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Politik

Klimaschutz-Rebellion trotz Corona

11. Juni 2020

Sie sehen sich als Umweltschutz-Rebellen. Provokante Aktionen sind das Markenzeichen von Extinction Rebellion. Jetzt haben neue Aktionen der Bewegung begonnen - obwohl die Pandemie Deutschland noch in Atem hält.

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Deutschland Berlin | Aktion Extinction Rebellion | Spree gefärbt
Grün eingefärbt: Die Spree im Berliner RegierungsviertelBild: Getty Images/AFP/T. Schwarz

Radikal, spektakulär, umstritten: Wenn es um den Klimaschutz geht, testet Extinction Rebellion (XR) immer wieder gezielt Grenzen aus - des guten Geschmacks und des Gesetzes. In Großstädten legten sie den Verkehr lahm, stürmten halbnackt das britische Parlament oder veranstalteten Trauermärsche, bei denen die Erde symbolhaft zu Grabe getragen wurde. Die Schlagzeilen waren den Umweltschutz-Rebellen stets sicher. Aber auch hunderte Festnahmen wie bei ihren weltweiten Protesten im Oktober vergangenen Jahres.

Aktionen gegen Ministerien und Lobbyisten

Nun haben sie wieder "Aktionen des zivilen Ungehorsams" gestartet, wie sie Extinction Rebellion nennt. In Berlin färbte die Bewegung bereits die Spree grün ein. Für den Zeitraum vom 12. bis 21. Juni hat die Bewegung unter dem Hashtag #WeiterSoWarGestern weitere Aktionen für ganz Deutschland organisiert. Sie richten sich gegen die Bundesregierung, Ministerien, Lobbybüros und Unternehmen, die aus Sicht der Aktivisten den Umweltschutz ausbremsen und eine klimafeindliche Wirtschaftspolitik verantworten. "Wir blockieren die Blockierer", kündigt die Sprecherin von XR-Deutschland, Annemarie Botzki, im Gespräch mit der DW an.

Großbritannien - Aktivisten der "Extinction Rebellion" im Parlament
Haut zeigen für den Umweltschutz: XR-Aktivisten im britischen Parlament (April 2019)Bild: Reuters/EXTINCTION REBELLION

Viele unangemeldete Veranstaltungen

Erwartungsgemäß deckt Extinction Rebellion (deutsch: Rebellion gegen das Aussterben) die Karten ihrer konkreten Vorhaben wegen des Überraschungseffektes nicht ganz auf. In Berlin soll unter anderem eine Klima-Sonderausstellung mit Lösungsansätzen für den Umweltschutz präsentiert werden. "Aber es gibt viele, auch nicht angemeldete Veranstaltungen des zivilen Ungehorsams, die ich nicht vorstellen kann", sagt XR-Sprecherin Botzki.Wegen des Infektionsrisikos durch die Pandemie soll es keine zentrale Kundgebung geben, sondern "dezentrale und digitale Aktionen" unter anderem in Berlin, Dresden, Hamburg, Köln sowie Essen und im Internet.

Klimaprotest Extinction Rebellion in London: Ein Modellhaus schwimmt in der Londoner Themse
Ein Modellhaus, das in der Londoner Themse absäuft - damit machten Extinction Rebellion 2019 auf die Überschwemmungen durch den steigenden Meeresspiegel aufmerksamBild: Imago Images/Zuma Press

Dort sind beispielsweise Social-Media-Kampagnen und Faktenchecks von PR-Maßnahmen vorgesehen, mit denen sich Firmen fälschlicherweise ein "grünes Image" verpassen wollen – dem sogenannten Greenwashing.

Berlin | Pressekonferenz: Extinction Rebellion
Die Aktivisten von Extinction Rebellion, Annemarie Botzki (li nach re), Friederike Schmitz und Tino Pfaff, stellen auf einer Pressekonferenz einige geplante Aktionen vor Bild: picture-alliance/dpa/J. Carstensen

Mit Blick auf die Demonstrationen von Fridays-For-Future sagt Botzki: "Wir steuern auf Klima-Kippunkte zu, also Entwicklungen, die man dann nicht mehr rückgängig machen kann. Da reichen die Demos auch nicht mehr aus, die jetzt seit knapp anderthalb Jahren laufen. Wir brauchen mehr. Deswegen machen wir den zivilen Ungehorsam."

Zunehmende Kritik an Provokationen

Doch der Gegenwind nimmt zu. Wegen des Krawall-Images von Extinction Rebellion sehen sich ihre Unterstützer zunehmend mit der Frage konfrontiert, wie weit Protest gehen darf. Fridays for Future beweist, dass es auch ohne Provokationen geht. Die Schülerbewegung mobilisierte bei ihren Veranstaltungen zudem mehr Menschen als die anarchistisch anmutende XR-Erwachsenengeneration.

Zwar lehnt Extinction Rebellion in seinen öffentlich Stellungnahmen Gewalt kategorisch ab und spricht von ungefährlichen Aktionen. Doch was heißt das genau? Gilt das unter anderem auch für die umstrittenen Straßen- und Verkehrsblockaden in Großstädten mit all ihren Auswirkungen bis hin zu Polizei-Einsätzen? Zweifel sind angebracht, finden Kritiker. Zu den schärfsten Gegnern der jungen Bewegung in Deutschland zählt die Sozialwissenschaftlerin und frühere Spitzenpolitikerin der Grünen, Jutta Ditfurth. "Hierarchie, Intransparenz, Gurus und esoterische Ideologie satt“, sagte sie mal in einem Zeitungsinterview über Extinction Rebellion. Die Buchautorin, die dem linken Flügel der Grünen angehörte, verglich die Bewegung mit einer "Weltuntergangssekte“.

Éin Mann wird von zwei Polizisten weggetragen
In Den Haag führen Polizisten einen Demonstranten vor der Shell-Hauptverwaltung abBild: Getty Images/AFP/ANP/R. Utrecht

Aufregung um Mitbegründer Hallam

Mit der Kritik konfrontiert betont Botzki, man sei gewaltfrei in Sprache und Aktionen. Als soziale Bewegung sei man sich bewusst, "dass wir den Status Quo kritisieren oder Forderungen an die Regierung stellen und dass sich vielleicht ein System dagegen wehrt." Unter Druck geraten ist die Organisation aber ausgerechnet auch wegen ihres Mitbegründers Roger Hallam. Der Brite bezeichnete den Holocaust im November 2019 als nur einen weiteren "historischen Scheiß". Genozide habe es schließlich in den vergangenen 500 Jahren immer wieder gegeben. Extinction Rebellion Deutschland distanzierte sich auf Twitter öffentlich von Hallam.

Roger Hallam im Gespräch
Roger Hallam sorgte für Negativ-SchlagzeilenBild: Imago-Images/ZUMA Press/A. Pantoja

Verantwortung als reichen Industrieland

Trotz des Entrüstungssturms nach dieser rechtspopulistischen einzuschätzenden Aussage bleibt Extinction Rebellion offenbar auf Expansionskurs. Die 2018 in Großbritannien gegründete Bewegung zählt laut eigenen Angaben etwa 140 Ortsgruppen in Deutschland mit rund 20.000 Mitgliedern. Weltweit soll XR in 73 Ländern auf sechs Kontinenten aktiv und auf mehr als 200.000 Aktivisten angewachsen sein. Zulauf gibt es vor allem im globalen Süden und in Indien.

In Deutschland wolle man auch Botschaften von Aktivisten zeigen, die in ihren Heimatländern nur eingeschränkt protestieren können, erklärt Sprecherin Annemarie Botzki. "Wir versuchen, unsere Privilegien zu nutzen. Wir können hier frei protestieren und haben als reiches Industrieland eine Verantwortung dafür." In den kommenden Tagen muss Extinction Rebellion angesichts der Kritik allerdings wohl auch beweisen, dass sie die eigene Verantwortung ernst nimmt. Dass sie friedlich demonstriert und den Protestbogen nicht überspannt.

Ralf Bosen, Redakteur
Ralf Bosen Autor und Redakteur