lebenden litauischen Schulkollegen Algis Munkaitis, der nach allen verfügbaren Indizien als Partisan in Kaunas an der Ermordung von Shtroms Vater und außerdem an Massenerschießungen im Getto der Stadt beteiligt gewesen sein muss.

Spießigkeit beider Lager

Diese beiden zu einander so kontrastierenden Szenarien führt der Autor mit einer Erzähltechnik zusammen, die an Haslingers - freilich schon vor rund fünfunddreißig Jahren verstorbenen - Landsmann Heimito von Doderer erinnern könnte. Allerdings ist der niederösterreichische Bauernsohn Haslinger damals ganze elf gewesen. Und entsprechend postmodern liest sich die Sprache des heute Fünfundvierzigjährigen. Es ist jene der Gegenwartsgenerationen seit den Sechzigern. Reflektiert deren Lebensgefühl.

Bis hinein in die Tage vor dem soeben stattgefundenen Jahrhundertwechsel, in denen Haslinger - je weiter desto intensiver - sein stilistisches Heimspiel auskostet. Nicht nur zeitgeschichtlich, politisch, sozial, semantisch. Sondern auch mit staunenswert ironischer Selbstkritik, was den eigenen Standort des in der linken Wiener Literatenszene angesiedelten Schriftstellers betrifft. Satirisch brillant stellt er hier - durch Rupert Kramers Familie, die am Ende eine Art Buddenbrook´schen Verfall erfährt - das politisch "rote" Wien dem "schwarzen" Niederösterreich gegenüber, in der ganzen beschaulichen Spießigkeit beider Lager.

Akribische historische Recherche

Doch der besondere Sarkasmus Haslingers, des bekennenden Gegners von Kurt Waldheim und Jörg Haider, gilt den aus dem klassenkämpferischen Austromarxismus der Zwanziger- und Dreißigerjahre wirtschaftswundersam arrivierten, privilegiengeilen, heutigen Edelsozis: Ruperts Vater, aufgestiegen zum sozialistischen Verkehrsminister - mit Dienst-BMW, Chauffeur und Designer-Villa im Wiener Nobelviertel - spielt beim jährlichen SPÖ-Aufmarsch am 1. Mai den Proletarier.

Josef Haslinger
Josef HaslingerBild: picture alliance/dpa

In beiden hier gezeichneten, so ungeheuer gegensätzlichen Welten fällt Haslingers akribische historische Recherche auf. Er verarbeitet authentische geschichtliche Daten und Fakten. Gleichviel ob es sich um den Einmarsch der Roten Armee in Kaunas 1940 handelt, um die deutsche Stadteroberung im Jahr darauf, die Massenmorde des SS-Standartenführers Karl Jäger - oder, auf dem gewissermaßen anderen Stern, Jahrzehnte später, um den vergleichsweise grenzenlos läppischen Streit zwischen österreichischen Autobahnbefürwortern und Öko-Aktivisten.

Dramatischer Gewissenskonflikt

Erfunden - wie frei aus der Phantasie eigentlich, dies ließe sich nur bei Kenntnis von Haslingers Basismaterial zu diesem Roman beantworten - aber sagen wir: erfunden ist allenfalls der Erzählverlauf. Er führt eine amerikanische Nichte des in die USA gelangten litauischen Judenmörders Munkaitis mit dem frustrierten Ministersohn Rupert Kramer zusammen.

In der Universität Wien, natürlich. Erst lange nach diesem - eher platonischen - Techtelmechtel meldet sie sich plötzlich aus New York und bittet ihn, den handwerklich Begabten, ihr beim Umbau einer Wohnung auf Long Island zu helfen. Dort wird Rupert nur schrittweise klar, dass er für den Großonkel seiner Bekannten, den Kriegsverbrecher Algis Munkaitis - inzwischen todkranker Greis - ein Versteck vor der Justiz zimmern soll.

Gesellschaftliche Diagnosen

Zeitgleich mit diesem dramatischen Gewissenskonflikt kann Rupert in New York sein "Vatervernichtungsspiel" über eine Online-Firma mit Riesengewinn vermarkten. Ein Triumph über den verhassten Tyrann daheim, der ihm stets Untauglichkeit vorgeworfen hat. Bei Ruperts Rückkehr nach Wien - zu Weihnachten 1999 - wird er mit dem Selbstmord des Vaters konfrontiert. Der Grund: Bisher vertuschter Bankrott.

Dieser Roman sprengt in einer Fülle von gesellschaftlichen Diagnosen die bloße Vater-Sohn-Schablone. Josef Haslinger fordert zum Nachdenken über moralische Messlatten heraus. Weil menschliches Handeln eben nicht so eindimensional verläuft, dass es sich durch dogmatische Urteile erfassen ließe. "Vaterspiel" stiftet einen glaubwürdigen Beitrag zur zeitgeschichtlichen, sozialen und psychologischen Aufarbeitung des zwanzigsten Jahrhunderts. Daneben bilden die professionell gebauten Spannungsmomente, die bravourösen Realsatiren, die sprachlichen und szenischen Provokationen des konservativen Bildungsbürgertums eine weidlich unterhaltende Draufgabe.


Josef Haslinger
Das Vaterspiel
Fischer, 2000
ISBN 3100300548
EUR 23.00