Karl Mays Balkanbild
29. März 2012In den gefährlichen Schluchten des Balkans locken kaltblütige Mörder in dunkle Hinterhalte. Das Gute, in der Gestalt von Kara Ben Nemsi und seinen Gefährten, hat schwierige Prüfungen zu bestehen, aber am Ende siegt es über die verbrecherischen Banden. Das ist der Handlungsrahmen der Karl May Geschichten, die mit scheinbar balkantypischen Zutaten wie Rache, Mord und Hass, speziell für den deutschen Leser zubereitet wurden. So wurde eine Welt voller Abenteuer beschrieben, die für viele Generationen von Lesern ein Lesevergnügen war - und es auch heute noch ist.
Der Schriftsteller selbst wäre bestimmt verblüfft, würde er erfahren in welch hohem Ausmaß seine Balkanbücher – so etwa "In den Schluchten des Balkans", "Durch das Land der Skipetaren" oder "Der Schut" - das Balkanbild in Deutschland geprägt haben. Denn die Halbinsel, damals noch unter der Obrigkeit der "Hohen Pforte" (ein Synonym für das damalige Osmanische Reich) war nicht sein großes Thema, verglichen mit seinem Interesse für Nordamerika, oder für den nordafrikanischen Teil des Osmanischen Reiches.
Kein Platz für politische Themen
Der Balkan kommt im üppigen Mayschen Werk nur als Teil eines sechsbändigen Orientromans vor. Dennoch enfalteten Karl Mays Geschichten eine außergewöhnliche Wirkung, die ihresgleichen sucht in der deutschsprachigen Literatur. Peter Brenner von der Technischen Universität München erklärt, warum Karl May, der so wenig über den Balkan wusste, so stark das Balkanbild prägte. "Er war ein fantastischer Erzähler, er hat uns das alles sehr plausibel machen können. Gleichzeitig war er ein sehr raffinierter Schriftsteller. Er hat bestimmte Stereotypen aufgegriffen, die schon länger Bestand hatten, die teilweise noch aus dem 18. Jahrhundert stammten und die genau dem entsprachen, was man eigentlich beim Publikum erwartet hatte. Er hat ja die Erwartungshaltung gestärkt, über den Orient, über den Balkan, dadurch hat er die Resonanz gefunden."
Als Karl May seine Balkanbücher Ende des 19. Jahrhunderts schrieb, befand sich die Region in Aufruhr. Verschiedene Balkanvölker führten einen erbitterten Befreiungskampf gegen die Osmanen. Den Niedergang des Osmanischen Reiches thematisierte der Schriftsteller zwar in seinen Büchern, dem politischen Aspekt schenkte er aber wenig Beachtung. "Es ist charakteristisch für May, dass er durchaus wahrnimmt, dass es Unabhängigkeitsbewegungen in den einzelnen Balkanländern gegeben hat, aber für ihn sind das alles nur Räuberbanden. Er kann diese nationalen Bewegungen nicht ernst nehmen", stellt Peter Brenner fest.
Nie auf dem Balkan gewesen
Ruhte diese Haltung auf seiner alten Liebe zum Osmanischen Reich? Oder wollte der Schriftsteller seine Balkan Sujets, die gut in die vorhandenen Balkanmuster passten, nicht durch Freiheitskämpfergeschichten ersetzen? Die umfangreiche Karl May Forschung hat diese Fragen nicht endgültig beantwortet. Einig ist man sich aber darüber, dass der Erzähler über den Balkan nicht besonders gut informiert war. Selber dort gewesen ist er nie.
So unterliefen ihm verschiedene Fehler. In dem Roman "Durch das Land der Skipetaren" hält er die serbische und die albanische Sprache für eine Sprache. Und auch Ortsnamen oder geographische Angaben seiner Balkanromane sind zum Teil falsch.
Trotzdem hatte er großen Einfluss auf die Nachwelt, sagt der Historiker und Albanienkenner Michael Schmidt-Neke. "Er war unglaublich prägend. Allein schon der Buchtitel 'Durch das Land der Skipetaren' - wie oft sich diese Formulierung in Literatur und Filmen wiederfindet. May hat das Wort 'Skipetaren' in Deutschland ja erst bekannt gemacht", so Schmidt-Neske.
Beflügelte Phantasie junger Menschen
Dennoch war nicht alles was Karl May über den Balkan geschrieben hat völlig aus der Luft gegriffen. So entsprach seine Kritik an der Korruption der osmanischen Beamten den tatsächlichen Verhältnissen. Dem Elend der osmanischen Behörden auf dem Balkan hat er kompromisslos einen Denkzettel verpasst.
Karl Mays Balkanbücher wurden aber nicht wegen seiner völkerkundlichen Kenntnisse so gern gelesen, sondern weil sie den Erwartungen an eine spannende Lektüre entsprachen. Er beflügelte die Phantasie insbesondere vieler Jugendlichen die zu seinen treuesten Lesern gehörten. Und böse Absichten hatte er wohl kaum. Davon war er jedenfalls selbst überzeugt, denn am Ende eines Lebens das genauso spannend war wie seine Literatur, sagte er: "Mein Wollen ist gut und rein gewesen."