Tibet, China und der Dalai Lama
6. März 2009Die tibetische Hauptstadt Lhasa vor einem Jahr, am 14. März 2008: Seit Tagen schon demonstrieren in verschiedenen Teilen Tibets die Menschen gegen die chinesische Herrschaft. Jetzt bricht sich der Unmut der Tibeter auch in Lhasa Bahn – zum Teil gewaltsam. Es sind die größten Proteste seit der Flucht des Dalai Lama 1959. Und es geschieht, was die chinesische Regierung seit Jahrzehnten zu verhindern sucht: Erneut rückt Tibet, rückt die chinesische Herrschaft über das Dach der Welt in den Blickpunkt der Weltöffentlichkeit. Den Demonstrationen in Tibet folgen Proteste in aller Welt. Zum Ärger der Chinesen werfen sie auch einen unübersehbaren Schatten auf die olympischen Spiele. Der Fackellauf etwa war von Peking geplant als internationaler Triumphzug. Er fand schließlich hinter Zäunen und unter Polizeischutz statt.
Keine Bereitschaft zu echtem Dialog mit Exiltibetern
Unter dem Druck der Weltöffentlichkeit erklärt sich China zum Dialog mit Vertretern des Dalai Lama bereit. Auf tibetischer Seite hat Kelsang Gyaltsen an diesem Dialog teilgenommen. Das Urteil des Vertreters des Dalai Lama in Europa über die Gespräche mit Peking fällt vernichtend aus: Gyaltsen bezeichnet im Gespräch mit der DW das Dialogangebot Pekings als Scheinangebot.
Gyaltsen berichtet, dass die chinesische Regierung seit acht Jahren in allen Gesprächen darauf beharre, daß der Dalai Lama nicht im Namen des tibetischen Volkes sprechen könne. Und seine Vertreter dürften nicht über die Situation in Tibet sprechen. Aus Pekinger Sicht solle nur über die persönliche Zukunft des Dalai Lama und einer handvoll hochrangiger Exiltibeter gesprochen werden.
Dalai Lama fürchtet Auslöschung der tibetischen Kultur
Seit seiner Flucht aus Tibet im März 1959 muss der Dalai Lama im Exil leben. Von der Forderung nach einer Unabhängigkeit Tibets ist er abgerückt, fordert aber auf zahllosen Veranstaltungen weltweit immer wieder eine echte Autonomie der Tibeter. Vor allem sorgt er dafür, dass die Tibet-Frage nicht in Vergessenheit gerät. Zuletzt in Deutschland Anfang Februar. Damals erhielt er in Baden-Baden den deutschen Medienpreis. Und warnte erneut vor der Auslöschung der tibetischen Kultur. Peking vermute offenbar in der tibetischen Religion und in Tibets kulturellem Erbe eine zentrale Quelle des Separatismus, stellt er fest. Und niemand steht wie der Dalai Lama selbst für tibetische Kultur und Religiosität. „Die Vorstellung, man würde den Dalai Lama nach Tibet einladen, würde – glaube ich – alle Sicherheitskräfte in China mit blankem Entsetzen erfüllen", glaubt auch der deutsche China-Experte Eberhard Sandschneider. "In Anbetracht der Begeisterung, die dieser Mann schon im Exil auf sich zieht, kann man sich in etwa vorstellen, was passieren würde, wenn er durch die Straßen von Lhasa ziehen könnte." Zur Zeit scheint Peking in Tibet für eine Zeit nach dem Dalai Lama zu planen - er ist schon 73.