Ukraine sucht neuen Regierungschef
23. Februar 2014Der Sonntag in Kiew begann ruhig, wie Nachrichtenagenturen und Korrespondeten aus der ukrainischen Hauptstadt berichten. Am Abend hatten mehr als 100.000 Menschen der aus der Haft entlassenen Oppositionsführerin Julia Timoschenko zugejubelt. Nun bewachte die Opposition mit Patrouillen die Barrikaden am zentralen Unabhängigkeitsplatz - dem Maidan. Timoschenko war am Nachmittag nach zweieinhalb Jahren Haft freigelassen worden und wurde wegen ihrer Rückenbeschwerden in einem Rollstuhl auf die Bühne geschoben. Sie appellierte an das Volk, im Kampf um die Freiheit nicht nachzulassen. Erst Neuwahlen, die für den 25. Mai angesetzt sind, könnten den Machtwechsel abschließen.
Das Parlament will Agenturberichten zufolge noch an diesem Sonntag einen neuen Regierungschef bestimmen. Julia Timoschenko, die dieses Amt schon einmal innehatte, dürfte antreten. Auch ihr Parteigenosse Arseni Jazenjuk stehe zur Wahl, sagte Nikolai Tomenko von Timoschenkos Partei örtlichen Medien zufolge.
Dritter prominenter Kandidat ist der Unternehmer Pjotr Poroschenko.
"Glaubt ihm kein Wort"
"Verlasst den Maidan nicht, solange Ihr nicht erreicht habt, was Ihr wolltet", rief Timoschenko am Abend auf dem Unabhängigkeitsplatz. "Wenn euch jemand sagt, dass es zu Ende ist und Ihr nach Hause gehen könnt, glaubt ihm kein Wort", so Timoschenko weiter. An die Demonstranten gerichtet fügte die 53-Jährige hinzu: "Ihr seid Helden, Ihr seid die Besten der Ukraine!"
Der ukrainische Grenzschutz hat nach eigenen Angaben unterdessen ein Flugzeug mit dem bisherigen Präsidenten Viktor Janukowitsch kurz vor dem Abflug gestoppt. Janukowitsch habe - begleitet von bewaffneten Sicherheitsleuten - ohne die übliche Grenzabfertigung von der Stadt Donezk aus fortfliegen wollen. Das sagte der Sprecher des Grenzschutzes, Sergej Astachow, der Agentur Interfax zufolge. Unklar ist, wohin der Staatschef reisen wollte. Janukowitsch sei letztlich aus dem Flugzeug ausgestiegen und habe den Ort in einer gepanzerten Limousine verlassen.
Am Samstag war Janukowitsch zunehmend die Macht entglitten. Das Parlament setzte ihn ab. Der moskautreue Politiker sprach im Fernsehen von einem Staatsstreich, er werde nicht zurücktreten und vorläufig im Osten des Landes bleiben.
Bei den tagelangen Straßenkäpfen in der Hauptstadt Kiew waren mindestens 77 Menschen ums Leben gekommen. Beobachter halten nun eine Spaltung des Landes für ein mögliches Szenario.
ml/pg (dpa,rtr,afp,ap)