"Klar, klug, mutig" - und dann?
20. September 2016Ist jetzt alles anders? Bundeskanzlerin Angela Merkel äußerte sich – als CDU-Vorsitzende - am Montag nach dem routinegemäßen Spitzentreffen ihrer Partei. Doch sie sprach anders als je zuvor bei einem solchen Anlass. Sie wollte Gefühl zeigen, zurückrudern, Versäumnisse eingestehen, Verantwortung übernehmen, Signale setzen. Journalisten und viele in den Unionsparteien horchten auf, hörten eine andere Merkel. Und jetzt?
Dienstagfrüh trifft der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Michael Grosse-Brömer, Journalisten, um ihnen Tagesordnungen und auch Stimmungen zur parlamentarischen Arbeit zu erörtern. Das ist Teil seines Jobs. Es ist immer auch eine Performance von Faktenzauber und Ablenkungsmanövern. Heute spricht Grosse-Brömer ernsthaft über "schöne Erfolge" der CDU im niedersächsischen Kommunalwahlkampf. Seine Heimat.
Pfeifen im Wald
Dann kommt Grosse-Brömer endlich auf die "sehr bemerkenswerte und, wie ich finde, gute Rede der Kanzlerin". Der Wunsch bestehe in beiden Parteien, CDU und CSU, sich zu einigen auf Grundlagen für "künftige Erfolge". Wie diese Einigung konkreter aussehen wird, dazu sagt der CDU-Politiker eigentlich wenig. Viel sei schon geschehen, das werde oft übersehen. Aber sein Optimismus klingt dann doch manchmal wie das Pfeifen im nächtlichen Walde. Und man muss optimistisch sein in diesem Amt. Dann die Frage, ob Merkel wohl 2017 wieder antreten werde oder solle als Kanzlerkandidatin der Union… "Wenn es so weit ist, wird sie das Notwendige dazu sagen."
Eine Stunde später der gleiche Rahmen und eine andere Akteurin, die Vorsitzende der CSU-Landesgruppe, Gerda Hasselfeldt. Die erfahrene Parlamentarierin kommt bald auf den symbolischen Knackpunkt des Streits der Unionsparteien, zwischen Horst Seehofer und Angela Merkel, die Frage einer "Obergrenze" bei der Aufnahme von Flüchtlingen, einer Zahl von 200.000. "Mir liegt nicht an dem Begriff", sagt sie, "aber es gibt eine natürliche Grenze" bei der Integrationskraft. Hasselfeldt spricht von "Richtgröße", von "Orientierungsgröße", und sagt auch, dass die Politik "nicht auf jeden Fall 200.000 aufnehmen" wolle. Erst später sagt sie dann, dass die Rede Merkels "selbstkritisch und wohltuend" gewirkt habe, "die richtige Sprache, der richtige Inhalt". Und die Frage der Kanzlerkandidatur? "….ist in erster Linie ihre Entscheidung". Es "würde manche Diskussion erleichtern, wenn sie diese Entscheidung nicht auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschieben würde".
Ein Haus in München?
Neben den Stimmen im realen politischen Berlin sind da am Dienstagmorgen Beiträge gewichtiger CDU-Granden. Früh kommt da eine Äußerung der saarländischen CDU-Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer. Sie, so heißt es in der "Saarbrücker Zeitung", fordere "ein klares Signal" von Merkel, ob sie erneut als Kanzlerkandidatin antrete. Aber wenn man um ihre Verbundenheit zu Merkel weiß, kann man statt des "Fordern" auch ein strategisches "Ermuntern" lesen. Ein weiteres Stück CDU-Stimmung steckte in einem Tweet eines kundigen Journalisten der "Bild"-Zeitung: "Bouffier im CDU-Präsidium: Falls CSU weiter attackiert, sollten wir anfangen, in München nach Immobilie für CDU-Landesverband zu schauen…", heißt es da. Das klingt so, als ob einer ihrer Stellvertreter, der gewichtigste Konservative in diesem Fünferkreis, der in Hessen überraschend geräuschlos eine schwarz-grüne Koalition führt, seiner Chefin auf eigene Art den Rücken gegen die CSU-Einwürfe stärkte.
So wirkt es bei vielen in der CDU, mit denen man an diesem Dienstag spricht. Sie hörten Merkel, und sie hörten sie gerne. Und dann schauen sie nach Süden und warten auf die nächste Attacke. Und wenn die Rede vom selbstkritischen und doch souveränen Auftritt der Parteivorsitzenden auf die – eigentlich naheliegende - Frage einer weiteren Kanzlerkandidatur Merkels kommt, werden alle schmallippig. "Die Botschaft der Kanzlerin war gestern klar und richtig", sagt Fraktionschef Volker Kauder (CDU), einer der innigen Merkel-Versteher, auf die Frage nach der Kandidatur und geht noch im letzten dieser Worte stapfend davon.
Gemeinsam
Vielleicht gibt es ja einfach einen offiziellen Zeitrahmen. Anfang September in Potsdam hatte der Fraktionsvorstand sechs gemeinsame "Deutschlandkongresse" von CDU und CSU beschlossen. An diesem Samstag geht es in Würzburg los, am Montag in Hamburg weiter. "Gemeinsam", das ist gewiss das wichtigste Wort dabei. Dann folgt Anfang November der CSU-Parteitag in München. Einen Monat später der CDU-Bundesparteitag in Essen. Dann spätestens, so hoffen viele, möge sich Merkel erklären.
Am Dienstagnachmittag ist Merkel in der Unionsfraktion. Demonstrativ aufgeräumt plaudert sie vor Beginn mit ihrem Finanzminister Wolfgang Schäuble. Gut eine Stunde dauert die Sitzung. Merkel, berichten Teilnehmer, bekräftigt da in kürzerer Rede ihre Erklärung von Montag und fordert weitere Arbeit an gemeinsamen Lösungen ein. Der nächste Wahlsieg sei längst noch nicht gesichert. Natürlich sagt sie nichts zur Kandidatur. Es fragt auch niemand.
Die CSU grummelt
Was so auffällt an den Schilderungen aus der Sitzung: Kein einziger der CSU-Parlamentarier, so heißt es, ergreift in der Aussprache das Wort. Wenn es Kritik von CDU-Leuten an mangelnder Geschlossenheit der bayerischen Kollegen gibt, grummelt es da nur ein wenig. Und auch Jens Spahn, der zuletzt medial zum Seehofer-Versteher im CDU-Lager avancierte, bekommt unter Applaus seine Kritik ab. Er setze den Zusammenhalt der Union aufs Spiel.
Das prominenteste Wort kommt wohl von Thomas de Maizière. Der Bundesinnenminister nennt Merkels Rede klug, angemessen, mutig. Super, sagt ein anderer und fügt kritisch hinzu: Besser spät als nie. Warum Merkel sich nicht schon vor den Landtagswahlen im Frühjahr so geäußert habe…? Sie erwidert nichts. Und doch. Sehr arbeitsam, konstruktiv, so schildern Teilnehmer die Sitzung. Es ging Merkel am Montag ja auch um Gefühle. Gefühle der Abgeordneten scheint sie erreicht zu haben.
Warten, das tun sie doch irgendwie alle. Auf die Ankündigung Merkels, ob oder ob nicht.