Kampf gegen Blindgänger
15. August 2018Die Sommerhitze ist noch nicht überstanden. In einigen Teilen Deutschlands wird es nach einer kurzen Atempause wieder über 30 Grad heiß. Nach wochenlanger Trockenheit stieg zuletzt die Waldbrandgefahr stark an - und damit auch das Risiko, dass alte Munition, die seit dem Zweiten Weltkrieg im Boden steckt, explodiert.
"Die größten Gefahren gehen von der Munition aus, die recht oberflächennah liegt. Das ist meist Artilleriemunition, die etwa in einer Tiefe von 30 bis 40 Zentimetern liegt", erklärt Jürgen Plum, Geschäftsführer des Unternehmens P+H Röhll NRW, das alte Munition beseitigt, der DW. "Bei einem Waldbrand ist sie sehr großer Hitze ausgesetzt."
Größere Blindgänger wie Fliegerbomben, die zwischen 300 und 1000 Kilogramm wiegen, können durch Waldbrände glücklicherweise nicht so leicht zur Explosion gebracht werden, weil sie meist "in Tiefen von zwischen zwei bis zu sechs Metern" stecken, sagt Plum. Und so tief in den Boden reicht die Hitze nicht, die sich bei Feuern entwickelt.
Wenn sie nicht in einem Waldstück, sondern in einem Wohngebiet oder einer Baustelle liegen, stellen die nicht explodierten Bomben aus dem Zweiten Weltkrieg trotzdem ein großes Risiko dar. Hunderttausende von ihnen stecken in ganz Deutschland noch in der Erde, schätzen Experten. Hauptsächlich betroffen sind größere Städte und Gebiete, in denen sich früher wichtige militärische Einrichtungen befanden. Aber auch unter kleinen Ortschaften und Wäldern können Bomben liegen, wenn es zu Notabwürfen durch die Alliierten kam.
Gezielte Suche oder zufällige Entdeckung
Über Baden-Württemberg wurden während des Zweiten Weltkriegs rund 87.000 Tonnen Bomben abgeworfen, sagt Joachim Leippert vom Kampfmittelbeseitigungsdienst des Bundeslandes. Insgesamt gingen über Deutschland während des Krieges etwa zwei Millionen Tonnen Bomben nieder. Bei einer Blindgängerrate von 8 bis 15 Prozent, so Leippert, sei es kein Wunder, dass immer noch so viele in der Erde steckten.
"In Baden-Württemberg werden jährlich zwischen 18 und 25 Sprengbomben gefunden und von uns beseitigt", sagt Leippert. "Und mindestens einmal im Jahr kommt es in Deutschland zu einer Selbstdetonation" - also zur Explosion einer alten Bombe, von der niemand wusste.
Die Sprengkörper werden zum Teil zufällig bei Bauarbeiten entdeckt. Wenn ein Bauprojekt ansteht, wird aber auch mithilfe von Luftbildern und computergestützten Sonden gezielt nach ihnen gesucht. Wird eine Bombe gefunden, ist die Stunde des Kampfmittelbeseitigungsdienstes gekommen.
Zur Sicherheit in die Turnhalle
Vor einer Entschärfung muss erst die Bevölkerung in Sicherheit gebracht werden. Dafür ist in Deutschland die Polizei vor Ort zuständig. Den Evakuierungsradius legen aber die Sprengstoffexperten fest. "Je größer die Bombe, desto größer wäre auch der Rahmen der Evakuierung", sagt Leippert.
Wie lange die Evakuierung dauert, kommt darauf an, wo die Bombe gefunden wird. In einem Stadtviertel, wo Tausende Menschen betroffen sind, dauert es natürlich länger als in einem Landstück, wo nur einige Landwirte leben.
"Außerdem kommt es darauf an, ob die Leute überrascht werden", erklärt Leippert. Wenn die Polizei eine Evakuierung vorbereiten kann, weil nach einer Luftbildauswertung Bombenverdacht besteht, geht es schneller, als wenn plötzlich Anwohner evakuiert werden müssen, weil ein Bagger bei Bauarbeiten einen Sprengkörper ausgräbt.
Bei der Entschärfung einer "Standardbombe" müssen die Menschen, wenn alles glatt geht, ihre Häuser nur für rund eine Stunde verlassen, sagt Leippert. In dieser Zeit werden sie häufig in Turnhallen untergebracht, wo auch für Verpflegung gesorgt wird.
Zünder entfernen, Bombe zersägen, anzünden
Ist die Bevölkerung in sicherer Entfernung, begeben sich die Sprengstoffexperten an die Arbeit. "Die Bombe wird durch die Unterbrechung der Zündkette entschärft", erklärt Leippert. "Eine Standardbezündung hat einen Kopfzünder und einen Heckzünder. Die werden von der Bombe entfernt, so dass sie transportfähig ist."
Dann bringen Leippert und seine Kollegen die Bombe in den Bunker des Kampfmittelbeseitigungsdienstes. Dort wird sie in Scheiben zersägt und angezündet. Der Sprengstoff brennt ohne gefährliche Explosionen ab, übrig bleiben nur die äußeren Metallringe der Bombe.
So läuft es im Idealfall. Wenn aber etwas schiefgeht, kann es zur Tragödie kommen. Leippert erzählt von einem Fall in Niedersachsen, bei dem 2010 drei Menschen bei der Vorbereitung zur Entschärfung einer Fliegerbombe starben. Je älter Sprengkörper sind, desto unberechenbarer werden sie, weil das Verfallsdatum des Sprengstoffs mehr als 70 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg längst abgelaufen ist. Außerdem haben sich in den Jahrzehnten, in denen die Bombe im Boden steckte, möglicherweise gefährliche chemische Verbindungen am Zünder gebildet.
Ein riskanter Job also, den Joachim Leippert da hat. Er selbst sieht es aber gelassen. "Ja, der Beruf ist nicht ungefährlich", sagt Leippert. "Aber wir sind alle viel im Straßenverkehr unterwegs, da geht es auch schlimm zu manchmal."