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PolitikNahost

Klimawandel in Nahost: Wenn das Wasser knapp wird

19. Januar 2022

Im Nahen Osten droht absehbar erheblicher Wassermangel. Das könnte enorme soziale und politische Auswirkungen haben. Einige Entwicklungen seien unaufhaltsam, so eine Studie. Andere ließen sich hingegen noch eindämmen.

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Wassermangel Syrien
Wassermangel in der syrischen Provinz Idlib im Sommer 2021Bild: ABDULAZIZ KETAZ/AFP/Getty Images

Der Sommer 2021 war im Nahen Osten so heiß wie kaum einer zuvor: Das Thermometer kletterte auf beinahe 50 Grad Celsius, das waren fast sieben Grad mehr als zu dieser Jahreszeit üblich. Hitze und Wind entfachten mehrere Waldbrände, insbesondere in Algerien, wo 65 Menschen durch die Feuer starben.

Vieles deutet darauf hin, dass der glühende Sommer 2021 kein einmaliger Ausreißer war. Im Gegenteil: Einer Analyse des European Union Institute for Security Studies (EUISS) zufolge dürften die Sommermonate künftig noch heißer und trockener werden als bislang schon. Die Arab Climate Futures, so der Name der auf zahlreichen klimawissenschaftlichen Untersuchungen beruhende Studie, zeichnen ein klimatisch bedrückendes Zukunftsbild des sich von Marokko bis zum Oman spannenden Staatenbogens, der bereits jetzt mit erheblichen Umweltproblemen zu kämpfen hat und von deren Auswirkungen härter betroffen sein wird als jede andere Weltregion.

Dabei teilt die zu über vier Fünftel aus Wüsten oder wüstenähnlichen Gebieten bestehende Region das Schicksal vieler anderer weniger hoch entwickelter Länder: Sie hat zwar wenig - seit dem Jahr 1850 gerade einmal drei Prozent - zum globalen CO-2-Ausstoß beigetragen, bekommt dessen Auswirkungen aber besonders hart zu spüren.

Wassermangel Irak
Trockene Hitze und kein Tropfen Wasser: Der Zawita-Damm im Nordirak im Sommer 2021Bild: ISMAEL ADNAN/AFP/Getty Images

So werden die prognostizierten durchschnittlichen Temperaturanstiege für die MENA-Länder in den Jahren 2040 bis 2059 2,0 bis 2,7 Grad betragen. In einzelnen Gebieten dieser Länder kann es sogar bis zu 3,3 Grad heißer werden.

Keine zwangsläufige Entwicklung

Zwangsläufig sei diese Entwicklung aber nicht, sagt Florence Gaub, stellvertretende Direktorin des EUISS und eine der beiden Autorinnen der Studie. Einige Trends seien abwendbar, andere hingegen ließen sich kaum noch vermeiden. "Ein Land wie Ägypten etwa steht unmittelbar an einem Scheideweg. Wie sich der Klimawandel auswirkt, hängt sehr stark davon ab, was die Regierung jetzt tut", so Gaub im DW-Interview. Laufe es gut, würden dort 20 bis 40 Prozent weniger Niederschlag fallen. Das könne das Land noch verkraften. Im ungünstigsten Fall könnten es aber bis zu 60 Prozent sein.

Irak: Dem Land geht das Wasser aus

In anderen Ländern hingegen ließen sich diese Trends nicht mehr aufhalten. "Wir wissen auf jeden Fall jetzt schon, dass es etwa in Tunesien auch ohne Klimawandel im Jahr 2030 nicht mehr genug Wasser geben wird, um die Bevölkerung ausreichend zu versorgen."

Diese Entwicklung hänge aber nicht nur mit dem Klimawandel, sondern auch mit dem Bevölkerungszuwachs zusammen. Hinzu komme: "Die Länder der Region sind überwiegend schlecht darin, Abwasser wieder zu verwerten. Es wird sehr viel Wasser in der Agrikultur verschwendet." Im Gegensatz zu Europa, wo sehr viel Wasser in der Industrie verwendet, aber auch viel wieder aufbereitet wird, wird es in den Ländern des Nahen Ostens überwiegend in der Landwirtschaft verbraucht, wo es danach im Boden versickert. "Da lässt sich noch Einiges tun."

Doch bereits jetzt leidet die Region an erheblicher Trockenheit. Dort fallen der Studie zufolge durchschnittlich nur 173 Liter pro Quadratmeter im Jahr. In Europa sind es durchschnittlich 756 Liter.

Soziale und politische Auswirkungen

Welche auch politischen Auswirkungen der Wassermangel haben kann, zeigte sich im arabischen Revolutionsjahr 2011: In den fünf Jahren vor den Aufständen hatte die Region eine der schwersten Dürreperioden seit 100 Jahren durchlitten. Sie raubte vielen Menschen die Lebensgrundlage, vor allem in der Landwirtschaft. Das wiederum trieb viele Landbewohner in die Städte; zugleich stiegen die Lebensmittelpreise.

Besonders zu leiden hatte unter dieser Entwicklung das bis heute unter Trockenheit leidende Syrien: Dort verlor rund ein Fünftel der Bevölkerung seine Einkommensquelle. Die auch durch die Verelendung hervorgerufenen Proteste und die brutale Reaktion des Assad-Regimes auf diese stürzten das Land in einen bis heute anhaltenden Bürgerkrieg.

BG | Bergdorf Timahdite in Marokko
Wie lange es ihn noch geben wird? Schnee im marokkanischen Atlas-GebirgeBild: Mosa'ab Elshamy/AP/picture alliance

Vergleichbare Folgen des Klimawandels seien auch in Zukunft nicht auszuschließen, sagt Florence Gaub. "So wird etwa in einigen Regionen Marokkos oder des Irak weniger Schnee fallen. Davon werden dann die Kleinbauern betroffen sein, die den Schnee für die Landwirtschaft verwenden." Der Wassermangel werde sie dann mit ihren Familien in die Städte treiben. "Doch mit ihrer Ausbildung werden diese Menschen sich schwertun, dort einen Job zu finden. Dort kann sich dann mit der Zeit ein hohes Frustrationspotenzial bilden, das natürlich irgendwann auch in Gewalt umschlagen kann."

Schlechtere Wasserqualität

Die Hitze dürfte nicht nur die Wassermenge, sondern auch die Wasserqualität verringern, heißt es in der Studie. Extreme Wetterereignisse könnten den Salzgehalt im Süßwasser steigen und Schadstoffe in das Wasser geraten lassen. Dürren beeinträchtigten die Wasserqualität auch insofern, als durch die Verringerung des Wasserflusses die Wassertemperaturen stiegen und der Sauerstoffgehalt im Wasser sinke. Außerdem werde durch den Rückgang des Wasserflusses der Abtransport von Schadstoffen eingeschränkt. In der Folge erhöhe sich deren Konzentration in den Flüssen.

Wassermangel Tunesien
Künftig wohl ohne hinreichende Wassermengen: Tunesien. Blick auf den Sidi Salem-Damm im Norden des Landes, 2021Bild: FETHI BELAID/AFP/Getty Images

Im Irak etwa war die Schadstoffmenge im Trink- und Bewässerungswasser im Jahr 2010 dreimal so hoch wie der von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) vorgeschriebene Durchschnittswert, so die Studie. Die Menge der im Wasser aufgelösten Stoffe, die anorganische Salze wie Kalzium, Kalium, Natrium, Chlor und Sulfate sowie Pestizide enthalten, habe sich im Euphrat zwischen den 1980er Jahren und 2009 verdreifacht.

Erhöhtes Problembewusstsein

Inzwischen habe sich das Bewusstsein für den Klimawandel in der Region erhöht, sagt Gaub. Zwar sei es noch nicht so entwickelt wie in westlichen Staaten, sagt sie unter Bezug auf lokale Umweltorganisationen. Doch es steige. Bislang konzentriere es sich vor allem auf lokale Phänomene, etwa die Wasserverschmutzung. "Diese ist ein Nebeneffekt des Klimawandels. Denn wenn die Flüsse weniger Wasser führen, verringert sich deren Fließkraft. Dadurch entstehen mehr Bakterien, und das Wasser ist verschmutzt. Das ist etwa im Irak ein großes Thema. Im Süden des Landes gab es sehr viele Proteste dazu." In anderen Ländern, wie etwa Saudi-Arabien, wurden bereits erste Initiativen gestartet

Tunesien: Wasser als Luxusgut

Auch die europäischen Länder könnten zur Eindämmung des Klimawandels beitragen, sagt Gaub. Etwa durch den Import von Solarenergie. "Mit der Sonnenkraft, die sich in Algerien sammeln ließe, könnte man ganz Europa versorgen, wenn man einen Weg fände, die Energie dorthin zu transportieren. Mir scheint, es ist in unserem Interesse, der Region zu helfen - nicht nur aus moralischen Gründen, sondern weil es auch für uns wirtschaftlich letztlich einfach besser ist."

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika